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Ausgabe:

1926 Nr. 16

Spalte:

417-418

Autor/Hrsg.:

Hölscher, Gustav

Titel/Untertitel:

Die Ursprünge der jüdischen Eschatologie 1926

Rezensent:

Volz, Paul

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Seite 1

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417

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 16.

418

schwächt sich die künstlerische Ausdruckskraft ab, je
weiter man vom Osten (Osterinsel!) zum Westen hin
geht. Zwischen afrikanischem und ozeanischem Endpunkt
steht in der ästhetischen Reihung in der Mitte
Nordwest-Amerika, „mit seinem Trieb zum organisch
Bluthaften" (S. 31). „Künstlerisch von geringerem Interesse
sind die Ahnenbilder des indonesischen Archipels"
(S. 31). — Alles in allem tendiert der eigentliche Zug
der naturvölkischen wie aller primitiven Kunst auf die
Monumentalität der Gestaltung. „Das bedeutet die Steigerung
eines Wesens über die durchschnittliche Größe
hinaus in einer innerlich dynamischen, äußerlich statischen
, lebenskräftigen Form" (S. 26) — und offenbar
liegt in letzterem das Wesentliche; denn am Geist der
Statik, der Ruhe und Beharrlichkeit mag uns sogar die
Erkenntnis der Verschiedenheit unseres Ahnentums vom
primitiven aufgehen: für den Primitiven liegt seiner
eigenen Auffassung gemäß der Höhepunkt in der vergangenen
Tat, für uns „in jenem Reiche des Ideals, in
welchem das werdende Göttliche seine reine Ausgestaltung
finden soll" (S. 34). Gemeinsam ist beiderlei
Ahnentum, „daß sie ausgehen und sich bei ihrem
Ausgang und in ihren Höhepunkten tragen lassen von
einer übei individuellen Gewißheit, einem überpersönlichen
Gehalt" (S. 33 f.). Dafür Auge und Sinn
zu schärfen, dürfte sich der Verfasser nicht umsonst
bemüht haben.

Güttingen. Alfred Bertholet.

Hölscher, Prof. D. Dr. Gustav: Die Ursprünge der jüdischen

Eschatologie. Gießen: A. Töpelmann 1025. (16 S.) gr. 8". =
Vortr. d. theolog. Konferenz zu Gießen, 41. Folge. Rm. —70.

Meisterhaft behandelt H. in der gedrängten Kürze
eines Vortrags die Entwicklung des alttestamentlichen
eschatologischen Problems im letzten Halbjahrhundert
und die zur Eschatologie gehörigen methodischen Fragen
. Was ist der Inhalt der Eschatologie? Ist es kosmische
Naturmythologie, politische oder religiöse Erwartung
? Liegt der Ursprung demgemäß im Mythus, in
der Politik, im Kult oder im religiösen Glauben (Erwäh-
lungsanspruch)? Ist für die altisraelitische Eschatologie
ein außerisraelitisches Ursprungsland (Babylonien, Ägypten
) anzunehmen, oder ist sie israelitischer Eigenbesitz?
Da H. die „altorientalische Eschatologie" ablehnt, bleibt
die Frage, wann in Israel selbst die eschatologische Erwartung
aufkam, ob sie etwa mit der mosaischen Religion
als solcher von Anfang an gegeben sei. Abweichend
von der herkömmlichen Meinung bezweifelt H., ob man
im vorprophetischen Volksglauben und in der vorexi-
lischen Prophetie schon von Eschatologie sprechen
könne; die Verkündigung des Tages Jahwes bei Arnos
z. B. gehe nicht über die Weissagung der Kassandra vom
Untergang Trojas hinaus. Erst Dtjes. habe Eschatologie
im eigentlichen Sinne geschaffen und zwar nicht aus sich
selbst heraus, sondern als Sprecher des Gemeindebewußtseins
.

