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Ausgabe: | 1926 |
Spalte: | 251 |
Autor/Hrsg.: | Feddersen, Ernst |
Titel/Untertitel: | Schleswig-Holstein und die lutherische Konkordie 1926 |
Rezensent: | Rendtorff, Heinrich |
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Feddersen, Propst a.D. Pastor Ernst: Schleswig-Holstein und
die lutherische Konkordie. Ein Beitrat: z. Oesch d. evangel.
Kirchenlehre. Kiel: Selbstverlag d. Vereins f. Schlessv .-Holst.
Kirchengesch. 1P25. (VIII, 280 S.) gr. 8°. Schriften d. Vereins
f. Sohlesw.-Holst. Kirchengesch., 1. Reihe, H. 15.
Rm. 7.50; f. Mitgl. d. Vereins 4—.
Im ersten Teil wird eingehend dargestellt die Fixierung
der Kirchenlehre in Schleswig-Holstein bis 1569,
der Kampf um die Konkordie in den folgenden Jahrzehnten
bis zu dem dramatischen Abschluß ihrer archi-
valisch gut bezeugten Verbrennung durch König Friedrich
in Kopenhagen 1580. Ein zweiter Teil bringt Texte
und Aktenstücke. Das Buch will in unserer Zeit erneuten
Kampfes um die Bekenntnisgrundlage der Landeskirchen
Handreichung zu zuverlässiger geschichtlicher
Nachprüfung dieser Grundlagen für die schleswig-holsteinische
Landeskirche bieten. Tatsächlich hat der seit
Erscheinen mit Recht von der Kieler theologischen
Fakultät durch Verleihung des D. theol. geehrte Verfasser
viel mehr geboten, nämlich einen höchst bedeutsamen
Beitrag zu der Geschichte der protestantischen
Symbolbildung überhaupt und zum Verständnis der treibenden
Kräfte aller Symbolbildung. Zweierlei zeichnet
die äußerst gründliche und klare Arbeit aus. Einmal
sind die Wechselbeziehungen zwischen der territorialen
Entwicklung in Schleswig-Holstein und der Gesamtentwicklung
in einer nach beiden Seiten fruchtbaren
Weise dargestellt. Die theologische Gesamtlage jener
Jahrzehnte, das eigentümliche Ineinander von theologischer
Kontroverse und landesherrlicher Diplomatie
erhält Licht durch scharfe Kennzeichnung der Vertreter
der einzelnen Richtungen und Bewegungen und
ihrer Auswirkungen in Schleswig-Holstein. Umgekehrt
werden die territorialen Vorgänge begriffen unter Heranziehung
der Verbindungen mit Dänemark, mit dem benachbarten
Kreis der wendischen Städte, mit dem größeren
Kreise Niedersachsen und endlich mit dem ganzen
evangelischen Deutschland. Das zweite wertvolle Kennzeichen
des Buches ist die Belegung aller wichtigen
geschichtlichen Urteile aus den Quellen. Außer den
gedruckten, einschließlich wichtiger sonst wenig benutzter
dänischer, Quellen haben die Nachforschungen des
Verfassers in den Archiven von Kopenhagen, Marburg,
Dresden u. a. reiches Material zu Tage gefördert.
Unter den Ergebnissen sei nur das entscheidende
genannt. Das landläufige Urteil, als sei die Ablehnung
der Konkordie in Schleswig-Holstein eine weitschauende
Tat evangelischer Freiheit, erfährt eine gründliche
Korrektur. Vielmehr erklärt sie sich aus einem unselbständigen
Konservatismus und Traditionalismus der Verantwortlichen
, besonders Paul von Eitzens, und hat zu
einer folgenschweren Loslösung Sch.-H.s vom gesamtdeutschen
Luthertum geführt.
Preetz (Holstein). Heinrich Rendtorff.
Fr'iöhllch, Dr. Marianne: Johann Jakob Moser in seinem
Verhältnis zum Rationalismus und Pietismus. Wien:
österreichischer Bundesverlag 1925. (171 S.) 8°. = Deutsche
Kultur, Literar-Historischc Reihe, 3.
Diese von Brecht angeregte Arbeit will die kulturgeschichtliche
Bedeutung einer großen Selbstbiographie
aufzeigen; der Zirkel wird dafür ziemlich weit gespannt,
und es wird zunächst der Versuch gemacht, einige
Grundzüge von Pietismus und Aufklärung herauszustellen
, wobei ich freilich nicht bloß die „gelehrte
" Entgleisung „Calixtin" statt Calixt, sondern
auch die Überschätzung Speners, die Scheidung
einer „gefühlsmäßigen" und einer „werkgerechten
" Richtung im Pietismus, die Charakteristik
Zinzendorfs, Semlers oder Spaldings, die eingewurzelt
falsche Vorstellung von der „Orthodoxie", die Auffassung
Ötingers als Schülers von Tauler und Seuse
u. a. m. beanstanden müßte. Es ist schade, daß Nicht-
theologen immer wieder so leicht schiefe und veraltete
Urteile und Anschauungen über theologische Erscheinungen
fällen.
