Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1926 Nr. 16

Spalte:

415-416

Autor/Hrsg.:

Scherke, Felix

Titel/Untertitel:

Über das Verhalten der Primitiven zum Tode 1926

Rezensent:

Bertholet, Alfred

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

416

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 16.

416

Kulturen ihn vor der Gefahr behüten muß, in der Behandlung
der Naturvölker die Dinge zu sehr über einen
Kamm zu scheren. Auch in der „dynamistischen Auffassung
" primitiver Kulturen weist Gr. Unterschiede je
nach dem Hervortreten des Substanzbegriffes, vor allem
in der Richtung auf den Persönlichkeitsbegriff, nach
(S. 61); darnach rückt er „mana" von den rein assoziativen
älteren Zaubervorstellungen ab (S. 59). Für beherzigenswert
halte ich seine Betonung der „Kernhaftig-
keit des praktischen Verhaltens für die Weltanschauungsformen
". „Die praktische Vernunft ist auch historisch
genommen das Apriori der theoretischen", d. h. „daß
schon in den ältesten Kulturen die theoretische Weltanschauung
ein Hinausprojizieren der Tatsachen des
Selbstbewußtseins in die Außenwelt bedeutet" (S. 135).
Güttingen. Alfred Bertholet.

Scherke, Dr. Felix: Über das Verhalten der Primitiven
zum Tode. Langensalza: H. Beyer & Söhne 1923.(232 S.) 8«.=
Friedrich Mann's Pädagog. Magazin, Heft 938. Rm. 3.50.

Scherkes Buch zerfällt in 2 Teile, einen ethnographisch
-deskriptiven (S. 11 — 149) und einen psychologisch
-analytischen (S. 150—224). Der erste behandelt
die mannigfachen Bräuche, mit denen der Sterbende und
der Tote umgeben wird, die Trauerbräuche der Hinterbliebenen
und den Glauben an die Unsterblichkeit der
Seele, und es ist hier auf knappem Raum eine erstaunliche
Fülle von Material zusammengetragen. Ein förmlicher
Zettelkasten voll Namen von Völkern und
Stämmen, die als Kronzeugen für einen Brauch oder eine
Vorstellung zu nennen sind, wird vor dem Leser ausgeschüttet
. Dabei sind in dankenswerter Weise z. T. weit
abliegende monographische Arbeiten berücksichtigt. Von
wichtigeren Werken vermisse ich etwa die von Brinton,
Koch-Grünberg, Frobenius, Kruijt und Westermann; auch
hat sich Sch. den stoffreichen Artikel von E. Sidney
Hartland „Death and Disposal of the Dead" in ERE entgehen
lassen. Zum Zurückrufen der Seele (S. 92) gibt
es eine klassische Stelle im Chinesischen (Li-ki, Li-yün
1, 7; s. mein Relgesch. Lesebuch 1908, S. 20); zur Entblößung
in der Trauer (S. 109) vgl. Wellhausen, Reste
arab. Heidentums2 1897, S. 195 usw.

Der zweite Teil bedeutet den beachtenswerten Versuch
einer Gruppierung der verschiedenen Verhaltungsweisen
zum Toten nach den sie beherrschenden Zwcck-
vorstellungen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
im Einzelnen hinzutretenden speziellen Motivvorstellungen
und Motivgefühle, woran sich eine Untersuchung
der Hauptprinzipien schließt, nach denen sich
diese als Motive wirksamen Vorstellungen vom Toten
und seinem Verhältnis zu Leben und Seele entwickeln.
Der Verf. kommt zum Ergebnis, daß sich in dieser
Vorstellungsbildung viererlei unterscheiden lasse: 1. eine
präanimatistische Stufe, 2. eine animatistische (Vorstellung
des Toten als lebendiger Einheit), 3. eine ani-
mistische (-= dualistische Vorstellung, daß der lebendige
Mensch eine Zweiheit von Körper und Seele bildet),
4. die zauberische Vorstellung vom Toten, die zu jeder
der 3 andern Vorstellungen hinzutreten kann. Der sub 1
genannten Totenvorstellung ist der negative Affekt der
Erbfurcht zugeordnet; mit 2—4 ist ein negativer Affekt
verknüpft, die Furcht vor dem als gefährlich erkannten
Toten, und andererseits ein positiver, die Hoffnung auf
einen Nutzen von seiner Seite. Auf einer gewissen Stufe
der Entwickelung kann sich dann an die sub 2 und 3 genannte
Totenvorstellung ein Komplex sympathischer
(anegoistischer) Gefühle anschließen. Das heißt in Handlungen
umgesetzt: zu Anfang stehen die egoistischen
Zweckhandlungen, und zwar a) Abwehrreaktionen, die
der Verf. wieder in die 3 Gruppen der Flucht-, Hinde-
rungs- und Versöhnungsreaktionen einteilt; b) Schutzaktionen
die er wieder in die 2 Gruppen der profanen
Nutzhandlungen und der Kulthandlungen zerfallen läßt.
Während die genannten Handlungsweisen nur das Wohl
der Hinterbliebenen im Auge haben, bezwecken die auf

verhältnismäßig schon sehr früher Stufe der Entwickelung
einsetzenden „anegoistischen", dem Toten etwas
Gutes zu erweisen. Bei alledem bleibt eine Reihe von
Gebräuchen im Rest, deren Vieldeutigkeit inbezug auf
ihre Reaktionsform nach Ansicht des Vf.'s einen sichern
Entscheid nicht zuläßt.

