Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1926 Nr. 1

Spalte:

20-22

Autor/Hrsg.:

Glockner, Hermann

Titel/Untertitel:

Der Begriff in Hegels Philosophie 1926

Rezensent:

Siegfried, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

19

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 1.

20

liehen! Einfachere und in viel höherem Maße grundlegende Wahrheiten
, die hier wichtig sind, kann auch ein Laie verstehen, der
für des Verfassers Gelehrsamkeit kaum von ferne ein Verständnis
hat! Dekan Scheurlen hat, wie in der 2. Auflage seines Buches
über „die Sekten der Gegenwart", so auch in der dritten (Stuttgart
1023) ein „Zwischenkapitel" über „Unsere grundsätzliche Stellung
zu den Weissagungsbüchern der Heiligen Schrift" eingefügt,
das wenigstens gegenüber den Zukunftserwartungen in der H. Schrift
altmodisches Denken einfacher Christen zu verständigerer Gesamtauffassung
der Bibel hinüberführen will; vom „Volksdienst der
Thüringer evang. Kirche in Eisenach" ist ein im großen ganzen
glückliches Flugblatt: „!?! Vom Himmel gefallen" herausgegeben,
das in umfassenderem Maße den gleichen Zweck verfolgt (für 5 Pfg.
und 3 Pfg. Porto vom Volksdienst zu beziehen; 100 Stüde
4 Mk.). Wir brauchen den EB und andern „Sekten" gegenüber
ein Buch, das in wirklich volkstümlicher Weise zunächst eine richtige
Gesamtanschauung von der hl. Schrift und dem „Worte Gottes"
in ihr entwickelt und dann die Torheit der Exegese der EB an den
wichtigsten der von ihnen verwendeten Schriftstellcn dartut. Dem
„Urtext" könnte dabei, wo es am Platze ist, sein Recht werden
und der „Elberfelder Bibel" (die zugunsten der Sekten-Abwehr eine
populäre Monographie vertrüge!) ihr Unrecht! Aber ehe nicht die
Unhaltbarkeit ihrer grundsätzlich falschen Stellung zur Schrift den
noch in der alten Inspirationslehre wurzelnden „frommen Kreisen"
wirklich klar gemacht wird, wirkt die Berufung auf den Urtext
wie unevangelisclie Geltendmachung esoterischer Priesterweisheit. Das
i'aul Fiebig das „ideale" Buch über die Bibelauslegung der Ernsten
Bibelforscher schreiben könnte, ist bei seiner Vorliebe für gelehrten
Kleinkram nicht sicher. Jedenfalls bleibt seine vorliegende Broschüre
hinter diesem Ideal weit zurück.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Adickes, Erich: Kant als Naturforscher. Bd. I u. II. Berlin:
W. de Gruvter & Co. 1924/25. (XX, 378 u. VIII, 494 S.) gr. 8°.
I: Gm. 13.50; geb. 15—; II: 24—; geb. 26—.

Die Urteile über Kants naturwissenschaftliche
Leistungen gehen weit auseinander. A. stimmt der
These von Helmholtz zu, „daß die naturwissenschaftlichen
Schriften Kants mit einer Anzahl der
glücklichsten Gedanken ihrer Zeit weit vorauseilen",
daß aber nach naturwissenschaftlicher Methode gewonnene
Ergebnisse bei Kant nicht zu finden sind. Kant
war seiner ganzen Geistesstruktur nach kein Naturwissenschaftler
im strengen Wortsinne, sondern ein abstrakter
Denker, der in kühner Intuition bestimmte Ideen
erfaßte, sie aber nicht im einzelnen durchführte. A.s
zweibändiges Werk ist der Durchführung und Begründung
der These gewidmet, daß da, „wo Kant auf naturwissenschaftlichem
Gebiet neue Wege eröffnet oder spätere
Forschungsergebnisse vorausgenommen hat, er zu
diesen Leistungen nicht durch methodische Arbeit nach
naturwissenschaftlichen Forschungsprinzipien und in naturwissenschaftlicher
Art befähigt worden ist, sondern
durch geniale Intuitionen und kühne Appercus, die
ihm als von der Natur besonders begünstigtem Menschen
, als wissenschaftlichem Genie zufielen".

A. bietet eine systematische Darstellung der naturphilosophischen
Ansichten Kants, der dynamischen Theorie
der Materie, der Lehre von der Bewegung, der Ansicht
über Wärme, Feuer, Aether und Aggregatzustände, der
Erd- und Himmelstheorie, der Geologie und physischen
Geographie. Ein Blick auf Kants Geschichtsphilosophie
und Teleologie beschließt die Darstellung. Voran geht
die Analyse der Kantschen Erstlingsschrift über die
wahre Schätzung der lebendigen Kräfte, da ihre Ausführungen
über das Wesen der Kraft und des Raums in
den folgenden Abschnitten vorausgesetzt werden.