Dem schließt sich eine Charakteristik des Juristen
Moser an, die manches Bedeutsame für diesen
zwischen Pietismus und Aufklärung stehenden Mann
beibringt, der in deutschem Nationalgefühl an der deutschen
Verfassung und an der Erhaltung des alten Reichs
interessiert ist und die neuen Staatstheorien ablehnt.
Interessant scheint mir auch die Grundidee seiner völkerrechtlichen
Abhandlungen zu sein, daß die Soziallehren
des Christentums Grundlage des Völkerrechts sein
sollen, weil die Gemeinschaft nur so weit reicht, als die
religiösen Voraussetzungen reichen. — Es folgt die
| Darstellung der religiösen Entwicklung Mosers, in der
| der Akzent auf der guten Schilderung von Ebersdorf
I und von der Entwicklung des Gegensatzes gegen Zin-
i zendorf liegt. Freilich scheint es dem Verfasser nicht
gelungen zu sein, die tieferen Motive des Gegensatzes
gegen Zinzendorf herauszuholen; und auch die einseitige
Zusammenordnung Mosers mit Spener, die Verf.
im Anschluß an Ritsehl vornimmt, ist mir zweifelhaft.
Hier ist es mir wieder deutlich geworden, wie nötig
eine wirklich umfassende Monographie über A. H.
Francke wäre, die auch den Lutherischen Einschlag
im Pietismus greifbar machen könnte. Übrigens zeigen
sich sehr klar auch die Einwirkungen G. Arnolds auf
die Mosersche Anschauung von der Kirchengeschichtc,
trotz der Ablehnung Arnolds wegen seines Zusammenhanges
mit Chr. Thomasius; ich hebe nur einiges her-
| vor: die Grundkonzeption, daß es gilt, eine „Herzenshistorie
" zu schreiben, die Polemik gegen die Idealisierung
der Urgemeinde, die Auffassung Luthers bloß
als eines „besondern Werkzeugs der Wahrheit", neben
dem die mittelalterlichen Zeugen der Wahrheit stehen,
das spezielle Interesse am Verständnis der kirchengeschichtlichen
Gegenwart.
Schließlich wird Mosers originelle Selbstbiographic,
der eine auf dem Hohentwiel abgefaßte Urschrift zu
Grunde liegt, analysiert. So stark der pietistische Stil
in ihr nachwirkt — die Auffassung der Bibel, der
Glaube an die Führung, die Treue bis zum Tod — so
sehr hat sich die Eigenart des praktischen Moser grade
auf dem religionspolitischen Gebiet manifestiert, und
das gibt auch der Autobiographie als ganzes eine be-
! sondere Nuance. Freilich ist es mir zweifelhaft, ob der
Verf. die Charakteristik der Moserschen Psychologie
gelungen ist, weil sie nämlich kein sicheres Bild von
der pietistischen Psychologie hat; und auch die soziologische
Klassifizierung der Selbstbiographien — Verf.
spricht etwa von einem „mittelbürgerlichen" und „kleinbürgerlichen
" Typus — scheint mir wenig durchgreifend
und fruchtbar zu sein. Schließlich ist es ja
auch nicht ohne Bedeutung, daß man sich vorhält, daß
die „Bekehrung" keineswegs etwas exklusiv Pietistisches
ist.
Breslau.______E. Seeberg.
Gerold Ch. Th.: La faculte de Theologie et Ic Seminaire
Protestant de Strasbourg (1803 -1872). Etudes d'histoire et
de philosophie religieuses puhl. par la Faculte de theol. prot. de
l'Universite de Strasbourg, fasc. 7. Strasbourg: Librairie Istra 1923.
(VIII, 336 S.) 8°.
In Straßburg hat die alte, in ihren Ursprüngen auf
die Reformationsbewegung zurückgehende deutsche
städtische Universität, durch den Kapitulationsvertrag
von 1681 geschützt, auch in der Zeit der französischen
Oberherrschaft weiterbestanden, um erst in den Stürmen
der Revolution unterzugehen. Als die Zeit des Neuaufbaus
kam, wußte der Staatsrechtslehrer Koch, der
zwölf Jahre zuvor das protestantische Kirchengut vor
der Einziehung gerettet hatte, in Paris den Dingen die
Wendung zu geben, daß in Zusammenhang mit der 1802
erfolgten Aufrichtung einer „Kirche Augsburger Konfession
jn Frankreich" die Gründung einer „Protestantischen
Akademie" in Straßburg verfügt wurde,
deren Professoren Inhaber eben der Kanonikate des protestantischen
Thomas-Stifts sein sollten, die bisher die
Besoldung der Professoren der alten Universität gebildet
hatten, nur daß sie inzwischen von 13 auf 10 zusammen-