Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1926 Nr. 16 |
Spalte: | 420-422 |
Autor/Hrsg.: | Behm, Johannes |
Titel/Untertitel: | Pneumatische Exegese? 1926 |
Rezensent: | Oepke, Albrecht |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
419
Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 16.
420
schaftliche Lebensleistung nicht mehr Herrn Goldschmidts
Zensur sich zu unterwerfen nötig hat, ein
Schlaglicht auf Charakter und Psyche dieses Herrn
Verfassers selbst wirft.
Greifswald. Gerhard Kittel.
Midrash Sifre on Numbers, Selections from early scriptural Inter-
pretations. Translated from the Hebrew, with brief annotations and
with special reference to the New Testament, by Rev. Paul P.
Levertoff, with an introduction by Re.v. Canon G. H. Box.
London: S. P.C.K. 1926. (XXIV, 162 S.) 6°.
Die Soc. for Promoting Christian Knowledge gibt
als dritte Serie ihrer „Translations of Early Documents"
rabbinische Texte heraus. Nachdem einige Mischna-
traktate übersetzt sind, folgt eine Auswahl aus Sifre, dem
ältesten tannaitischen Midrasch zu Numeri. Das Werk
stammt bekanntlich seiner Redaktion nach von R. Jehuda
dem Fürsten, genannt Rabbi, der in der zweiten Hälfte
des zweiten christlichen Jahrhunderts lebte; seine Stoffe
stammen zu großen Teilen aus dem ersten Jahrhundert.
Die Bedeutung für die Geschichte des Spätjudentums
wie des Urchristentums bedarf also keiner Betonung.
Es gab bisher nur eine schlechte Übersetzung im fünfzehnten
Band von Blasio Ugolinos Thesaurus anti-
quitatum sacrarum (Venedig 1755 ff.), deshalb ist die
Ausgabe einer neuen Übersetzung nur warm zu begrüßen,
umso mehr als der von H. S. Horovitz 1917 im Corpus
Tannaiticum edierte Text zu Sifre Num. zur Verfügung
stand. Die Übersetzung ist von dem Judenchristen Paul
Levertoff besorgt. Sie versucht in ihrer Weise den
Schwierigkeiten, die rabbinische Diktion in eine moderne
Sprache umzusetzen, gerecht zu werden. Ein allgemein-
giltiges Rezept dafür ist noch nicht gefunden; jeder, der
selbst einmal es versucht hat, weiß, wie schwer die
Aufgabe ist, den richtigen Mittelweg zwischen zu sklavischer
Bindung, die zu Unverständlichkeit führt, und
zu großer Freiheit, mit der die charakteristische Art
dieser. Texte und des hinter ihnen liegenden Denkens abgeschliffen
wird, zu finden. Levertoff neigt zu dem
zweiten. Seine Übersetzung wird oft zur Paraphrase. Ich
meinesteils muß ein starkes sich Anschließen an den
Grundtext und mindestens ein genaues Festhalten aller
in der rabbinischen Diktion liegenden Wiederholungen
und Härten und Breiten für unerläßlich halten. Immerhin
gibt in vielen Fällen L. die wörtliche Übersetzung in
der Anmerkung. Im übrigen geben die reichlichen Anmerkungen
teils sachliche Erläuterungen, teils Hinweise
auf neutestamentliche Parallelen. Ihre wissenschaftliche
Brauchbarkeit würde durch stärkere Exaktheit der Angaben
erhöht werden. Auch wäre eine sorgfältige und
gleichmäßige Mitteilung der sämtlichen rabbinischen
Paralleltraditionen zu jedem Abschnitt notwendig. Eine
kurze Einführung in den Midrasch und seine Bedeutung
gibt G. H. Box, der verdiente Herausgeber der „Translations
of Early Documents".
Bedauerlich ist, daß nur eine Auswahlübersetzung
zustande gekommen ist. Man hat den Eindruck, daß dies
den Herausgebern zu genügen scheint (vgl. Levertoffs
Bemerkung S. 151, Z. 10 f.). In Wirklichkeit gibt die
Übersetzung etwa ein Sechstel des ganzen Midrasch zu
Num., und ein kleiner Appendix (S. 144—150) enthält
aus den weggelassenen Teilen noch einige dem Übersetzer
wesentlich scheinende Stücke in kurzem Auszug. Die
weggelassenen fünf Sechstel, meint Levertoff, seien „not
containing much of value, either in style or sub-
ject matter" (S. 144). Das beweist nur, wie auch der
Tenor der Anmerkungen, daß alle Erwägungen über
Komposition und Traditionsgeschichte des Midrasch und
seiner einzelnen Teile außerhalb seines Interesses liegen).
Levertoff war einige Jahre Lehrer am Institutum Delitzschianum
der Leipziger Judenmission. Das auf dem Titelblatt angegebene Prädikat
: „Sometime Professor of Old Testament Exegesis and Rabbinics,
Delitzsch College, Leipzig" klingt etwas großartig und wird den, der
das treffliche, aber doch recht bescheidene „Delitzschianum" kennt,
lächeln lassen.
Greifswald. Gerhard Kittel.
Hebrew Union College Jubilee Volume (1875-1925). Board
of Editors D. Philipson u. a. Cincinnati (Hebrew Union
College) 1925. (VI, 521 S. m. Taf.) gr. 8».
