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Ausgabe:

1926 Nr. 11

Spalte:

300-301

Autor/Hrsg.:

Ried, Karl

Titel/Untertitel:

Moritz von Hutten Fürstbischof von Eichstätt (1539-1557) und Glaubensspaltung 1926

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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299

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 11.

300

W. gibt zunächst 8 Urkunden zum Bauernkriege (die zwölf
Artikel; die Reformationsartikel Friedrich Weygands; den Vertrag des
odenwäldischen Haufens mit den Grafen Hohenlohe; ein Bauernlied
von 1525; die Einsetzung des neuen Rates zu Mülhausen; Thomas
Müntzers Aufruf an die Mansfelder Bergleute; den Erfurter Entwurf,
nebst Luthers Glossen und dem Briefwechsel des Rats mit ihm;
schließlich die bekannten Briefe Friedrichs des Weisen an seinen
Bruder aus den letzten Wochen seines Lebens). Im zweiten Teil folgen
dann „Schriften Luthers zum Bauernkrieg", d. h. neben den drei bekannten
Schriften 3 Briefe des Reformators an Johann Rühel, vom
4., 23. und 30. Mai 1525. Die Schreibweise ist stärker als in der
ersten Sammlung modernisiert. Der Herausgeber hat nicht überall
die besten Quellen eingesehen; z. B. bringt er die Lutherbriefe und
Thomas Müntzers Aufruf nach Walch!

Vor allem aber läßt er Dokumente, deren Kenntnis
für die Würdigung Luthers unerläßlich ist, fort. Es
fehlt aus der Zeit vor der Schlacht von Frankenhausen
Luthers Vorrede und Nachwort zu dem Vertrage vom
22. April zwischen dem schwäbischen Bunde und den
Bodensee- und Allgäubauern; es fehlt weiter — und
das ist unverzeihlich! — der Schluß der von Luther
herausgegebenen „Schrecklichen Geschieht" (W. A.
XVIII, 367 ff.), in dem Luther, wenige Tage nach der
Schlacht bei Frankenhausen, dem Siegerübermute der
Herren ernst entgegentrat und öffentlich Schonung
der Gefangenen und derer, die sich ergeben, erbat; es
fehlt der verwandte, wichtige Brief vom 21. Juli an
den Erzbischof Albrecht von Mainz (E. A. 53, 324), in
dem Luther das Erbarmen mit den „armen Leuten" den
Fürsten ins Gewissen schiebt: „so ist nicht gut, Herr
sein mit Unlust, wider Willen und Feindschaft der
Untertanen, es hat auch keinen Bestand".

Man kann dem Herausgeber diese Fahrlässigkeit
umso weniger hingehen lassen, als das Nachwort,
das er den Texten anfügt, mit dem Ansprüche vollständiger
Verwertung der Quellen eine erschreckend unverständige
und leichtfertige Würdigung von Luthers
Haltung gibt. „Er ist nicht mehr der junge Luther",
das steht unter diesem religiös-sozialen Lutherbilde,
das sich von Barges Verzeichnung kaum unterscheidet.
Man müßte Seite für Seite durchgehen, um Wibbeling
zurechtzuweisen. Es ist alles schief und verzerrt oder
halbrichtig. Nur einige Beispiele. Luthers Bemerkungen
zu dem Erfurter Entwurf, deren wahrhaft sozialen,
„antikapitalistischen" Sinn Holl (Luther2 S. 274) mit
Recht hervorgehoben hat, wird mit blödem Auge
schlechtweg als ein „Einlenken in die altgewohnten
tieleise" (147) betrachtet. Vor 1525 sozialkritisch, soll
der Reformator seit diesem Jahre rein konservativ sein
— als ob es, von anderem zu schweigen, seine „Ver-
mahnung an die Pfarrherren, wider den Wucher zu
predigen" von 1540 garnicht gäbe! Aber den „alten"
Luther zu studieren entspricht ja nicht der Mode von
heute. Wer ihn kennt, weiß, daß es nicht so billig ist,
den jungen und den alten in Gegensatz zu stellen. Daß
die Verschiedenheit zwischen Luthers Wort an die Fürsten
und dem an die Bauern in der „Ermahnung zum Frieden
" tiefsten religiösen Grund daran hat, daß L. wohl
christlich-soziale Pflichten der Starken, aber nicht
christlich-soziale Rechte der Schwachen kennt (vgl.
meinen Aufsatz im Luther-Jahrbuch 1925), ahnt W.
nicht; er wagt es, von „Zweideutigkeit, um nicht zu
sagen Doppelzüngigkeit" Luthers zu reden (oder sollten
diese Wendungen nur den Eindruck bei den erbitterten
Bauern wiedergeben?). Warum Luther nicht wie andere
„prophetische Menschen" („man denke doch einmal an
Arnos und Jesajas und Jeremias!", S. 153) sich „auf
die Seite der Vorwärtsdrängenden, erst recht auf die
Seite der Bedrückten, um ihnen zum Recht zu verhelfen"
stellte, ist W. unbegreiflich — der Prophet der großen
Jahre 1517—1522 hat sich „sobald schon in die Reihe der
Kirchenmänner" begeben. Luthers Gedanke vom Dienst-
Amte der Obrigkeit bleibt unverstanden; seine Schriften
„werden mehr und mehr zum Freibrief für Fürsten
und Herren". Genug der Züge dieses Bildes, das wir ja
längst kennen — auch das Urteil Barges über die Flugschrift
wider die Bauern als „Verteidigung der schlimmsten
Gewaltpolitik" wird getreulich wiederholt.

