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Ausgabe:

1926 Nr. 16

Spalte:

422-424

Autor/Hrsg.:

Nolloth, Charles Frederick

Titel/Untertitel:

The Fourth Evangelist. His place in the development of religious thought 1926

Rezensent:

Kittel, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 16.

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geten. Die von jedem Ausleger überhaupt zu fordernde
Kongenialität mit seinem Stoff bedeutet angesichts des
besonderen Charakters der Bibel nicht nur ästhetisches
Nachempfinden, sondern Überwältigtsein von dem
Pneuma der Schrift, Übereinstimmung der Willens-
richtung, Gehorsam. Indessen eine pneumatische oder
spezifisch theologische Methode der Exegese gibt es
nicht. Mit der Bitte um das Pneuma im Herzen wird
der Theologe, wenn er Exegese treibt, doch immer nur
historisch-wissenschaftliche Exegese treiben können und
treiben wollen.

Inzwischen hat nun auch Rudolf Bultmann zur
Frage sich geäußert (das Problem einer theologischen
Exegese des N.T., Zwischen den Zeiten 1925, S. 334
—357). Unter erfrischender Kritik an der naiven Vermischung
von historisch-psychologischer Exegese und
modernem Idealismus bei H. J. Holtzmann und O.
Baumgarten stellt er fest, daß es eine neutrale
Exegese des N.T. überhaupt nicht gibt. Die Textauslegung
ist von der Auslegung der eigenen Existenz,
die Wirklichkeits- von der Wahrheitsfrage nicht zu
trennen. Systematische und historische
Theologie fallen im Grunde zusammen.
„Freilich ist in der konkreten Arbeit eine Trennung der.
systematischen und der historischen Aufgabe gerade deshalb
notwendig, damit die Bezogenheit beider aufeinander
immer neu erfahren wird. Die systematische
Theologie hätte dann die begriffliche Explikation der
Existenz des Menschen als durch Gott bestimmter zu
ihrem direkten Thema zu machen, während für die historische
Theologie dies nur indirekt das Thema sein
könnte, und sie direkt nur darzustellen hat, welche Auslegung
des Menschen in den Texten gegeben wird, und
zwar so, daß sie diese Auslegung aus der Begrifflichkeit
der Vergangenheit in die Begrifflichkeit der Gegenwart
bringt" (S. 354). Eine theologische Exegese ist eine
solche, für die der Glaube Voraussetzung ist. Sie kann
aber nur getan, wissend gewagt, niemals prinzipiell als
eine besondere Methode gerechtfertigt werden. — Es
gewährt einen eigenen Reiz, sich auszumalen, was etwa
ein Mann wie Emil Schürer zu solchen Sätzen gesagt
haben würde.

Ein Vergleich zwischen Behms und Bultmanns Auffassung
ist interessant. Einig sind beide Theologen
darin, daß sie eine besondere Methode theologischer oder
pneumatischer Exegese ablehnen und das Entscheidende
vielmehr in der Persönlichkeit des Exegeten finden,
so aber, daß bei Behm aller Nachdruck auf die historisch
-psychologische, bei Bultmann auf die sachlich-
„systematische" Seite der Aufgabe fällt. Die Rollen der
theologischen Richtungen im herkömmlichen Sinn
scheinen hier geradezu vertauscht. Allein — das ist eben
doch nur Schein. Bultmann leitet aus seiner Position
gerade auch die Pflicht der Exegese zur Sachkritik ab,
und es steht bis auf weiteres zu befürchten, daß gelegentlich
unter der Spitzmarke „was ist gemeint?" das,
was gesagt ist, ebenso kühn und selbstverständlich
gemodelt würde, wie dies bei der romantisch-idealistischen
Exegese kritisiert wurde, während umgekehrt
Behm offenbar von einem starken Respekt vor der Objektivität
des Schriftwortes geleitet wird.

Aus den reichen Anregungen das Fazit zu ziehen ist
nicht leicht. Auszugehen ist von der doppelten Erkenntnis
, daß im N. T. Gottesoffenbarung im strengen Sinn,
absolute Selbstdarbietung Gottes zur Gemeinschaft vorliegt
, daß aber diese Offenbarung sowohl ursprünglich
in zeitgeschichtlich bedingter Form erlebt wurde, als
auch heute nur in zeitgeschichtlich bedingter Form nacherlebt
werden kann. Die erste Aufgabe ist demgemäß,
die geschichtlich konkrete Gestalt der Offenbarung so
objektiv und präzis wie möglich zu erheben. Vielleicht
läßt sich das sachliche Denken dabei niemals bis zur
vollen Neutralität ausschalten, vielleicht ist seine Mitwirkung
geradezu Bedingung für ein wirkliches Eindringen
, aber seine Ausschaltung als Fehlerquelle

