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Ausgabe:

1926 Nr. 17

Spalte:

441-444

Autor/Hrsg.:

Schnitzer, Joseph

Titel/Untertitel:

Peter Delfin, General des Camaldulensordens (1444-1525) 1926

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 17.

442

Schnitzer, loseph: Peter Delfin, General des Camaldulens-
ordens (1444—1525). Ein Beitr. z. Geschichte d. Kirchenreform,
Alexanders VI. u. Savonarolas. Mit 5 Abb. u. e. Anh. ungedr.
Quellen. München: E. Reinhardt 1926. (VIII, 459 S.) gr. 8°.

Rm. 13—; geb. 15—.
Peter Delfin von Venedig war 34 Jahre (1480 bis
1514) General des Camaldulenserordens und hielt sich,
wenn er nicht gerade auf Reisen war, entweder in der
nahe bei Florenz gelegenen Einsiedelei oder in einem der
vier Klöster seines Ordens zu Florenz selbst auf. So
hatte er Gelegenheit, Savonarola aus nächster Nähe
zu beobachten, in persönliche Fühlung mit ihm zu
treten und an dem hitzigen Streite um ihn teilzunehmen.
In seinem großen 1924 erschienenen Werke über den berühmten
Dominikaner, das ich in dieser Ztg. 1924,
Sp. 132 ff. angezeigt habe, hatte Schnitzer darum vielfach
schon Anlaß, des Camaldulensergenerals zu gedenken
. Seine nähere Beschäftigung mit diesem Manne
und emsige Arbeiten in den Bibliotheken von Venedig
und Florenz haben nun eine neue Monographie gezeitigt,
die bei voller inhaltlicher Selbständigkeit und Abgeschlossenheit
eine Art Gegenstück und Ergänzung zum
genannten Savonarolawerk bildet. Um die Verhältnisse
des Camaldulenserordens an der Wende des 15. Jahrhunderts
, die Richtungen, die in ihm mit einander rangen,
die Stürme, die ihn erschütterten, sowie die Rolle, die
sein General Delfin dabei spielte, richtig zu verstehen,
muß man seine Geschichte kennen. Deshalb schildert
Sch. zuerst (Kap. I) die Gründung des Ordens durch
den hl. Romuald im Anfang des 12. Jahrhunderts und
seine Entwicklung bis zur Vorstandschaft Delfins. Was
Romuald anstrebte, war nicht die Stiftung eines neuen
Ordens, sondern lediglich eine Erneuerung des tief verfallenen
Ordenswesens durch Verschmelzung von Kloster
und Einsiedelei, wobei das Kloster Vorstufe und Vorbereitung
zum Einsiedlerleben sein sollte (nebenbei bemerkt
ein Gedanke, der, wenn ich mich nicht täusche,
erstmals von Basilius klar und scharf ausgesprochen
wurde). Zu einem eigenen Orden ausgestaltet, streifte
das Romualdische Mönchtum im Laufe der Zeit den einsiedlerischen
Einschlag fast gänzlich ab, und als im
14. Jahrhundert in den großen Orden die bekannte Bewegung
zur Hebung der gesunkenen Klosterzucht einsetzte
, griff sie auch auf die Camaldulenser über und
spaltete auch sie in zwei Lager, ein observantistisches, das
auf gewissenhafte Beobachtung der Regel drang, und
ein konventualistisches, das von größerer Strenge nichts
wissen wollte. Nach der Darstellung von Delfins Anfängen
und seinem Verhältnis zum Humanismus (II und
III) behandelt Sch. (in IV) seine Tätigkeit als Ordensgeneral
. Der Orden war bei seinem Amtsantritt wirtschaftlich
geschwächt und sittlich verwildert. In den.
Klöstern, zumal in dem einst so blühenden Engelkloster
zu Florenz, sah es übel aus, und gerade an diesem Kloster
erlebte D. im Kleinen, was er am Gesamtorden im
Großen erleben mußte, das völlige Scheitern seiner Reformarbeit
(S. 61 ff.). Mit den Medici wußte er sich gut
zu stellen, und er sparte nicht mit Schmeicheleien. Nach
ihrer Vertreibung aber hatte er nichts mehr für sie
übrig, da er nichts mehr von ihnen zu hoffen hatte
(S. 90 ff.). Zu dem Konklave, aus dem Roderich Borja
als Alexander VI. hervorging, begleitete D. auf Veranlassung
der Signorie von Venedig neben zwei ebenfalls
von ihr ausgewählten Konklavisten den hochbetagten
und gebrechlichen Patriarchen Maffeo Gerardi, seinen
Ordensbruder, in die damals so unheilige Stadt Rom.
Dieser alte Mann wurde nach dem üblen Ausgang der
Wahl ungerechtfertigter Weise zum Sündenbock gemacht
, obwohl er der einzige war, der sich ohne klingenden
Lohn seine Stimme für Borja hatte ablocken lassen
(S. 106 ff.). Schwer machte dem General das Commen-
denwesen zu schaffen, und es bereitete ihm die größte
Freude, wenn es ihm gelang, eine bedrohte Pfründe zu
retten oder eine schon entfremdete zurückzugewinnen.
Häufig wurde ihm diese Freude freilich nicht zu teil, da
ja die Kirche, wie er sich ausdrückte, nur noch ein