Die furchtbare Tragik, die das Jahr 1525 für
Luthers Verhältnis zu dem niederen Volk bedeutet,
kennen wahrlich auch wir, nein gerade wir; denn erst
dann kann sie in ihrer Tiefe verstanden werden, wenn
man die innere Notwendigkeit, Einheit und Größe von
Luthers Haltung begriffen hat. Ein Zerrbild wie das
von W. gezeichnete, doppelt unentschuldbar in einem
Qu e 11 e n - Buche, kann das schmerzliche Drama der
Vorgänge von 1525 nur verflachen.

Erlangen. P. Alt Ii a u s.

Ried, Di. Karl: Moritz von Hutten Fürstbischof von Eichstätt
(1539—1557) und Giaubensspaltung. Auf Grund archivalischer
Quellen bcarb. Mit e. Bildnis v. Moritz von Hutten. Münster
i. W.: Ascbendorff 1025. (XII, 198 S.) gr. 8°. = Reform ations-
geschichtl. Studien u. Texte, Heft 43 u. 44. Rm. 8—.

Man kann die Frage wohl aufwerfen, ob der
Eichstätter Fürstbischof Moritz von Hutten (1539 bis
1557) eine eigene Monographie verdiene. An seinem
Wandel wird allerdings wenig auszusetzen sein, ein
redlicher Wille läßt sich in all seinen Maßnahmen
wahrnehmen, aber zu den führenden Persönlichkeiten
unter seinen Standesgenossen gehörte er sicher nicht.
Eine prononzierte Stellungnahme vermied er; er suchte,
wo es ging, zu vermitteln. Nachdem schon unter seinem
Vorgänger ein großer Teil des Bistums sich der ev. Lehre
unter dem Schutz der Markgrafen von Brandenburg
und der Reichsstadt Nürnberg angeschlossen hatte, erschlossen
sich unter seiner Regierung noch weitere
weltliche Territorien, wie Neuburg und Kurpfalz dem
neuen Geiste, daß außer seinem Fürstbistum nur noch
das bayrische Gebiet um Ingolstadt in seinem Diözesan-
verband verblieb. Man möchte ihn von einem gewissen
Zaudern und Zagen nicht freisprechen; aber auch energischere
Persönlichkeiten hätten nicht mehr retten können
. Die Verhältnisse waren stärker, als daß sie eine
Person hätte aufhalten können. Dennoch begrüßen wir
diese Arbeit. Der Einblick, den sie in die sittl. und religiösen
Verhältnisse einer süddeutschen Diözese im Reformationszeitalter
gewährt, ist überaus wertvoll. Mit
anerkennenswerter Objektivität zeichnet der Verfasser ein
Bild von Gemeinden und Geistlichen. Es sah wahrlich
trübe genug aus. Tiefe Schäden in den Gemeinden wie
in den Stiften; vom einfachen Ortspfarrer bis zum Domkapitel
viel Niedergang. Man hatte offenbar nach dem
Tode des Bischofs Gabriel von Eyb solchen Mangel an
tauglichen Persönlichkeiten, daß selbst die Exkommunizierung
, die wegen cumulatio von Pfründen Moritz von
Hutten getroffen hatte, seine Wahl zum Fürstbischof
nicht verhindern konnte. Und nun ist das Bild, das der
Verfasser entwirft, eigentlich nur einer Nebenquelle, den
domkapitelschen Rezeßbüchern allem Anschein nach, entnommen
, die sich vor allem mit Verwaltungssachen zu
beschäftigen hatten. Wie würde es sich gestaltet haben,
wenn die Akten des Generalvikariats noch vorhanden
wären. Wahrlich, man versteht es, warum der neue
Glaube sobald Eingang fand. Die Zustände waren
morsch genug, und ein kräftiger Windstoß konnte sie
leicht zum Einstürzen bringen. Zugleich wird aber dieses
Bild wohl typisch sein für die andern geistlichen
Territorien in Franken, sodaß sich auch eine richtige
Beurteilung derselben ermöglichen läßt. Damit wird
aber diese Darstellung zu einer Rechtfertigung der Reformation
überhaupt. Es gibt auf protestantischer wie
kath. Seite Forscher, die behaupten, durch die Reformation
seien die Verhältnisse noch schlimmer geworden
als vorher. Die Namen K. H. Lang, Muck und Döl-
linger bezeichnen die Hauptvertreter. Ja geklagt haben
die ev. Geistlichen genugsam über die Zustände in
ihren Gemeinden und mehr als eine Visitation unternahmen
die ev. Kirchenregierungen. Aber die vielen
Mißstände sind nichts anderes als die Auswirkungen
der früheren Epochen. Wenn es so aussah, wie hier