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Ausgabe:

1926

Spalte:

219-221

Autor/Hrsg.:

Bülow, Georg

Titel/Untertitel:

Des Dominicus Gundissalinus Schrift „Von dem Hervorgange der Welt“. (De processione mundi.) 1926

Rezensent:

Betzendörfer, Walter

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219

Theologische Literaturzeitung 1926 Nr. 8.

nicht mehr bloß den ihnen vom Lehrer vorgetragenen
Stoff Verstandes- und gedächtnismäßig in sich aufnehmen
, eventuell nachschreiben, und dann reproduzieren
, sondern auch gefühls-und stimmungsmäßig nacherleben
, Willensimpulse empfangen, darüber hinaus aber
auch, zunächst nur ein paar Winken des Lehrers folgend
, selbständig den Stoff verarbeiten, sichten, ordnen,
vergleichen, urteilen; eine Disputation unter dem Präsidium
des Lehrers bildet den Abschluß. Zu diesem
Zwecke erschienen schon vor Jahren kirchen- bezw. religionsgeschichtliche
Quellen lesebücher. Jetzt bevorzugt
man die Verteilung des Stoffes auf einzelne wenig
umfängliche und billige Quellen h e fte. Es ergibt sich
dabei der Vorteil, daß der Lehrer auswählen kann, was
er für die betreffende Klasse nach den besonderen Verhältnissen
für vornehmlich geeignet hält. Und es wird
kein Stoff mitgeschleppt, der mehr oder weniger ignoriert
werden muß. Von dem „Vollständigkeitsfimmel"
sind wir ja kuriert. Aber die für die Gegenwart bedeutsamsten
Frömmigkeitstypen müssen doch unseren Schülern
vollständig vorgeführt werden. Die neue Methode
stellt an Lehrer und Schüler sehr hohe Anforderungen.
Es ist sehr schwer, bei der zur Verfügung stehenden
geringen Zeit vom Fleck zu kommen und klare und
dauernd wertvolle Erkenntnisse zu erzielen.

Drei renommierte Verlagsbuchhandlungen haben
sich auf solche Quellenhefte gestürzt. Zu der Reihe, der
die oben genannten drei Hefte angehören, treten die
Teubner'schen „Religionskundlichen Quellenhefte" und
die Diesterweg'schen „Kirchengeschichtlichen Quellenhefte
". Es ist zu beklagen, daß es nicht so etwas wie
Organisation des Verlagsbuchhandels gibt. Das wäre
vielleicht ebenso wichtig wie eine Organisation der
Forschungsarbeit. Ein Konkurrenzkampf ist unvermeidlich
. Wieviel Zeit, Kraft und Geld wird vergeudet!

Quelle und Meyer haben, so viel ich weiß, im.
Gegensatz zu Teubner und Diesterweg keinen Prospekt
erlassen. Die Hefte tragen auch keine Nummern. So
weiß man nicht, ob der Sammlung ein bestimmter Plan
zu Grunde liegt. Die Auswahl innerhalb der einzelnen
Hefte ist wohlüberlegt. Z. B. sind in dem Lutherhefte
die Briefe nicht berücksichtigt, weil denen ein besonderes
Heft gewidmet sein soll. „Aus den übrigen Werken des
Reformators sind solche Abschnitte ausgewählt, die für
die Geschichte der deutschen Reformation von entscheidender
Bedeutung sind (das läßt sich freilich schwer
ausmachen!) und die Luthers Glaubensmut und seine
echt deutsche Art (auch das ist ein zwar vielgebrauchter,
aber unklarer Ausdruck!) offenbaren." Bei den Heften
über Bernhard und Franz bin ich mit den Literaturverzeichnissen
und den Textquellen nicht ganz einverstanden
.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Bfilow, Dr. Georg: Des Dominicus Gundissalinus Schrift
„Von dem Hervorgange der Welt". (De processione mundi.)
Hrsg. u. auf ihre Quellen unters. Münster i. W.: Aschendorff
1925. (XXVII, 60 S.) gr. 8°. = Beitr. z. Gesch. d. Phnlos. d.
Mittelalters, Bd. 24, H. 3. Rm. 3.50.

Dominicus Gundissalinus, einer der bedeutendsten
Gelehrten aus der Übersetzerschule des Erzbischofs Raymund
von Toledo (1126—1151), gilt heute als der erste
Verbreiter der aristotelischen Philosophie im Abendlande
. Clemens Baeumker und seiner Schule
kommt das Verdienst zu, mehrere eigene philosophische
Schriften des G. (in den Beitr. z. Gesch. d. Philos.
d. Mittelalt.) ediert und ihn in seiner Bedeutung für die
Entwicklung der abendländischen Philosophie gewürdigt
zu haben. Nachdem die Schrift „De unitate" von
P. Correns, „De immortalitate animae" von G.
Bülow, „De divisione philosophiae" von L. Baur
herausgegeben war und G. F u r 1 a n i eine Ausgabe
des Traktats „De anima" in Angriff genommen hatte,
legt uns G. Bülow hier nun auch noch die letzte der
5 eigenen Schriften des G., die Abhandlung „De processione
mundi" vor.

