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Ausgabe:

1926

Spalte:

371-372

Autor/Hrsg.:

Holtermann, Paul

Titel/Untertitel:

Die kirchenpolitische Stellung der Stadt Freiburg im Breisgau während des großen Papst-Schismas 1926

Rezensent:

Dörries, Hermann

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371

372

fast überall Neues zu bringen, ist W. möglich geworden
namentlich durch die ausgiebige Verwertung der 557
Epistolae Cantuarienses, die von Will. Stubbs 1865 aus
einer Handschrift der bischöflichen Bibliothek von Can-
terbury veröffentlicht worden sind. In Betracht kommen
besonders die Briefe, in welchen die Abgesandten der
beiden vor der Kurie streitenden Parteien, des Mönchskapitels
von Canterbury und des Erzbischofs, über die
Gunst oder Ungunst der wechselnden Päpste berichten.
Das sind aber nicht die einzigen Urkunden, die W. gewissermaßen
der Vergessenheit entrissen hat; überall
macht sich seine ausgebreitete Quellenkenntnis bemerkbar
; man kann Betrachtungen anstellen, wie lange es
doch mitunter dauert, bis neu erschlossenes Material zu
geschichtlicher Verwertung gebracht wird. Gestützt auf
dieses Material kann W. die Gestalten der Päpste jener
Epoche viel schärfer charakterisieren und ihre Politik
viel umsichtiger erklären als es bisher möglich war.
Ich möchte da namentlich auf Clemens III. hinweisen,
dessen Gestalt jetzt ganz plastisch herausgearbeitet wird,
und auf Cölestin III., der nun nicht mehr als ein Bild
seltener Festigkeit und Klugheit in größten Gefahren
erscheint, sondern als ein Mann greisenhaften Schwankens
, der die Kardinäle nach der Führung durch eine
festere Hand verlangen ließ. Wenn sich in den letzten
Jahren Cölestins eine festere Haltung bemerken läßt, so
ist dies auf den Einfluß des Kardinals Johann Colonna
von St. Paul zurückzuführen, den ja auch Cölestin als
seinen Nachfolger wünschte, wobei er freilich auf den
Widerspruch der Kardinäle stieß. Mit besonderer Ausführlichkeit
wird die Geschichte dieses interessanten
Mannes geschildert; die Schilderung kann uns einen
guten Einblick geben in die so mannigfaltigen geistigen
Strömungen und den großen Gedankenreichtum des ausgehenden
12., beginnenden 13. Jahrhunderts. Namentlich
wird seinem Verhältnis zu Franz von Assisi und
seinen Bestrebungen Aufmerksamkeit geschenkt und daran
aufgewiesen, wie gerade in den Jahren der Erschlaffung
, als welche die Jahre 1177—1197 erscheinen,
doch auch neue Kräfte sich regen, die den Sieg des
hierarchischen Gedankens, wie er mit Innocenz III.
kam, in gewisser Weise wett zu machen berufen waren
und den drohenden Umsturz hinausschoben.

An die Kurie von Avignon versetzt uns die zweite
Arbeit Wencks. Zwar ist Johann von Göttingen
(f 1349), von dem er in ausgebreiteter Gelehrsamkeit
zusammenstellt, was uns die Quellen aufbewahrt
haben, nicht der Leibarzt mehrerer Päpste
gewesen, aber mehrerer Kardinäle, unter ihnen
Jacob Stephaneschis, und hat als solcher versucht,
geistliche Stellen, auch Bistümer zu erlangen, was ihm
doch nur schlecht gelungen ist. Früher war er Leibarzt
Ludwigs des Bayern gewesen und hat in Deutschland
als bedeutender Arzt gegolten. In Avignon hat er aus
seiner deutschen Gesinnung kein Hehl gemacht. Uns
ist Wencks Schilderung wertvoll als ein Bild der Klerika-
lisierung der Stände und gerade darum kann es typisch
sein für den Charakter des späteren Mittelalters.

Kiel. O. F ick er.

Holtermann, Dr. Paul: Die kirchenpolitische Stellung der
Stadt Freiburg im Breisgau während des großen Papst-Schismas.
Freiburg i. EVr.: Herder & Co. 1925. (IV, 132 S.) gr.8°. = Abhandlungen
z. oberrhein. Kirchengesch., Bd. 3. Rm. 1.80.

Eine Freiburger Dissertation, die Bildung, Ausdehnung
und Auflösung des deutschen avignonesischen
Obedienzbezirks untersucht, der schon bald in Freiburg
seinen Mittelpunkt erhalten hat. Auf deutschem Boden
fast nur den politischen Interessen Herzog Leopolds
III. von Österreich ihre Entstehung dankend, hat die
Kirchenspaltung hier wie überall mannigfache verderbliche
Wirkungen gehabt (Interdikt, das vor allem den
schwächeren klementistischen Teil schädigte; Repressalien
gegen den Handel der Städte dieser Partei; Spaltung
auch der Orden u. s. w.). Daneben sind in diesem Streit

doch auch Einrichtungen geschaffen, die sich als dauerhaft
erwiesen; so besonders die Einsetzung eines ständigen
Offizials in Freiburg, — eine Loslösung vom
Konstanzer geistlichen Gericht, die vielleicht die kirchliche
Selbständigkeit Freiburgs vorbereitet hat.

