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Ausgabe:

1926 Nr. 14

Spalte:

373

Autor/Hrsg.:

Wotschke, Theodor

Titel/Untertitel:

Scharffs Briefe an Cyprian 1926

Rezensent:

Seeberg, Erich

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373

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 14.

374

gezeigt, die im Gegensatz zur echten, „gesunden" und
kulturfreundlichen katholischen Mystik das „Irrationale"
rational oder pantheistisch fassen soll. Ich kann mir die
Wiedergabe weiterer Einzelheiten ersparen. Das Buch
ist typisch für die letztlich nicht bloß unreife sondern
auch unwissenschaftliche Art, mit der große historische
Themata heute gern angefaßt werden, wobei persönliche
Überzeugung und ein paar Einfälle die mühselige und
sich einbohrende Beschäftigung mit dem spröden und
weitverzweigten Gegenstand überflüssig zu machen
scheinen. Es mag sein, daß auch derartige Erscheinungen
sich aus der Krisis erklären, in die unser
Wissenschaftsbegriff getreten ist; aber alles „Verstehen"
kann einen nicht der Pflicht entheben, derartiges im
Namen der Wissenschaft einfach abzulehnen.

Breslau/Halle. E. Seeberg.

Wotschke, D. Dr.: Scharffs Briefe an Cyprian. Sonder-

abdr. aus dem Correspondenzblatt d. Vereins f. Geschichte d. evang.

Kirche Schlesiens, Bd. 18, Heft 1. [Pratau (Kr. Wittenberg):

Selbstverl. d. Verf.) 1925. (72 S.) 8°.

Es handelt sich hier um die kenntnisreiche und
sorgfältige Edition der Briefe des gelehrten Schweidnitzer
Pfarrers Scharff — er hat mehrere Bücher geschrieben
und besaß eine Bibliothek von 6 000 Bänden —
an den letzten Vertreter der Orthodoxie großen Stils,
den Gothaer Hofprediger und Kirchenrat Ernst Salomo
Cyprian, den scharfsichtigen Bestreiter Gottfried Arnolds
und den Paten Semlers. Die Briefe geben weniger
einen Einblick in die gelehrten Pläne Cyprians, obwohl
von seiner geplanten Kirchengeschichte oder von einer
Edition der symbolischen Bücner gelegentlich die Rede
ist; aber sie geben uns einen teilweise recht lebendigen
Eindruck von den Bedrückungen der Evangelischen in
Schlesien namentlich seitens der Jesuiten — öfters wird
etwa der Kampf gegen die lutherischen Hebammen erwähnt
, die sich weigern, die katholische Taufe der
Kinder im Mutterleib zu veranlassen — und sie zeigen
uns manches von dem Leben der Pietisten in Schlesien
— ihre Lektüre, merkwürdigerweise nicht bloß Tauler,
Bernhard, Arnold, Böhme sondern auch Collins, und
wie sie sich damit gegen die Katholiken decken — von
der Kraft der Zinzendorfschen Propaganda und von
den Sorgen des orthodoxen Geistlichen über den Pietismus
, den die Jesuiten-Akademie in Breslau wiederum
benutzte, um zu beweisen, daß sich die Evangelischen im
Pietismus außerhalb der confessio Augustana gestellt
hätten. Merkwürdig ist es, wie wenig der alte Scharff
die Umwälzung durch Friedrich den Großen nach der
Eroberung Schlesiens verstanden hat. Er klagt über den
verschärften Steuerdruck, er sieht als Folge der Frideri-
zianischen Religionspolitik den Machtzuwachs der Sekten
und das Anwachsen des Indifferentismus, in dem er die
Verwandtschaft mit der Aufklärung empfindet; aber
das war doch eben grade in diesem Fall nicht alles,
soweit verbreitet diese Stimmung gegenüber dem Staat
Friedrichs gewesen sein mag. — Als Anhang zu dieser
dankenswerten Publikation ist je 1 Brief von Laurentii
Marawe und J. G. Carpzow an Cyprian beigegeben.

Breslau/Halle. E. Seeberg.

Hls, Prof. Eduard: Die Nuntiatur in der Schweiz. Eine kirchen-
polit. Betrachtung. Zürich: Art. Institut Grell Füssli 1025. (30 S.)
gr. 8°. = Schweizer Zeitfragen, Heft 62. Fr. 1.80.

Eine auch über die Schweizergrenzen hinaus sehr beachtliche
Schrift, aus einem Vortrage erwachsen! Sie gibt einen ausgezeichneten,
durch ruhige Sachlichkeit wirkenden Einblick in staatliche und kirchliche
Verhältnisse. Mit der 1020 eingeführten Nuntiatur (die Ende
1873 aufgehoben war) ist das Schweizervolk überrumpelt worden,
in einem schmählichen Kuhhandel zwischen Katholizismus und Freisinn;
und zwar erfolgte der Handel anläßlich der Abstimmung über den
Heitritt der Schweiz zum Völkerbund. Die demselben nicht günstigen
Katholiken wurden durch kirchenpolitische Konzessionen für den
Völkerbund gewonnen; das schlechte Gewissen des Bundesrates aber
zeigte sich darin, daß im Geschäftsbericht über das Jahr 1920, in
welchem der Bundesrat über alle wichtigeren Maßnahmen seiner
Verwaltungstätigkeit der Bundesversammlung Rechenschaft abzulegen

