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Ausgabe:

1926

Spalte:

278

Autor/Hrsg.:

Landsberg, Paul Ludwig

Titel/Untertitel:

Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über den Sinn eines Zeitalters. 3. Aufl 1926

Rezensent:

Lerche, Otto

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Endlich ist zu sagen, daß es eine kultgeschichtliche
Methode nach Analogie einer psychologischen, einer
formgeschichtlichen etc. Methode nicht gibt. Eine solche
Methode beruht auf einer Idee, die ein Wissensganzes
konstituiert und gliedert, wie z. B. die mathematischnaturwissenschaftliche
Methode eine bestimmte Idee
von Natur voraussetzt oder die philologisch-historische
Methode eine bestimmte Idee von Geschichte. Eine
kultgeschichtliche Methode kann es in diesem Sinne
so wenig geben wie z. B. eine kriegsgeschichtliche
. Denn weder Kult noch Krieg sind Ideen.
Faktisch ist denn auch von einer kultgeschichtlichen

Methode" beim Verf. nichts zu merken. Er ist einfach
auf das konkrete Phänomen aufmerksam geworden,
das er Kult nennt, und er behandelt es nach psychologischer
Methode.

Das gleiche Spiel wie mit dem Begriff Kultus wird
mit dem Begriff Mystik getrieben (S. 119 f.), indem
dieser zunächst entleert und unbrauchbar gemacht wird
durch die Definition: Mystik ist „jede Frömmigkeit,
die den Weg zur Gottheit durch innere Erfahrung
ohne rationale Vermittlung direkt gefunden hat". Ein
brauchbarer Begriff würde sich nur ergeben, wenn
sowohl die Art der inneren Erfahrung als auch die Art
der Verbindung mit der Gottheit bestimmt wird. Statt
dessen unterscheidet der Verf. nun wieder zwei Typen,
die agierende und die reagierende Mystik, die auch als
anabatische und katabatische bezeichnet und als Mystik
der Leistung und der Gnade bestimmt werden, womit
nun wieder völlig heterogene Kategorien an die psychischen
Phänomene herangebracht werden. In dieser
Unterscheidung, die im Hinblick auf die Entstehung
des mystischen Erlebens getroffen sein soll (als ob die
Gnade in Anspruch genommen werden könnte, um die
Genesis eines psychischen Phänomens zu verstehen!),
wird eine zweite gefügt im Hinblick auf das Ziel des
Erlebens: entweder die Einung mit Gott oder die Gemeinschaft
mit Gott, egozentrische oder theozentrische
Mystik, Mystik des ästhetischen Rausches oder Mystik
des ethischen Enthusiasmus, persönlichkeitsverneinende
(= egozentrische!) oder persönlichkeitsbejahende Mystik.
Sollen damit zwei Arten des psychischen Erlebens beschrieben
sein? Welchen Sinn hat es dann, von Paulus
zu sagen, daß er gewiß als Jude „wenigstens seinem
Sehnen nach" schon agierender Mystiker (also der
Pharisäer Paulus Mystiker des ästhetischen Rausches!)
war, „nur daß er die wirkliche Gemeinschaft mit Gott
durch seine Aktion nicht erreichte" (S. 121). Innerhalb
einer religionspsychologischen Untersuchung könnte
doch höchstens festgestellt werden, daß sein Agieren
das gewünschte Erlebnis nicht zur Folge hatte; die
Wirklichkeit Gottes ist kein hier verwendbarer Begriff.
Die Konfusion der Begriffe, die die Folge der Verachtung
begrifflicher Arbeit und theologischer Klarheit
ist, schlägt jede Erfassung der Problematik und jede
Diskussion tot, und es nimmt dann nicht mehr wunder,
wenn das „Ich — nein: nicht ich!" — „jene wundervolle
Paradoxie", „die wiederholt aus den Zeilen seiner Briefe
wetterleuchtet", als Symptom des Konflikts zwischen
der agierenden und der reagierenden Mystik in der Brust
des Christen Paulus gedeutet wird (S. 122).

Es ist noch hinzuzufügen, daß die Beilagen, die die wertvolle Abhandlung
über die Oallio-Inschrift enthalten, um einige Stücke vermehrt
sind. Hinzugekommen ist die „Abwehr" gegen Ed. Schwartz'
Besprechung der ersten Auflage, ein Gedicht von Otto Crusius (Santa
Croce, Florenz) und ein Abschnitt „Diagramme", in dem graphische
Darstellungen das Paulus-Verständnis unterstützen sollen. So gewiß
graphische Darstellungen dazu dienen können, Begriffsbeziehungen zu
verdeutlichen, so wenig hat der Verf. die eigentliche Pointe solchen
vertanrens erfaßt; seine „Diagramme" sind die reine Spielerei. Wenn
sieben konzentrische Kreise gezeichnet werden mit den Inschriften
„im Gesetz im Leiden, im Tod, in der Sünde, im Fleisch, in Adam,
n aer weit , unter dem Titel „die sieben Unheilssphären des ,alten'

aU'US.' , w,enn daneben ein einfacher Kreis gesetzt wird mit der
hrschrift „In Jesus Christus" als die „eine Heilssphäre des neuen'
Paulus, so ist damit überhaupt nichts verständlich gemacht umso
weniger, als man leicht auch sieben „Heilssphären" zeichnen könnte.

