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Ausgabe:

1926 Nr. 9

Spalte:

253-255

Autor/Hrsg.:

Schaudig, Paul

Titel/Untertitel:

Der Pietismus und Seperatismus im Aischgrund 1926

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 9.

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geschmolzen waren. Die Anstalt, die nach einigen Jahren
ihren Namen in „Protestantisches Seminar" verwandelte,
hatte eine theologische und eine propaedeutische Sektion
mit philosophischen, philologischen und geschichtlichen
Vorlesungen; ihr Zweck war die Ausbildung der Geistlichen
der Kirche A. K. Dazu kam dann 1818 eine
kleine staatliche theologische Fakultät, vor allem als
Prüfungsbehörde und zur Erteilung akademischer
Grade, deren gering dotierte Professuren (mit Ausnahme
der für reformierte Dogmatik) mit den theologischen
Professuren des Seminars durch Personalunion verbunden
waren. Seminar und Fakultät, in Wirklichkeit ein
Ganzes bildend, haben dann nebeneinander bestanden bis
1872, wo die theologische Fakultät der neuen deutschen
Universität unter Übernahme der Mehrzahl der Professoren
an ihre Stelle trat.

Von diesen sieben Jahrzehnten theologischen Unterrichts
hatten wir bisher keine zuverlässige und zusammenhängende
Kunde. So füllt das vorliegende Werk
eine empfindliche Lücke aus. Sein Erscheinen ist um
so mehr zu begrüßen, als der Verfasser, der hochbetagte
Senior der el'sässischen Geistlichkeit, dessen Studienzeit
in den Ausgang der 50er Jahre fiel, der einzige
sein dürfte, der aus eigner Anschauung über jene Zeit
berichten kann. Als Schwiegersohn von Bruch verfügt
er über genaue Kenntnis der in Frage kommenden Persönlichkeiten
wie über weit zurückreichende Traditionen
. Was an gedruckten und archivalischen Quellen
vorhanden ist (letztere hauptsächlich in dem Archiv des
Direktoriums der Kirche A. K. und des Thomasstifts),
ist sorgfältig benutzt, auch war es dem Verfasser vergönnt
, die Memoiren von Eduard Reuss einzusehen.
So ist ein gediegenes, durch wissenschaftliche Objektivität
ausgezeichnetes Werk entstanden, das Personen
und Institutionen mit gleicher Sorgfalt behandelt. Wir
verfolgen an seiner Hand nach wissenschaftlich bescheidenen
Anfängen den durch die Namen Bruch, Reuss,
Schmidt gekennzeichneten Aufstieg bis zu dem Höhepunkt
am Ende der 60er Jahre, wo neben den Genannten
die Franzosen Colani und Aug. Sabatier glänzten
. Wir beobachten die allmählich immer stärkere,
doch nie vollständige Verdrängung der ursprünglich
deutschen Unterrichtssprache durch das Französische.
Wir sehen nach Mitte des Jahrhunderts den Kampf der
neuerstarkten, insbesondere der Pariser Orthodoxie um
die Professuren, der doch nicht verhindern konnte, daß
die freiere Richtung tonangebend blieb und eben damals
von einer „Ecole de Strasbourg" gesprochen werden
konnte. Das wichtigste wohl ist dies: Wir sehen, wie
insonderheit in den beiden letzten Jahrzehnten, wo zahlreiche
Innerfranzosen in Straßburg studierten, diese
Straßburger Theologen, großenteils noch Männer deutscher
Art und Bildung, alle aber an deutscher Theologie
geschult, dem französischen Protestantismus die deutsche
historisch-kritische Bibelwissenschaft und damit die
Grundlage zu einer des Namens würdigen wissenschaftlichen
Theologie vermittelt haben. Der Name Eduard
Reuss steht hier an erster Stelle.
Tübingen. O. Anrieh.

Sc haut) Ig, Pfarrer Dr. Paul: Der Pietismus und Separatismus
im Aischgrund. Schwab. Gmünd: HL Aupperle 1925. (XXIV,
126 S.) gr. 8". Rm. 3—.