Es ist unmöglich, selbst in einer weiter ausgesponnenen
Besprechung, von der ganzen Fülle des Materials
, die A. vor dem Leser ausbreitet, auch nur ein annäherndes
Bild zu entwerfen. Die gesamte Naturanschauung
Kants erscheint in ihrer geschichtlichen Entwicklung
und wird an den Methoden und Ergebnissen
der exakten naturwissenschaftlichen Forschung gemessen.,
Immer wieder findet A. den Satz bestätigt, daß Kant
nicht experimentell naturwissenschaftlich gearbeitet und
deshalb oft daneben gegriffen hat, daß er aber auch oft

in geistvoller Intuition die wertvollsten Einsichten der
späteren Naturwissenschaft vorweggenommen hat.

Es ist erstaunlich, was Kant an heute noch geltenden
Wahrheiten der Naturwissenschaft intuitiv erfaßt hat.
Er nimmt in dem Gedanken des dimensionalen Raumes
die moderne Metageometrie vorweg, er stellt die dynamische
Theorie der Materie auf, er entwickelt eine
fruchtbare Hypothese vom Aether, die die Aggregatzustände
, die Kohäsion und Elastizität, die Wärme- und
Lichterscheinungen erklärt, „eine Komposition, die seinem
Einheitsdrang und seiner synoptischen Kraft alle
Ehre macht". Kant entwickelt ferner in seiner Theorie
des Himmels „Gedanken, die über die systematische
Verfassung des Weltalls, die heute teilweise zum eisernen
Bestand der Astronomie gehören". Er erkennt,
„daß auch die kleinsten Wirkungen und unbedeutendsten
Vorgänge, wenn sie sich nur häufig genug wiederholen,
Größtes zu schaffen vermögen", er findet eine Erklärung
der Passate und Monsune, er gewinnt Einsichten
, die von modernen Vererbungsforschern betont
werden, er definiert den Begriff des Organismus.

So lernt man Kant von einer ganz neuen, wenigstens
in diesem Umfange ganz neuen Seite kennen und
steht erneut staunend vor seinem Geiste, staunend auch,
und vielleicht erst recht, wenn man empfindet, mit
welcher Schnelligkeit sich unsere Zeit philosophisch,
von Kant entfernt. In einem Punkte glaube ich A. widersprechen
zu müssen, nämlich da, wo er bestreitet, daß
Kant die Deszendenztheorie vorweg genommen hat. „Es
ist nicht gerechtfertigt, wenn man ihn einen Vorläufer
der Deszendenztheorie nennt, wie es wiederholt geschehen
ist. Er hat zwar mit solchen Ideen gelegentlich,
wenn er seiner Phantasie freien Lauf ließ, gespielt, sie
aber nie ernsthaft als objektiv begründete Hypothesen
oder auch nur als voraussichtliche fruchtbare For-
schungsmaxime vertreten." Daß die Deszendenztheorie
für Kant doch mehr als ein bloßes Spiel war, scheinen
mir die folgenden Stellen darzutun. In der Rezension
von Moscatis Schrift Über den körperlich wesentlichen
Unterschied zwischen der Struktur der Tiere und Menschen
erkennt Kant den tierischen Ursprung des Menschen
an. In der Schrift von den verschiedenen Rassen
der Menschen erwartet er von der Entwicklungsgeschichte
, daß sie uns „Abartungen von dem Urbilde
der Stammungsgattung" liefern würde. In der Kritik
der teleologischen Urteilskraft heißt es (§ 65) von der
Natur: „Sie organisiert sich selbst und in jeder Spezies
ihrer organisierten Produkte, zwar nach einerlei Exemplaren
im Ganzen, aber doch auch mit schicklichen Abweichungen
, die die Selbsterhaltung nach den Umständen
erfordert."

Wenn die reine Intuition es Kant ermöglicht hat,
eine solche Fülle naturwissenschaftlicher Grundideen
zu fassen, so muß ihr doch wohl eine größere Bedeutung
zukommen, als ihr gemeinhin zugestanden wird.
Wenn sie schon auf dem Gebiete der Natur über die Ergebnisse
empirischer Forschung hinausweist, so muß das
auf dem Gebiete der Kultur erst recht der Fall sein. Es
würde ein besonderer Erfolg des Buches von A. sein,
wenn es die Diskussion über Wesen, Kraft und Bedeutung
der Intuition neu anregte. Wir Theologen könnten
dafür nur dankbar sein.

Minden. Kurt Kessel er.

Glockner, Friv.-Doz. Hei mann: Der Begriff in Hegels

Philosophie. Versuch einer Ionischen Einleitung in das metalogische
Grundproblem des Hegelianismus. Tübingen: J.U.B. Mohr 1924.
(VIII, 87 S.) gr. 8°. = Heidelberger Abhdlgn. z. Philos. u. ihrer
Geschichte 2. Rm. 4—.

Der übergreifende Gesichtspunkt, unter dem Verf.
an sein Thema herantritt, wird von ihm selbst durch die
Frage ausgesprochen: „Wie verhalten und bestimmen
sich die rationalen und die irrationalen Faktoren in der
Welt?" Eine knappe, scharf durchgearbeitete historischsystematische
Grundlegung behandelt die Entwicklung
der Begriffe von Aristoteles bis Hegel. Trotz entgegen-