hatte, sich kein einziges Wort der Begründung fand und nur in den
Personalveränderungen im diplomatischen Korps der Name des neuen
Nuntius (Maglione) genannt war, sodann darin, daß die Bundesversammlung
, trotzdem sie damals gerade versammelt war, nicht
vorher gefragt wurde. War eine solche Befragung des Parlamentes
auch rechtlich nicht notwendig, so „hätte sie doch den demokratischen
Gepflogenheiten entsprochen" — man wollte aber möglichst schnell
über den faulen Handel hinüber; auch die Evangelische Kirchen-
konferenz machte hinterher keine Einwendung mehr. „Ein unverhofft
rascher und leichter Sieg!" Nach einem kurzen Oberblick über die
Erfahrungen mit den früheren Nuntien in der Schweiz werden die
Aufgaben der Nuntiatur (S. 17 Z. 13 lies Exklusion statt Exekution)
und ihre rechtliche Stellung gegenüber Bund und Kantonen fixiert.
Hier wird interessieren, daß der Nuntius infolge Verzichtes des französischen
Botschafters auf den Vortritt Doyen des diplomatischen Korps
geworden ist, oder die eigenartige Rechtslage, daß der Nuntius als
päpstlicher Gesandter nur bei der Bundesregierung akkreditiert ist,
nicht aber bei den Kantonsregierungen, andrerseits der Bund in die
kantonalen Kirchenangelegenheiten sich nicht einmischen darf. Die
Kantone sind also nach Bundesrecht einerseits nicht verpflichtet, in
kantonal-kirchenrechtlichcn Angelegenheiten mit dem Nuntius in direkten
Verkehr zu treten, andernteils auch im allgemeinen gar nicht
berechtigt, mit dem Nuntius als Vertreter einer „auswärtigen Staatsregierung
" einen direkten Verkehr über Angelegenheiten ihrer kantonalen
Kirchenrechtssphäre zu unterhalten; das einzig Zulässige ist der
indirekte Verkehr zwischen Kantonsregierungen und Nuntius durch
Vermittlung des Bundesrates als Vertreters des kantonalen Staats-
willens. Was der Nuntius nun eigentlich tut, wickelt sich fast ganz
im Geheimen ab. Eine viel größere politische Aktivität und
Aggressivität der katholischen Kirche gegenüber Staat und Protestantismus
ist spürbar; belanglos ist also die Zulassung der Nuntiatur
nicht gewesen. Für die Schweizer Bischöfe schafft sie einen sehr zweischneidigen
Ersatz des nach dem Cod. iur. can. zu fordernden Metro-
politanates.

Zürich. W. Köhler

B o h 1 i n, Torsten: Kierkegaards dogmatiska askadning I dess
historiska sammanhang. Stockholm: Svenska Kvrkans Diako-
nistyrelses Bokförlag 1925. (494 S.) Preis 12 Kr. sd.

Dieses Werk ist dadurch für das Studium Kierkegaards
so bedeutsam, weil hier zum ersten Mal eine kritische
Behandlung der zentralen Schriften dieses dänischen
Denkers durchgeführt ist. Das erste Kapitel untersucht
die Frage, ob es berechtigt ist von einer besonderen
dogmatischen Anschauung Kierkegaards zu sprechen
. Für Kierkegaard war die Hauptsache die Anklage,
daß das Christentum der Kirche nur Schein sei. Er
wollte grade nicht neue dogmatische Anschauungen in
die Diskussion bringen. Daß es dennoch berechtigt, ja
j notwendig ist die dogmatische Anschauung zu prüfen,
j behauptet Bohlin mit Recht. Kapitel II und III ana-
I lysieren nun den Sündenbegriff und zeigen, daß zwischen
j „Der Begriff der Angst" und „Die Krankheit zum Tode"
I auf der einen Seite und „Philosophische Brocken" auf
j der anderen Seite ein wesentlicher Unterschied in der
Auffassung der Sünde vorliegt. In „Der Begriff der
Angst" ist die Darstellung von dem Interesse beherrscht,
die Sünde als Tat der Freiheit aufzufassen. In „Philosophische
Brocken" ist alles darauf zugespitzt, den absoluten
Gegensatz zwischen dem natürlichen Menschen, der
mit Notwendigkeit und Unabwendbarkeit in der Sünde
ist, und dem was in Jesus Christus gegeben ist zu behaupten
. Wir entdecken zwei Richtungslinien in Kierkegaards
Gedanken: die Linie der religiösen Erfahrung
und die Linie des Paradoxes. Denn der Sündenbegriff
in „Philosophische Brocken" ist eine Konsequenz von
der Lehre von Christus als dem absoluten Paradoxen.
Kapitel IV, V und VI behandeln in ähnlicher Weise
den Begriff des Glaubens bei Kierkegaard. In dieser Beziehung
sind die zwei Linien direkt wahrzunehmen.
Wenn die Linie der religiösen Erfahrung seine Gedanken
beherrscht, dann ist Glaube die Verwandlung
und Verklärung des menschlich-numinösen, wofür Kierkegaard
einen ausgeprägten Sinn hat, zu einem persönlichen
Gottesverhäftnis, worin Kraft zu einer Überwindung
des Bösen und Heil zu einem neuen Leben liegt.
Wenn die andere Linie die Gedanken beherrscht, dann
ist Glaube intellektuelle Anerkennung des absoluten Paradoxes
, daß dieser einzelne Mensch Gott ist.