Der Energie des aus Böhmen stammenden Isaac M. Wise, gest.
1900, ist das älteste Rabbinerseminar in Nordamerika und die es
stützende Vereinigung amerikanischer jüdischer Gemeinden zu danken,
wie es am Anfang dieses Bandes D. Philipson in der „Geschichte
des H. U. College ausführt. K. Kohler fordert S. 32ff. für die Zukunft
einen besonderen Lehrstuhl für die Beziehungen zwischen Judentum
und Christentum, weil Jesus zu „den Unseren" gehöre, und
Oberwindung eines zügellosen Liberalismus durch geistliche Gesinnung
. Daß die zehn Stämme zu Ezechiels Zeit nicht verloren
waren, betont W. Rosenau und vermutet, daß sie in die Juden
der späteren Zeit aufgegangen seien. Das bei der Psalmenauslegung
zu wenig anerkannte prekative Perfekt wird von M. Butten-
wieser neben arabischen Parallelen an Beispielen in Ps. 3. 4. 30.
85. 21 gezeigt, ebenso die Anwendung des Perfekts in Bedingungssätzen
ohne einleitende Partikel in Ps. 126 und 122, die von der
Zukunft reden. Die Sitte des Gottesurteils wird bei Arabern und
Babyloniern nachgewiesen und mit dem Gottesurteil von Num. 5,
das frühzeitig außer Gebrauch gekommen sei, verglichen von J.
Morgenstern. Unter den sogen. „Männern der großen Synagoge
" versteht H. Englander die Leiter der „Gemeinde Israels
vom Beginn der Persischen Zeit bis etwa 270 v. Chr. S. S. Cohon
zeigt, wie die Bindung von Gott au Palästina und Jerusalem bis zur
römischen Zerstörung Jerusalems trotz des Universalismus der Propheten
immer fester wurde. Von S. 112 ab folgen Abhandlungen, die
dem christlichen Theologen ferner stehen, über den Namen der rabbinischen
Schulen in Mesopotamien (J. Z. Lauterbach), das Ende
der Geschichte des Gaonats von Sura (J. Mann), die Klassifikation
der Wissenschaften in der mittelalterl. jüdischen Religionsphilosophie
(H. A. Wolfson), die Bedeutung von Pico della Mirandola's kabbalistischen
Neigungen (J. Abrahams), Raphael Norzi's Theologie
(H. G. Enelow), die Geschichte der Sephardim im 16. Jahrh. (J.
R. Marcus), die synagogalen Melodien im 18. Jahrh. (A. Z. Idel-
söhn), der Gegensatz der Orthodoxie gegen die beginnende Reform
(J. Bettan), Negative Tendenzen in der neuesten jüdischen Literatur
(J. R ei der). Den Schluß bilden Erörterungen über das soziale
Wesen des Gebets (A. Cronbach) und die in allen Zweigen jüdischer
Wissenschaft anzuwendende „Philosophie", welche überall auf
das Wesentliche achtet (D. Neu mark), womit auch der christliche
Systematiker sich nicht ohne Gewinn auseinandersetzen wird.
Greifswald. G. Dal man.
Behtn, Prof. D. Johannes: Pneumatische Exegese? Ein Wort
zur Methode der Schriftauslegung. Schwerin i. M.: F. Bahn 1926.
(30 S.) 8°. Rm. 1—.
Die Frage nach der pneumatischen Exegese will
nicht zur Ruhe kommen und ist nach einer Anregung des
Magdeburger Neutestamentlertages 1924 auch auf der
55. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner
in Erlangen verhandelt worden. Das ist erfreulich
. Der Referent hat die Frage rein unter hermeneu-
tischen Gesichtspunkten behandelt unter bewußter Ausschaltung
aller systematischen und praktischen Interessen
. Das ist wissenschaftlich korrekt, aber ein wenig
akademisch, und es ist zu fragen, ob es einer allseitigen
Durchdringung des Problems in jeder Hinsicht günstig
gewesen ist.
Nach einem wertvollen Überblick über den Stand
der Frage, der besonders Karl Girgensohn und Karl
Barth, aber auch ältere verwandte Bestrebungen berücksichtigt
, folgert die eigene Darstellung aus dem Begriff
der Exegese, daß diese über die Feststellung des geschichtlichen
Originalsinnes grundsätzlich nicht hinausgehen
kann. Sie mag über allem zeitgeschichtlichen
Detail nicht vergessen, das religiöse Eigenleben in den
Schriften des N.T. aufzudecken, das Besondere in der
urchristlichen Religion, kraft dessen sie sich durchgesetzt
hat, und damit das Material für prinzipielle und praktische
Auswertung des Ertrags exegetischer Arbeit bereitstellen
. Aber sie selbst hat nur die Wirklichkeits-,
nicht die Wahrheitsfrage zu stellen. Alles, was über die
Feststellung des geschichtlichen Sinnes hinausgeht, ist
Dogmatik oder applicatio. nicht mehr Exegese. Die
Wahrheit, die in dem Schlagwort „Pneumatische Exegese
" liegt, ist die, daß zu aller Beschäftigung mit der
Schrift das Pneuma vonnöten ist, auch zur philologischhistorischen
Exegese. Der Ruf nach pneumatischer Exegese
ist letzten Endes der Ruf nach pneumatischen Exe-