Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1926 Nr. 9

Spalte:

259

Autor/Hrsg.:

Gemmer, Anders

Titel/Untertitel:

Sören Kierkegaard und Karl Barth 1926

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

259

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 9.

260

Voraussetzungen der katholischen Mission. Von besonderem
Interesse ist § 12 De subiecto fidei propa-
gandae und § 14 über das Verhältnis der katholischen
Mission zu den protestantischen Missionen, wobei Fragen
berührt werden, die zur Zeit, als Deutschland noch
im Besitz seiner Kolonien war, viel erörtert worden sind.

Dem Verhältnis zwischen „Mission und Staat" ist
der zweite Teil gewidmet, der drei viertel des ganzen
Bandes füllt. Die rechtliche Stellung der christlichen
Mission in Ostasien, China und Japan, in den überseeischen
Kolonialreichen europäischer Völker sowie in den
selbständigen Staaten Amerikas und Afrikas wird durch
die Jahrhunderte hindurch verfolgt bis zu ihrem gegenwärtigen
Entwicklungsstand; daran schließt sich die
Stellung der Mission in den völkerrechtlichen Verträgen
der Neuzeit, die von mir erstmalig 1921 in der Festgabe
für A. Harnack behandelt worden ist. Jeder Missionshistoriker
wird diese Sammlung schwer erreichbaren
Materials mit Freude begrüßen. Man könnte ihr auch
die Überschrift geben: Geschichte der Religionsfreiheit
in den nichtchristlichen Ländern.

Güttingen. Carl Mirbt.

Gemmer, Anders, u. August Messer: Sören Kierkegaard und

Karl Barth. Stuttgart: Strecker & Schröder 1925. (XII, 307 S.)

8°. Rm. 4—; geb. 5—.

Philosophie und Theologie auseinanderzuhalten, ist ein hoffnungsloses
Bemühen. Zeigen wir Theologen uns eifrig, bisweilen fast zu
eifrig, von Philosophen zu lernen, so ist es zu begrüßen, wenn auch
Fachph losophen si h mit theologischen Leistungen auseinandersetzen.

In diesem Falle ditnt die Darlegung und Kritik der Gedankenwelt
Kierkegaards durch Gemmer — die den Zusammenhang der
K.schen Gedanken mit seinem persönlichen Erleben betonende Darlegung
ist bemerkenswert durchsichtig, die Kritik kurz, insbesondere
den extremen Dualismus und das absolute Paradox bemängelnd — als
Einleitung für die ausführlichere Auseinandersetzung Messers mit
Barth. Schon der darstellende, mit allzureichlichen Zitaten aus dem
Römerbriefkommentar beschwerte Teil zielt auf das ethische Problem
und sucht zu beweisen, daß bei Barth neben der schroffen Entgegensetzung
Gottes und des Göttlichen einerseits, des Menschen und des
irdischen andrerseits und neben der radikalen Abwertung des Letzteren
, zwar weniger betont, aber unverkennbar eine Gedankenreihe
hergehe, die zwischen Gott und Mensch, ewigen und zeitlichen
Werten eine positive Beziehung setze. Wozu ich bemerken möchte,
daß diese Barth/sehe Positivität mir fragwürdiger erscheint als dem
wohlwollenden Philosophen. In dem beachtlichen kritischen Teil
glaubt Messer die eigentliche Theologie ausschalten zu dürfen. Denn
da Gort nach B, der absolut Unbekannte sei, könne man ihn getrost
ignorieren, eine Behauptung, die zu kräftigem Protest herausfordert.
Denn der unbekannte Gott B.s ist nichts weniger als eine fragliche
Hypothese, sondern der Erste und Letzte, die Voraussetzung alles
Denkens und Wertens. Mir scheint eine ontologische Interpretation
der Barth'schen Tendenz weit eher gerecht zu werden als eine bloß
wertphilosophische, wie M. sie versucht. Jedenfalls ist nach B. das
wahrhaft Gute den Menschen in demselben Sinn und Grade unbekannt
wie Gott selbst. M. konfrontiert nun dem B.schen Wertdualismus
seine vermittelnde an Kant anschließende Wertphilosophie, derzufolge
der ideale Wert zwar nie zeitlich verwirklicht, aber in unendlichem
Progressus angestrebt werden kann. Bs Widerspruch erklärt er sich
durch einen noch nicht abgestoßenen religiösen Urinstinkt des Grauens
vor dem Oberirdischen, sowie durch eine gefühlsmäßige Nachwirkung
der orthodoxen Erbsündenlehre. Immerhin räumt er ein, daß die Betonung
der Distanz gegenüber allzu dreistem, zudrängendem Optimismus
seine Berechtigung habe. Müssen wir urteilen, daß infolge des
Ausbrechens des Zentrums, um das B.s Gedanken kreisen, nämlich des
Gottesgedankens, dem gegenüber, wenn ernst genommen, jenes „primitive
" Erbeben wohl am Platze ist, die Messerschen Auseinandersetzungen
nicht in die letzte Tiefe dringen, so kann man zugeben,
daß er einigen Grund hat, dem Verfasser des Römerbriefkommentars
in seiner Urbanen Weise über das Paradox, seinen berechtigten Sinn
und seine Grenzen Vorhaltungen zu machen. Bedauert habe ich es,
daß M. die Abhängigkeit der B.schen Theologie von der Marburger
Kantschule nicht zum Gegenstand der Erörterung macht. Das ist ein
Thema, dessen Bearbeitung durch einen Philosophen sehr erwünscht
sein würde.

Iburg. W. Thimme.

