Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1926 Nr. 9 |
Spalte: | 255-257 |
Autor/Hrsg.: | Hiltebrandt, Philipp |
Titel/Untertitel: | Die kirchlichen Reunionsverhandlungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 1926 |
Rezensent: | Weidemann, Heinz |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
255
Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 9.
266
Gemeinden eingedrungen? Blieb sie immer ein Fremdkörper
(Korrespondenzblatt für die ev. luth. Geistlichen
in Bayern 1925 Nr. 48 S. 436) oder ist sie nicht
doch heimisch geworden? Dem Ergebnis, daß der Erlaß
des Markgrafen Friedrich 1743 alles ausgetilgt
habe, will man doch nicht ohne weiteres zustimmen.
In so mancher Familie kann man doch ein Nachwirken
der Herrnhutischen ' Epoche jetzt noch wahrnehmen*
Diese Frage kann nur dann aber gelöst werden,
wenn die Geschichte des 18. Jahrhdts. für ganz Franken,
vor allem Nürnberg, Ansbach, Bayreuth — untersucht
wird. Es gilt den Männern, die die Führer der neuen
Bewegung waren: Joh. Adam Rabe (* 22. V. 1673
zu Marktbreit, hier wirkte ein Justus Reiz und
sein Sohn Mag. Joh. Adam Leonh. Reiz. R. Ploch-
mann. M. Joh. Adam Leonh. Reiz. Erlangen 1867) und
J. Gg. Rosenbach einmal nachzugehen und zu klären,
wieweit sie in den Gemeinden Boden fanden. Insbesondere
scheint es nötig zu sein, einmal die geistigen
Strömungen der alten Reichsstadt Nürnberg zu erforschen
, es scheint auch in diesem Jahrhundert für viele
fränkische Gebiete der geistige Mittelpunkt gewesen
zu sein. Wiederholt kommen auch in der vorliegenden
Arbeit die Beziehungen zu Nürnberg zur Sprache. Es
war eben doch die Gegend um Neustadt nicht eine abgeschlossene
markgräfliche Enklave, nein sie stand mitten
drinnen im geistigen Leben der Fränkischen Lande.
Einen Rabe oder Rosenbach beengten die Grenzen des
Markgraftums keineswegs, sie reichten überall hin ihre
Hände, wo man in sie einschlug.
Das Buch führt eine Reihe von Persönlichkeiten vor
Augen; man wird jetzt manchem erst nachgehen können
(so Jacobi S. 19, v. Berner in Ipsheim S. 96); auch werden
mancherlei Schriften erwähnt, die wohl noch einer
genaueren Würdigung wert wären (S. 19; S. 95; 131:
was ist das für ein bekanntes Gedicht, Muffel der neue
Heilige?) Schade, daß das Register nicht ganz genau
ist, gerade die Namen der Separatisten sind vergessen,
und auch bei den Schriften, die die einzelnen zur Erbauung
benutzten, die Abbreviaturen des 18. Jahrhdts.
benutzt wurden. Die Beziehungen zu Rothenburg hätten
vielleicht auch manches Licht auf die Windsheimer
Periode werfen können. Aber das, was der Verfasser
bot, ist so vielgestaltig, daß es zu begrüßen ist, daß die
Arbeit doch noch zum Druck gebracht werden konnte.
Roth. Karl Schornbaum.
Völker, Prof. D. Dr. Karl: Die religiöse Wurzel des englischen
Imperialismus. Tübingen: J. C. B. Mohr 1024. (28 S.) gr. 8°.=
Sammlung gcmeinverständl. Vorträge u. Schriften aus d. Gebiet d.
Theologie u. Religionsgesch. 108. Rm. 1—.
Ein gutes Drittel der Schrift des Wiener Kirchenhistorikers sucht
einen Überblick über die Entwicklung Englands von Elisabeth bis auf
Gromwell zu geben, um die politischen Voraussetzungen für die Entstehung
des englischen Imperialismus aufzuzeigen, den V. von Gromwell
datiert. Diese Darstellung enthält zwar manches Unrichtige und
Schiefe, das hier aber nicht im Einzelnen richtig gestellt zu werden
braucht, da das eigentliche Thema der Schrift davon nicht berührt
wird. Im Hauptteil wird die religiöse Wurzel des englischen Imperialismus
richtig auf die calvinische Prädestinationslehre zurückgeführt
und aus ihr der Glaube Cromwells an die Mission des englischen
Volkes, das Reich Gottes auf Erden auszubreiten, abgeleitet
, ein Glaube, der in zeitgemäß sich wandelnder Gestalt durch
die Jahrhunderte fortlebt und die Pfeiler der englischen Weltherrschaft
stüzt: Seeherrschaft, Kolonialpolitik, Wirtschaft. Belege dafür
werden aus der englischen Literatur im Anschluß an Brie
(Imperialistische Strömungen in der engl. Literatur. „Anglia" 1016)
beigebracht. Die Wirtschaftsethik wird im Sinne von Max Weber
und Troeltsch verstanden. Neues enthält die Schrift nicht, ist aber
brauchbar als knappe Zusammenfassung der Gedankenreihen, die
das Diesseits mit dem Jenseits im englischen Imperialismus verbinden
.