Die Bedeutung einzelner Persönlichkeiten auch in diesen Parteikämpfen
(wie des klementistischen Legaten d'Aigrefcuille oder des
urbanistischen Bischofs von Konstanz Nikolaus v. Riesenburg) tritt
hervor. S. 77 f. erhält man einen Eindruck von der Sorgfalt, mit der
die Städte die Kompetenz des geistlichen Gerichts eingrenzen, sich
gegen übergroße Inanspruchnahme des weltlichen Arms durch den
klerikalen Richter zu schützen suchen.— Ist es aber richtig, wenn S. 83
Anm. 2 ganz allgemein behauptet wird: „Das Institut des Archi-
diakons . . . war damals schon zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken
"?

Der Wert der Arbeit liegt darin, daß hier zuerst mit
größerer Ausführlichkeit aus der Freiburger Stadtgeschichte
eine Periode dargestellt wird, die wegen der
eigentümlichen Verflochtenheit der allgemein - euro-
I päischen Zustände von mehr als lokalgeschichtlicher Bedeutung
war.

Tübingen. Hermann Dörries.

Luther, D. Martin: Erklärung des Briefes St. Pauli an die
Galater. Hrsg. v. Calwer Verlagsverein. 2. Aufl. Stuttgart:
Calwer Vereinsbuchh. 1925. (368 S.) kl. 8°. geb. Rm. 3—.

Zugrundegelegt ist nicht der kleine Kommentar von 1519 (verkürzende
Bearbeitung 1523) sondern der „große" von 1531 (Druck
1535). Stellen aus dem kleinen sind in Fußnoten befgefügt. Benutzt
ist für den großen Kommentar die Übersetzung von Justus Menius
(1539), für den kleinen die von Vinzentius Heydnecker (1525).

Das Vorwort greift nicht sehr tief. Über die Unterschiede der
Druckbearbeitung von 1535 von der in der WA abgedruckten Kollegnachschrift
von 1531 (vgl. darüber jetzt G. Schulze in Theol. Stud.
u. Krit., Lutheranaheft IV, 1926) ist der Herausgeber nicht unterrichtet.
Er ist sich also nicht bewußt, daß er dem Leser einen abgeschwächten
und verdünnten, nicht den ursprünglichen Luther bietet.

Die Herausgabe mag ihren Wert haben als buchhändlerisches
Unternehmen. Die Verantwortung, die auch gegenüber einer populären
Lutheredition besteht, haben Verleger und Herausgeber nicht
empfunden.

Königsberg i. Pr. Fritz Blanke.

Reinhardt, Dr. Kurt: Mystik und Pietismus. München:
Theatiner-Verlag 1925. (256 S.) kl. 8°. = Der katholische Gedanke
, Bd. 9. geb. Rm. 4—.
Ein Buch über dies Thema nimmt man mit gespannter
Erwartung in die Hand. Denn in der Tat
könnte man so das Grundproblem des Pietismus formulieren
, wobei die Frage nach dem Verhältnis zu Luther
implicite mitgesetzt sein könnte. Gewiß, der Pietismus ist
| mehr als kirchlich gewordene Mystik; die von Holl
stark betonte Verbindung mit Luther, das Verhältnis zu
Wissenschaft und Politik und zur Aufklärung, die Art
der Mystik oder besser der Renaissance der Mystik im
17. Jahrhundert, die ohne den Zusammenhang mit dem
„Historismus" dieses Jahrhunderts gar nicht verstanden
werden kann, die höchst interessanten Reformbewegungen
innerhalb der Orthodoxie selbst, all das — und
es könnte durch Nennung von ein paar Namen rasch
veranschaulicht werden — zeigt einige Kapitelüberschriften
, zu denen man in einer Untersuchung über
Mystik und Pietismus gelangen würde.

Aber von alle dem findet sich in dem vorliegenden
Buch nichts. Wir bekommen einige recht allgemeine
und langweilige Auseinandersetzungen über Magic und
Mystik, d. h. über „falsche" und „wahre" Mystik, in die
auch Bemerkungen zu der bekannten soziologischen
Konstruktion von Max Weber und Ernst Troeltsch eingeflochten
sind; wir erhalten sodann recht einseitige
und oberflächliche Betrachtungen über die Bedeutung
der katholischen Restauration für die Entwicklung der
deutschen Literatur im 17. Jahrhundert, wobei Bloch und
Landsberg gelegentlich als Autoritäten für Luther zitiert
werden (!); schließlich wird dann in ebenso schiefen
wie leichtgeschürzten Analysen von Gottfried Arnold,
Tersteegen und Zinzendorf der „ausbrüchige und ausschweifende
" Charakter der pietistischen Mystik auf-