muß trotzdem immer wieder ernstlich versucht werden.
Daran halte ich mit Behm und gegen Bultmann (nein,
auch mit Bultmann!) fest. Diese Aufgabe ist weithin
mit den Mitteln allgemeiner Sprach- und Geschichtswissenschaft
zu lösen. Die Forderung der Kongenialität
bedeutet aber hier nicht bloß psychologische Einfühlung,
sondern religiöses, pneumatisches Verständnis. In dem
Maß, als kraft freier, wagender Entscheidung der Standpunkt
des Glaubens eingenommen wird, ist die Exegese
theologisch, man mag auch bereits sagen pneumatisch
(dies aber nicht im Sinn einer über die Frage der Wirklichkeit
im einzelnen hinausgreifenden besonderen Methode
, sondern nur der sachlichen Angemessenheit) und
wird die neutestamentliche Religionsgeschichte zur neu-
testamentlichen Theologie. Eine weitere theologische
Aufgabe liegt nun aber darin, den überzeitlichen Gehalt
der Offenbarung in den Denkformen der jeweiligen
Gegenwart und nach Maßgabe des unter der Leitung des
göttlichen Geistes in der Kirche jeweilig erreichten
Wahrheitsverständnisses schöpferisch zu reproduzieren.
Darum lassen wir der Biblischen Theologie eine Dogmatil
und Ethik folgen, nicht im gegensätzlichen Sinn,
aber auch ohne Verwischung der Grenzlinien. Daraus
haben wir nun aber auch für die Exegese die Konsequenzen
zu ziehen. Hier liegt der Punkt, wo ich, soviel
ich sehe, sowohl von Behm wie von Bultmann abweiche
und Girgensohn und Barth näher komme, nur mit dem
Unterschiede, daß ich die geschichtliche Bedingtheit auch
des gegenwärtigen Denkens mehr heraushebe. Enthält
die Schrift wirklich Offenbarung (für uns Heutige!), so
haben wir sie auch bewußt vom Standpunkt des heutigen
Denkens und der heutigen Frömmigkeit aus zu lesen
und zu erklären. Das ist, sofern wissenschaftliche Ziele
verfolgt werden, keine applicatio (Behm) und schon
der unsystematischen Form wegen erst recht keine Dog-
matik, sondern steht zur Dogmatik (und Ethik) in einem
entsprechenden Verhältnis wie die historisch-psychologische
Exegese zur Biblischen Theologie. Wie notwendig
wir diese Art der Exegese brauchen, das hat die
Durchschlagskraft von Barths Römerbrief (von allem
einzelnen abgesehen!) und Girgensohns biblischen Proseminarübungen
bewiesen. Enzyklopädisch würde ich sie
in die systematische Theologie einreihen, habe aber auch
nichts dagegen einzuwenden, halte es sogar für fruchtbar,
daß man sie in der Praxis mit der historisch-psychologischen
Exegese verbinde, wenn nur über die prinzipielle
Scheidung beider keine Unklarheit entsteht.
Leipzig. Albrecht Oepke.

N O 11 o t h , Charles Frederick, M. A., D. Litt.: The Fourth Evangelist.

His place in the deveiopment of religious thought. London: J.

Murray 1925. (X, 266 S.) 8°. geb. sh. 10/6.

Inhalt: I. Introduction. — II. The Religious Background:
Judaism; Palestinian Christianity. — III. The Authorship of the Fourth
Oospcl: Internal Evidence; — IV. Tradition. — V. Papias. — VI. The
Alleged Martyrdom of St. John. — VII. Mediating Theories of
Authorship. — VIII. The Relation of the Fourth Oospel to the other
Johannine Books. — IX. The Fourth Oospel and the Synoptic
Oospels: Narrative; — X. The Discourses of Christ. — XI. The Philo-
sophy of St. John. — XII. The Theology of St. John: Th.e Humanity
of Christ; — XIII. The Deity of Christ. — XIV. The Transition of
Catholicity. — XV. The Contribution of St. John to Religious Thought.

Die • johanneische Frage beschäftigt die englische
Theologie des letzten Jahrzehntes nicht wenig. Die
Einwirkungen der deutschen Johanneskritik machen sich
lebhaft geltend. So stellte sich H. L. Jackson in seinem
bedeutenden Buch: The Problem of tne Fourth Gospel
(Cambridge 1918) ganz auf ihren Boden. Dann hat C.
F. Burney's Monographie: The Aramaic Origin of the
Fourth Gospel (Oxford 1922) die Erörterung des
Sprach- und damit auch des Heimatproblems des vierten
Evangeliums und seines Evangelisten in der englischamerikanischen
Literatur entfacht und für viele die Zurückhaltung
gegen die kritischen Ergebnisse neu bestärkt
. Das Buch von Nolloth nun ist eine zusammenfassende
Darstellung des gesamten johanneischen Pro-