Erst recht aber führt der Verf. sein Verfahren dadurch ad absurdum,
daß der einfache Kreis einmal die Inschrift „In Jesus Christus", das
andere mal die Inschrift „Ohne Gott. In der Welt" erhält. Denn
wenn der Kreis das Entgegengesetzte bedeuten kann, so bedeutet er
als Kreis überhaupt nichts und muß seinerseits erst durch die Inschrift
erklärt werden. — Die der ersten Auflage beigegebene Karte
mit der Ölbaumzone fehlt; doch können vom Verlage noch eine Anzahl
von Abzügen bezogen werden. Druck und Ausstattung sind
vorzüglich.

Marburg a. L. R. Bultmann.

Landsberg, Paul Ludwig: Die Welt des Mittelalters und wir.

Ein geschichtsphilos. Versuch über den Sinn eines Zeitalters.
3. Aufl. (4.-5. Tsd.) Bonn: F. Cohen 1925. (125 S.) gr. 8°.

Rm. 2.50; geb. 4—,

Diese kleine Schrift L.s haben wir in dieser Zeitschrift beim Erscheinen der
1. Auflage eingehend besprochen (vgl.Th.L.Z. 1923, Nr. 5). Da es sich um
einen ganz unveränderten Neudruck handelt, dürfen wir uns darauf beschränken
, auf die großen Wirkungen, die von Landsbergs Buch ausgegangen sind,
hinzuweisen. Seine Worte von der glühenden Kettung an das Ewige
und vom Zauberklang der Liturgie haben inzwischen vielfach Widerhall
gefunden, sodaß man auf evangelischer Seite nachgerade von einer
Gefahr sprechen kann, die in einer Überschätzung der katholischen
mittelalterlichen Geistigkeit liegt. Es sei gestattet, im Anschluß
daran auf eine Arbeit desselben Verfassers hinzuweisen und zwar auf
die „Probleme des Kultus" in den Kölner Vierteljahrsheften für
Soziologie, Jahrgang 4, Heft 3/4, Seite 154/173. Landsberg geht
auch da in erster Linie von katholischen Anschauungen und Einrichtungen
aus. Für das evangelische Bewußtsein ist der soziologische
Charakter des Kultus vielfach ohne weiteres gegeben. Wieviel stärker
aber die soziologischen Bindungen im katholischen Kultus sind, geht
aus diesen Darlegungen Landsbergs eindeutig hervor.

Weimar. Otto Lerche.

Vollmer, Hans: Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen
Volkskunde des Mittelalters. Bd. 2, Teil 1: Eine
deutsche Schulbibel d. 15. Jahrb. Historia scholastica des Petrus
Comestor in deutschem Ausz. mit lat. Paralleltext erstmalig " hrsg.
Genesis bis Ruth. Mit 4 Taf. in Lichtdr. Berlin: Weidmann 1925.
(XXXIV, 368 S. mit Abb.) gr. S°. Rm. 24—

Von Vollmer's „Materialien" erschien 1912 Halbband
I 1: Ober- und mitteldeutsche Historienbibeln,
1916 Halbband I 2: Niederdeutsche Historienbibeln und
andere Bibelbearbeitungen. Jetzt schenkt er uns in dem
vorliegenden Halbband II 2 eine kritische Ausgabe der
1. Hälfte des Textes, den er bei der Untersuchung der
oberdeutschen Historienbibeln in Halbband I 1 in der
dort mit III a bezeichneten Handschriftengruppe vorgefunden
hatte. Es handelt sich um eine deutsche Bearbeitung
der Historia scholastica des Petrus Comestor
(um 1175 Kanzler der Pariser Kirche), die im 13.—15.
Jahrh. eines der gelesensten Bücher war, nicht nur in
Frankreich, sondern in ganz West- und Südeuropa.
Diese Bearbeitung läßt durch Kürzung bezw. Streichung
des gelehrten Beiwerks den Charakter der Schulbibel
noch mehr hervortreten. Sie ist von einem Geistlichen
im bayrisch-österreichischen Sprachgebiet um 1400 hergestellt
worden. Die in Halbband I 1 unter III b besprochenen
Handschriften sind eine Erweiterung dieses
Auszugs. Während in den Handschriften der Gruppe
III a die deutsche Bearbeitung sich auf den alttestament-
lichen Teil der Historia scholastica beschränkt, ist in
III b ein neutestamentlicher Teil hinzugekommen, der
aber auf andere Quellen zurückgeht. Vollmer's Textausgabe
bietet nicht nur den deutschen Text, sondern
auch, soweit zum Vergleich erforderlich, die lateinische
Vorlage, die, da der Abdruck bei Migne sich als ungenügend
erwies, oft erst aus Inkunabeln und Frühdrucken
und Handschriften konstituiert werden niußte. Eine entsprechende
verkürzte lateinische Historia scholastica hat
sich nicht nachweisen lassen; jener Geistliche hat (anscheinend
mit von pädagogischen Gesichtspunkten, wie
schon erwähnt, geleitet) aus dem vollständigen lateinischen
Orginal ausgewählt, was er übertragen wollte.
Leider konnte zunächst nur die 1. Hälfte des Textes
gedruckt werden; Halbband II 2 wird den Rest des
Textes, I. Regum bis 2. Makkabäer, ferner einen Teil der
Zusätze der Handschriftengruppe III b, endlich ein