Göttingen. A. ü. Meyer.
Hlltebrandt, Philipp: Die kirchlichen Reunionsverhandlungen
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Ernst August von Hannover und die katholische Kirche. Rom;
W. Regensburg 1022. (XI, 232 S.) 4°. = Bibl. d. preuß. histor.
Instituts in Rom, Bd. 14. Rm. 6—.
Ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Re-
■ Unionsverhandlungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
I hunderts! Mit sicherer Hand und guter Kenntnis zeich-
j net der Verfasser den Rahinen, in dem sich diese Verhandlungen
abspielten, und deckt dann unnachsichtig
I die politischen Motive auf, die hinter ihnen standen.
! Die vom Verfasser zum ersten Male vorgenommene
Durchsicht der einschlägigen vatikanischen Akten hat
ihm reiches Quellenmaterial an die Hand gegeben, das
teils im Text teils in einem besonderen Anhang veröffentlicht
wird.
Im Mittelpunkt dieses Bandes, dem offenbar noch
weitere Studien folgen sollen, steht Ernst August von
Hannover. In seiner Stellung als Bischof von Osnabrück
drückte ihn infolge der seit dem Westfälischen
Frieden bestehenden Alternative die Sorge, wie er seine
Söhne standesgemäß versorgen könne. Da er wie seine
Gattin Skrupel religiöser Art nicht kannten, versuchte
er durch eine Konversion seinen Kindern den Weg zu
den Gütern der katholischen Kirche zu öffnen. Aber
alle Angebote eines Übertritts, die zugleich als Gegengabe
materielle Forderungen stellten, wurden abgewiesen
. Vergeblich war auch, daß Ernst August Spino-
la, der im Auftrage des Kaisers und mit Erlaubnis des
Papstes Reunionsverhandlungen führte, auf das freundlichste
empfing.
Mit dem Regierungsantritt in Hannover treten
zwei neue große Ziele in das Gesichtsfeld Ernst
Augusts: die Einführung eines strengen Primigenitur-
rechtes in seiner Familie und die Erlangung der
Kurwürde für sich und seine Nachfolger. Besonders
die Politik der Kurie während der Verhandlungen über
die neunte Kurwürde ist in aller Ausführlichkeit aus den
Akten geschöpft. Die Kurie hoffte, sie würde den Herzog
durch Widerstand gegen seine Pläne zwingen können
, sich durch eine Konversion ihre Hilfe zu sichern.
Ernst August, fest entschlossen seinen Willen durchzusetzen
, drohte dem Kaiser nach dem ersten Mißerfolge
mit der Bildung einer Partei der bewaffneten Neutralität
. Die verzweifelte politische Lage veranlaßte den
Kaiser nachzugeben. Aber wie sollte sich nun die Kurie
verhalten, der alles daran lag, zum Wiener Hofe gute
Beziehungen zu unterhalten? Ihre vorsichtige Haltung
während der folgenden Jahre wollte einerseits das gute
Verhältnis zum Kaiser nicht trüben, anderseits befürchtete
sie, Ernst August werde bei einer Opposition des
Papstes die dem Kaiser zugunsten der Katholiken gemachten
Versprechungen nicht ausführen und die für den
Türkenkrieg übernommenen Verpflichtungen nicht erfüllen
. Außerdem glaubte sie, durch eine Opposition
die Frage der Kur zu einer konfessionellen zu machen
und die bisher Ernst August feindlich gegenüberstehenden
protestantischen Fürsten in seine Arme zu treiben.
Erst als die Hoffnung sich als trügerisch erwies, Ernst
August zum Übertritt zu bewegen und der Kaiser ohne
Genehmigung des Papstes nach der Schlacht bei Höch-
städt zwei katholische Kurfürsten abgesetzt hatte, trat die
Kurie mit scharfen Protesten hervor, die sie später noch
einige Male wiederholte. Ohne Einfluß auf ihre Haltung
in diesen Jahren blieben die Reunionsverhandlungen,
die sie längst als politische Machenschaften erkannt
hatte.
In dem zweiten Kapitel, das die Reunionsverhandlungen
des Bischofs Spinola enthält, geht der Verfasser
absichtlich über das hinaus, was zur Klärung der Stellung
Ernst Augusts nötig ist. Der Verfasser fühlt selbst,
daß hier der schwächste Teil seiner Untersuchung vorliegt
. Eine „ausführlichere Darstellung" soll noch folgen
. Hier wäre es Pflicht gewesen, wenigstens das
gedruckte Material heranzuziehen, soweit es die bisherigen
Leibniz-Ausgaben bringen. Besonders wichtig
ist das Tagebuch Spinolas (abgedruckt: Foucher de Ca-
reil, A.Oeuvres de Leibuiz, Paris 1859 ff. I, CXXIIIff.;
Kiefl F. X., Leibniz und die religiöse Wiedervereinigung
Deutschlands, Regensburg 19252, S. 201ff.), dessen Wider-