Kaufhaus war, und alles vor dem Geld auf dem Bauche
kroch. Dagegen geriet er unter Julius II. im Streit
um die Einkünfte einer Abtei einmal längere Zeit in den
Kirchenbann, für dessen Abkürzung er dann 50 Dukaten
springen ließ (S. 120ff.). Eine merkwürdige Gestalt ist
,der Abt im Harnische' (S. 133 ff.), Basilius Nardi von
S. Felix in Florenz, der sich die Gunst des Generals zu
erringen und trotz aller seiner Fehler lange zu erhalten
verstand, der allerdings beim Einfall der venezianisch-
ligistischen Truppen mit dem Schwerte in der Hand
seinen Mann stellte, als der General es für geraten hielt,
nach Florenz zu flüchten und Kloster und Einsiedelei von
Camaldoli ihrem Schicksal zu überlassen, ,der echte gute
Hirte, der sein Leben hingibt für seine Schafe' (S. 139).
Anderer Art waren ,die großen venezianischen Novizen'
(S. 146 ff.), Thomas Justinian und Vinzenz Quirin, die
einer glänzenden Laufbahn in ihrer Vaterstadt entsagten
und trotz Abratens ihrer Freunde, darunter eines Kaspar
Contarini, des späteren berühmten Kardinals, in die
Hände Delfins die Gelübde ablegten, dann aber in ihrem
Eifer für das vom General zurückgesetzte und vernachlässigte
Einsiedlertum an die Spitze der Bewegung
traten, die schließlich zu seiner Absetzung mit einer
jährlichen Rente von 350 Dukaten führte (S. 162ff.).
,Das war das klägliche Ende einer vierunddreißig-
jährigen Wirksamkeit als Ordensgeneral, welche immer
so gut gemeint und so schlecht ausgeübt war! So
schimpflich mußte ein Mann von seinem hohen Amte
scheiden, welcher immer fromme Bibelsprüche und hohe
Phrasen von Reform und religiöser Erneuerung im Munde
führte und doch keine Hand zu wirklicher Besserung
rührte!' (S. 170). D. war und blieb eben ein Humanist,
der vom Geiste des hl. Romuald keinen Hauch verspürte,
ein Mann von vielen Schwächen, der sich in ,seiner
Musolea' am behaglichsten fühlte (S. 185), der todunglücklich
war, als man ihm seinen verbrecherischen
Koch nahm, und der schreiben konnte: ,Was du meinem
Koche erweisest, das hast du mir erwiesen" (S. 164),

I der die Gichtknoten, die dem Kard. Piccolomini, wie ihm
selber, an Händen und Füßen Schmerzen bereiteten,
mit den Wundmalen des Herrn (Gal. 6, 17) verglich
(S. 185). Die .letzten Lebensjahre' (S. 174 ff.) verbrachte
er zumeist in S. Michael zu Venedig, und dort
wurde er auch beigesetzt. Von seinen Briefen (S. 187 ff.)
ist uns das von ihm selbst während seiner Generalatszeit
mit großer Sorgfalt geführte Auslaufbuch in vier dicken
Foliobänden der Nationalbibliothek zu Florenz überliefert
(S. 189). Eine Auslese daraus hat er selbst noch
1524 im Drucke veröffentlicht. Seine Vorgeneralatsbriefe
stehen in einer in der Bibliotheca Marciana zu Venedig

I vorliegenden Sammlung von Abschriften, die daneben
auch die Schreiben der ersten drei Generalatsbände enthält
. Die 4000 Briefe, die er hinterlassen hat, enttäuschen
aber, wenn man von ihnen Aufschlüsse über
große kirchen- und weltgeschichtliche Begebenheiten erwartet
. .Ordens- und Klosterhändel auf Schritt und
Tritt, das ist alles! . . . Unter die Geschichtsschreiber ist
D. nicht einzureihen: nicht zu berichten war seine Absicht
, sondern sich auszuschweigen' (S. 186 f.). In seiner
Politik (S. 199 ff.) war D. Venezianer durch und durch,
und er ging deshalb der Liga zu liebe mit den Arrab-
biaten in Florenz durch dick und dünn, unterhielt aber
immerhin auch zu einzelnen Frateschen warme Beziehungen
. Eine Zeitlang .näherte sich seine Stellung in
bedenklicher Weise der eines Kriegsspions (S. 206).
Was er (S. 201 f.) über die Aufführung der Franzosen
schreibt, zeigt uns, wie sich die Wesensart dieses
Volkes im Laufe der Jahrhunderte gleichgeblieben ist.
Von den Deutschen aber weiß man in Venedig, daß sie
sich vor dem Kirchenbann am meisten fürchten (S. 207).
In Sachen der .Kirchenreform' (Kap. VI S. 215 ff.) war
von einem Manne, der in einem so rettungslos verkommenen
Menschen wie Roderich Borja den .Christus
des Herrn', einen ,Helden', eine ,Kirchensäule', ja den
.Heiligen' verehrte, nichts zu erwarten. Daß der Papst