Die Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth führte
kein Sonderdasein unter den evangelischen Territorien
des alten deutschen Reiches. Die mancherlei geistigen
Strömungen des 18. Jahrhunderts machten sich auch
hier bemerkbar. Genaueres ist uns zum erstenmal 1903
von Jakob Batteiger in seiner Arbeit über den Pietismus
in Bayreuth (Berlin) mitgeteilt worden. Aber auch
dieses Werk umfaßte nur eine einzige Periode und
läßt insbesondere das Bayreuther Unterland mit Neustadt
a. Aisch als Mittelpunkt außer acht. Diese Lücke
füllt vorliegende Arbeit aus. Die pietistische Bewegung
im Aischtale beginnt 1678 in der Reichsstadt Windsheim
und ist gekennzeichnet durch die Wirksamkeit M.
Jon. Heinrich Horb's, eines Schwagers Speners, dem
im folgenden Jahre M. Joh. Adolf Rhein aus Frankfurt
a. M. zum Vesperprediger, und 1680 M. Daniel
Caspar Jacobi aus Nürnberg zum Inspektor der Lateinschule
berufen, zur Seite traten. Doch sollte diese Periode
nur wenige Jahre dauern; bereits im Januar 1682
verließ der letztere Windsheim, bald darauf ging Rhein
nach Cöln-Müllheim a. Rhein, 1685 wurde auch Horb
nach Hamburg berufen. Damit scheint die ganze Bewegung
für Windsheim zum Abschluß gekommen zu
sein. Zehn Jahre später tauchen in dem Aischab-
wärts gelegenen Neustadt a. Aisch zum erstenmal Spe-
nersche Gedanken auf. Der Rektor der Lateinschule,
Johann Jakob Schober, wirkte in dessem Sinne. Ob
ein Zusammenhang mit Windsheim besteht, läßt sich
noch nicht nachweisen. Trotz des Widerstandes des
Superintendenten Joh. Georg Layritz gelang es Schober
, Boden zu gewinnen. Der Erlanger Notar Johann
Adam Rabe und der Sporergeselle Joh. Georg Rosenbach
wußten die Bewegung mächtig anzufachen. Es gelang
dem neuen Superintendenten Wolfgang Christoph
Räthel erst nach manchen erbitterten Kämpfen, die
auch eine Reihe heftiger literarischer Ergüsse zum Gefolge
hatten, der Bewegung mit Hilfe des Hofes ein
Haltein zuzurufen; ein Teil wurde, bei seiner völligen
Verständnislosigkeit der in ihr liegenden Wahrheitsmomente
, sogar auf die Bahn des Separatismus gedrängt
. Erst als unter Markgraf Georg Friedrich Karl
auch am Hofe sich dem Pietismus eine günstigere Stimmung
zeigte konnte derselbe auch in Neustadt wieder
aufleben. Unter den Superintendenten J. Adam Steinmetz
und Christian Lerche sowie den Rektoren Georg
Sarganeck, Paul Eugen Layritz, Gg. Christoph örtel
fand die Herrnhutische Bewegung treue und fürsorgen-
dc Hilfe, bis ein Erlaß des aufgeklärten Markgrafen
Friedrich vom 17. VII. 1743 auch ihr den Todesstoß
versetzte, ehe sie nur tiefer in den Gemeinden hatte
einwurzeln können.

Die Aufgabe war eine schwierige. Der Rationalismus
hat es vortrefflich verstanden, alle Erinnerung an
jene Zeit zu vernichten. Erst nach längcrem Suchen
fand ich vor Jahren in der Dillherr-Fenizerschen Bibliothek
die anscheinend gänzlich verschwundenen Schriften
Räthels und seiner Gegner. Der gedruckte Katalog
(Catalogus bibliothecae Fenizerianae Nürnberg 1776)
S. 139 f. zählt sie unter den libris Herrnhuthianis et
antiherrnhuthianis auf, während der geschriebene Katalog
auf der Stadtbibliothek Nürnberg nur immer die
erste Schrift der vielen Sammelbände notiert. Es ist
mir nur noch 1 Exemplar der „notwendigen Widerlegung
" von Joh. Georg Oertel bekannt geworden.
Bibl. Norica Williana (Stadtbibl. Nürnberg II, 1292).
Die Akten der Kirchenbehörde in Bayreuth sind bis
jetzt unauffindbar. So schien es, als sei alles Suchen
umsonst. Da boten für die erste Zeit die Akten der
Pfarrämter, für die letzte Periode die Akten in Herrnhut
doch den nötigen Aufschluß, der es ermöglichte,
ein Bild jener Zeit zu zeichnen. Ich könnte nur noch
einen Akt in Schornweisach anführen, betitelt: Sepul-
tur der Separatisten 1733; auch müssen noch Akten
in Ühlfeld sein, die Räthels Schriften bergen (1705).

Dem Aktenmaterial entsprechend ist die Schilderung
der ganzen Bewegung keine erschöpfende. So
vermißt man in der ersten Periode, der Windsheimer
Zeit, ein Bild der Wirksamkeit Horbs und Rheins. Wir
hören wohl von den Schwierigkeiten, die ihnen erwuchsen
, aber die Quellen sind erst noch zu erschließen,
die uns ihre Tätigkeit und ihren Erfolg näher kundtun.
Reichlicher sind die Neustädter Perioden beleuchtet;
doch würde man sich freuen, über Rektor Schobers
Tätigkeit noch mehr Einzelheiten zu hören. Es liegt
eigentlich nur die Herrnhutische Epoche ganz klar vor
Augen. Eine andere Frage konnte ebenso wenig gelöst
werden. Wieweit ist die ganze Bewegung in die