Mit der Zurückhaltung, die Sch. sich hier auferlegt,
darf er sicher am Ehesten auf Zustimmung rechnen;
denn sein Versuch, die übrigen Bräuche in sein Entwicklungsschema
einzureihen, hat mir nur erneut zum Bewußtsein
gebracht, auf wie schwankendem Boden wir
uns hier bewegen. Ist z. B. die Unzugänglichkeit des Bestattungsplatzes
(u. a. Bestattung im Bette eines abgelenkten
Flusses) mehr aus dem Interesse des der Ruhe
bedürftigen Toten oder aus dem der Hinterbliebenen, die
sich vor ihm zu schützen wünschen, zu begreifen? Sch.,
der sie S. 167 im Zusammenhang der Hinderungsreaktionen
aufführt, entscheidet sich für das Zweite.
Aber wenn er S. 196 unter den anegoistischen Handlungsweisen
von den Bestrebungen spricht, die Grabstätte
unkenntlich zu machen in der Befürchtung, daß
Feinde die Leiche stehlen könnten, so hat er hier und dort
doch wohl mit ungleichem Maße gemessen. Wie weit
übrigens das letztgenannte Bestreben gehen kann, zeigt
sich z. B. in dem von Sch. nicht berücksichtigten Brauch
der Anlage von Doppelgräbern, eines wahren und eines
falschen (Frazer, The Golden Bough V, 2 S. 99 f.).
Ebenso sieht Sch. in der Vernichtung des Eigentums des
Verstorbenen S. 171 eine Hinderungsreaktion zum
Schutze der Überlebenden; aber darf dieser Brauch von
dem, dem Toten Frauen und Sklaven in den Tod mitzugeben
, damit sie ihm im Jenseits dienen (S. 102), getrennt
werden? (vorsichtiger Weise behandelt Sch. das
Witwenopfer S. 199 unter den vieldeutigen Reaktionen).
Die Absicht, dem Toten Gutes zu erweisen, liegt nach
Sch. vielleicht z. T. der Sitte zu Grunde, den Leichnam
zu salben und zu parfümieren (S. 195); aber seine
Salbung ist doch offenbar nicht zu trennen von seiner
Waschung, die Sch. wieder einseitig als zauberische
Hinderungsreaktion begreifen möchte (S. 169). Auch
würde ich die Vermeidung des Namens des Toten nicht
als Täuschungsmittel (S. 176), die auf die Leiche oder
das Grab gestreuten Haare nicht (oder höchstens zum
Teil) als Abwehrzaubermittel (S. 178), das Fasten nicht
als Versöhnungsreaktion (S. 181) fassen. Bei der Anfertigung
von Bildern der Toten (nach S. 206 einer „profanen
Schutzaktion") wäre m. E. auch die Möglichkeit
mit in Betracht zu ziehen, daß dem Toten Ersatzteile für
seinen verfallenden Körper beschafft werden sollten; so
kennt der alte Ägypter den „Ersatzkopf", den man sich
durch einen Zauberspruch ansetzen konnte (G. Roeder,
Die Denkmäler des Pelizaeus-Museums zu Hildesheim
1921, S. 20).

Göttingen. Alfred Bertholet.

S y d o w, Eckart von : Ahnenkult und Ahnenbild der Naturvölker.

Mit 20 Abb. Berlin: Furche-Kunstverlag [1924]. (36 u. 20 S.)
gr. 8°. = Schöpfung, Bd. 6. Rm. 3.80.

Den Hauptakzent legt der Verfasser dieser Schrift
auf die künstlerische Seite der Formengebung in der
Schaffung von Ahnenbildern, und ohne Zweifel verleihen
ihr die 20 Tafelseiten mit guten Abbildungen ihren besondern
Wert. Sie regen zu lehrreichen Vergleichen an,
zu denen übrigens der begleitende Text willkommene
Hilfe leistet. Ursprungsgebiete künstlerisch wichtiger
Ahnenfiguren sind Afrika und die Südsee. Die beidseitigen
Typen prägen deutlich die Verschiedenartigkeit
ihres religiösen Charakters aus (und es ist ein Verdienst
dieser Schrift, daß sie sich um die Ergründung
der Impulse, die diese Werke geschaffen haben, bemüht).
„In Afrika das Überwiegen der Einfachheit, Zusammen-
geballtheit, im ganzen ein architektonischer Einschlag
der Struktur; in Ozeanien das Überwiegen der Vielfältigkeit
, Erregtheit, im Ganzen ein malerischer Typus der
Plastik" (S. 27). Innerhalb der ozeanischen Kunst