Stavenhagen, Kurt: Absolute Stellungnahmen. Eine ontologische
Untersuchung über d. Wesen d. Religion. Erlangen: Verl.
d. Philos. Akad. 1925. (X, 224 S.) gr. 8°. Rm. 9.60; geb. 12—.
Die Abhandlung ist ein neuer Versuch, dem Problem des Wesens

der Religion phänomenologisch beizukommen. Mit der übrigen Phänomenologie
(Husserl, Scheler, Gründler u. a.) teilt sie die schroffe
Absage an allen Psychologismus. Nicht das Psychisch-Seelische —
das Reale — soll Untersuchungsgegenstand sein, sondern das Gntische:
Ob es in der empirischen Wirklichkeit, in der Welt des Erlebens
tatsächlich und konstatierbar derartige Vorgänge gibt, interessiert den
Forscher nicht. Die Verbindungslinien, ja Wahlverwandtschaft mit
der Scholastik werden bei solcher Zuspitzung des phänomenologischen
Antipsychologismus sichtbar.

Von der Fülle religionsphilosophischer Probleme beschränkt
sich der Verfasser auf die Untersuchung des Ich-Vorgangs beim Religiösen
. Er meint, daß das religiöse Erleben, von der Ichseite her betrachtet
, auch abgesehen von der Beziehung auf einen besonderen
Gegenstand etwas qualitativ Eigenes habe, daß also, um nur die zwei
wichtigsten beim religiösen Leben auftretenden Ichbestimmtheiten
hervorzuheben, Furcht und Liebe nicht erst als Gottesfurcht und
j Gott es liebe etwas von aller sonstigen Furcht und Liebe verschiedenes
seien , sondern als Ichvorgänge abgesehen von ihrer
Gottbeziehung eine Bestimmtheit aufweisen , die ihren religiösen
Charakter bedingt. Und das ist nach dem Verf. ihre bis ins
Unendliche gesteigerte spezifische Tiefe — darunter nicht die mehr
oder minder hinreißende psychische Erlebniskraft verstanden, sondern
den eben nur phänomenologisch faßbaren Erlebensgehalt. Es handelt
sich bei religiösen Vorgängen um absolute Stellungnahmen
(z.B. Schleiermachers Abhängigkeitsgefühl). Die u ihcre Darstellung
erfolgt im Anschluß an Ottos Gegensatz des Numinosen und
Faszinosen.

Es ist klar, daß die Untersuchung das religiöse Problem bei der
selbstgewollten Beschränkung auf den I hvorgang nur halb sehen
kann, denn Religion ist ja erst als Beziehung zum religiösen Objekt
voll charakterisiert. Es ist aber interessant, wie trotz dieser Beschränkung
bereits das Ganze der religionsphilosophischen Problematik
sich wenigstens von fernher geltend macht, insofern als der religiöse
Ich-Vorgang als solcher eben nicht bloß Ichvorgang sein kann, sondern
als absolute Stellungnahme die Grenzen des Ichs sprengt, dadurch
daß das eigene Ich als Glied einer Relation erlebt wird, dessen anderes
— „Er" ist. Die monistische Immanenz der Mystik enthüllt sieh unter
theoretischer Lupe als die dualistische Transzendenz eines Gegenübers
von „Ich" und „Er", in die wir durch das religiöse Erleben hineingehoben
werden und aus der wie aus einem geschlossenen Kreis keine
echt religionsphilosophische Betrachtung herauskommt, auch wenn sie
sich nur mit der Ichseite des religiösen Vorgangs befassen sollte.
Heidelberg. Robert Wink ler.

Scheler, Max: Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre
. III. Bd. (in 2 Bdn.): Christentum u. Gesellschaft. Leipzig:
Der Neue Geist-Verlag 1924. (VIII, 235 u. IV, 175 S.) gr. 8°.

Rm. 10—; geb. 15—,

„Was die sämtlichen Aufsätze beider Teile des
dritten Bandes zur Einheit verbindet, ist das Interesse
I an den Auswertiuigsmöglichkeiten religiöser Ideen und
religiöser Energien für die Gestaltung gesellschaftlichen
Daseins", Vorrede VII.

Der erste Aufsatz behandelt eine wichtige Voraussetzung
für das Wirksamwerden der religiösen Kräfte,
den Frieden unter den Konfessionen. Dieser ist nach
Sch. nur möglich, wo Glaube als freier Akt anerkannt
wird, während die Meinung, Glaubensgegenstände rational
beweisen zu können, zu Fanatismus führt, S.7. Seine
sittlichen Wurzeln sind 1. das allgemeine christliche
Liebesgebot, 2. der besonders der katholischen Kirche
wichtige Grundsatz: Interficite errores, diligite homines,
3. Anerkennung des Naturrechtes, dem das öffentliche
politische Leben untersteht, 4. die Forderung, in Glaubenssachen
nie bloß reaktiv zu handeln, S. 8 ff. Religiöser
Hader entsteht großenteils durch Verflechtung irdischer
Interessen mit den religiösen Gegensätzen, und der erste
Schritt zur Verständigung ist eine grundsätzlich sachliche
Austragung des Kampfes. Warum sind jetzt in
Deutschland die religiösen Motive verhältnismäßig so
schwach wirksam, S. 16, treten zielsetzende Vernunftkräfte
allzusehr zurück hinter Verstandeskräften, die die Mittel
zum Zweck wählen, so daß bei der eingerissenen Zersplitterung
sich die Notwendigkeit eines zentralistischen
Obrigkeitsstaates ergab, der das Auseinanderstrebende
notdürftig zusammenhält? Der Grund liegt in den bis-
zur Erschöpfung geführten Glaubenskämpfen, die
schließlich in der Maxime „Quieta non movere" versandeten
, S. 18 ff. Wenn nun eine neue geistigere Auseinandersetzung
beginnt, sollte man sich wenigstens in der