Ich stimme weithin mit H. überein und begrüße vor
allem die Ablehnung des Dogmas von der altorientalischen
Eschatologie und von der Verbindung zwischen
Mythus und Eschatologie. Ebenso begrüße ich die Entfernung
der Messiaslieder aus der vorexilischen Prophetie
, was infolge des altorientalischen Überschwangs
ganz in Verruf gekommen war. Sehr richtig ist weiter,
daß man innerhalb der vorexilischen Prophetie deutlicher
als bisher zwischen relativem und absolutem Zukunftsspruch
unterscheiden muß. Immerhin glaube ich, daß
schon Arnos oder Jesaja absolute Zukunftsweissagung,
also Eschatologie ausgesprochen hat. Entscheidend bei
der Eschatologie ist nicht der Umfang — der ist allerdings
durch Dtjes. und seit Dtjes. wesentlich erweitert
-7 auch nicht die Inner- oder Überweltlichkeit, sondern
die Endgültigkeit. Hinter dem Ende Am. 8, 2 aber oder
dem Tag Jahwes Jes. 2, 10 ff. oder der Zukunfts-
Semeinde Jes. 8, 18 kommt nichts anderes mehr. Endlich
stimme ich mit H. darin überein, daß die Eschatologie
Eigenbesitz Israels war. Ich weiche aber in der
Frage des Quellgebiets von ihm ab. H. übernimmt die
These Mowinckels, daß die Eschatologie aus dem Kult
stamme, und führt sie in geistvoller Weise weiter aus.
Während Mowinckel den Entstehungsvorgang in die
Zeit zwischen Salomo und Arnos setzt, glaubt H., daß
der prophetische Kampf gegen die Kultreligion und die
Auflösung des Staatskultes durch das Exil die Ursachen
I für die Loslösung der Eschatologie vom Kult gewesen
seien. Es ist aber m. E. bis jetzt nicht gelungen, das
Herauswachsen der Eschatologie aus dem Kultus glaubhaft
zu machen, und gegen Mowinckels These spricht
vor allem, daß im nachexilischen Zeitalter eschato-
I logische Erwartung neben lebhaftester Kultfreude stand.
Wäre die Eschatologie nach dem von Mowinckel entworfenen
Bild aus dem Kult hervorgegangen, so wäre
aller Wahrscheinlichkeit nach die Entstehung der Eschatologie
nichts spezifisch Israelitisches, oder müßte
; doch erst irgend eine israelitische Sonderkraft ange-
| nommen werden, die erklären würde, daß in Israel der
verblaßte Kult durch die Eschatologie ersetzt wurde.
In Wirklichkeit bestehen Kult und Eschatologie lange
j Zeit gleich stark nebeneinander, und das Besondere in
; Israel ist, daß die selbständig gewachsene Eschatologie
auch in den Kult hereinkam. Im Unterschied von
Mowinckel und Hölscher müßte genauer untersucht
werden, in welchem Kreis des Volkes die eschatologische
Erwartung aufwuchs und heimisch war, und ob nicht die
Nabis hierin starken Einfluß hatten.

Tübingen. P. Volz.

Levy, Jacob: Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim

nebst Beiträgen von Heinrich Leberecht Fleischer. 2. Aufl. mit
Nachtr. u. Berichtigungen von Lazarus Goldschmidt. 4 Bde.
Berlin: B. Harz 1924. (XI, 572; IV, 546; IV, 742 u. IV, 748 S.)
4°. geb. Rm. 150—.

Ders. und Lazarus Goldschmidt: Nachträge und Berichtigungen
zu Jacob Levy, Wörterbuch über die Talmudim und
Midraschim. Sonderabdruck. Ebd. 1924. (IX u. S. 565—690) 4°.

Daß Jakob Levys großes Wörterbuch zu Talmud
und Midrasch in einem Neudruck wieder allgemein zugänglich
gemacht ist, wird man nur auf das "lebhafteste
begrüßen. Denn Levys Werk ist auch heute ein unentbehrliches
Hilfsmittel für jeden, der die Texte des
Spätjudentums liest. Dalmans Lexicon hat es nie ersetzen
wollen; dessen Stellung ist und bleibt die des zuverlässigen
Glossars neben dem großangelegten Wörterbuch.

Der Name „Neuhebräisches und Chaldäisches Wörterbuch
", den Levy einst seinem Werk gab, war nicht
glücklich gewählt. Es ist daher nur zu billigen, daß der
Titel für den Neudruck verändert worden ist. „Wörterbuch
über die Talmudim und Midraschim" ist freilich
auch keine wirklich exakte Umschreibung dessen, was
das Werk bietet. Die Bezeichnung „Zweite Auflage"
ist irreführend. Was gegeben wird, ist ein guter, aber
völlig unveränderter Stereotyp-Neudruck der vier Bände
aus den Jahren 1876—1889. Dem sind in jedem der
Bände acht bis zehn Seiten „Nachträge und Berichtigungen
" beigefügt. Deren eine Hälfte ist ebenfalls aus
der ersten Auflage übernommen, wo sie als „Berichtigungen
und Zusätze" von Levy selbst jedem der Bände
beigegeben war. Die andere Hälfte, alles in allem
noch nicht 20 Seiten bei einem Werk von insgesamt mehr
als 2500 Seiten, sind die neue Gabe der zweiten Auflage
. Sie sind zugleich der Anlaß, daß das Titelblatt
neben den großen Namen von Jakob Levy und Heinrich
Leberecht Fleischer heute als dritten den Namen Lazarus
Goldschmidt trägt; aus dessen Handexemplar sind — ohne
erkennbares wissenschaftliches System — Randnotizen zu
jenen neuen Nachträgen zusammengestellt. Irgendeine
Weiterführung der wissenschaftlichen Arbeit an Levys
Wörterbuch ist damit nicht gegeben. Das von demselben
Verfasser stammende Vorwort zur zweiten Auflage hat
höchstens insofern ein gewisses Interesse, als die darin
beliebte Anrempelung gegen einen Mann, dessen wissen-