In einer Einleitung spricht der Herausgeber sich
über den Verf., die Handschriften, die der Ausgabe zu
Grunde liegen, und über die Quellen der Schrift aus,
gibt eine kurze Inhaltsangabe und erörtert das chronologische
Problem.

Der Ausgabe liegen 4 Handschriften zu Grunde:

1. eine Hs. der Pariser Nationalbibliothek (P), die der Heraus ;,
noch im Juli 1914 in Paris einsah; er bezeichnet sie als die
„relativ beste", wenn auch nicht die älteste, sie ist frei von
gewaltsamen Interpolationen;

2. eine Hs. der Vatikanischen Bibliothek (V), die verschiedene
Aenderungcn des Textes durch den Schreiber aufweist;
außerdem eine Hs. aus Laon (L) und eine solche aus Oxford (O),
die ebenfalls nicht frei von Interpolationen ist.

Die Autorschaft des Gundissalinus wird vom Herausgeber
einwandfrei nachgewiesen (XV ff.). Die Schrift
schließt sich u. a. an Augustin, an Boethius, ganz besonders
aber an Avicenna und Avencebrol an,
deren Werke G. ins Lateinische übersetzt hat.

Der Herausg. macht es wahrscheinlich, daß der
Traktat um oder nach 1150 entstanden ist.

Was den Inhalt betrifft, so sucht G. durch die
Betrachtung der Geschöpfe zur Erkenntnis Gottes zu
gelangen (S. 1).

In seiner Erkenntnistheorie unterscheidet G.: ratio (ihr
genügt die possibilitas), demonstratio (sie verlangt necessitas) und
intelligentia (sie begnügt sich nur mit der „simplex et mera con-
ceptio"). Zur Einsicht (intelligentia) kommt man durch den Intellekt
oder die Demonstration, zum Intellekt durch die ratio, zur
ratio durch die imaginatio und zu dieser durch die Sinne (S. 2).
Wahrend die Sinne die sinnlich-wahrnehmbaren Formen in praesenri
materia erfassen, erfaßt die imaginatio dieselben in absenri materia; die
Vernunft ergreift die abstrakten, aber wahrnehmbaren Formen der
Materie, der Intellekt die intelligiblen Formen, die Intelligenz endlich
eine einfache Form, nämlich Gott (S. 3).

In seiner Metaphysik lehrt G., daß man an
den Dingen zu unterscheiden habe: ihre Zusammensetzung
und ihre Einteilung, sowie die beide hervorrufende
Ursache (S. 2). Jeder Körper besteht aus Materie
und Form (S. 3). Sie sind einander entgegengesetzt
: die eine empfängt, die andere wird empfangen,
die eine wird geformt, die andere formt (S. 4). Da
beide einander entgegengesetzt sind, mußten sie von
einer Ursache zusammengesetzt werden. Mithin hat
jeder Körper seine zusammensetzende Ursache, ergo
auch die Welt.

Alles, was zu sein beginnt, bewegt sich aus dem
Zustande der Möglichkeit in den der Wirklichkeit. Da
alles, was sich bewegt, durch ein anderes bewegt wird,
so verdankt jedes Wesen sein Sein einem andern. Nun
kann man aber nicht ins Unendliche fortschreiten, daher
muß man eine erste Ursache von allem annehmen
(S. 5 ff.). Ihr Sein ist ein notwendiges, sie ist einzig
und unbeweglich (S. 17).

Während die erste Ursache der compositio und
creatio fähig ist, sind die zweiten Ursachen nur der
compositio oder generatio fähig. Durch Kreation
treten die ersten Prinzipien der Dinge ins Dasein: das
materiale und das formale Prinzip (S. 20). Es müssen
2 verschiedene Prinzipien sein, denn wenn sie gleich
wären, wäre keine Zusammensetzung möglich (S. 21).
Weder die Materie noch die Form kann für
sich allein existieren (S. 22). Vielmehr gibt die
eine der andern das Sein. Vor ihrer Verbindung ist jede
von beiden nur in Möglichkeit. Erst durch ihre Verbindung
gehen sie in die Wirklichkeit über (S. 23). „Esse

____nihil aliud est quam existentia formae

in materia" (S. 24). Materie und Form sind die
ersten Prinzipien aller Dinge mit Ausnahme des Schöpfers
. Und dieser geht ihnen nicht zeitlich,
sondern „causa et aeternitate" voraus.

Die Materie beharrt immerwährend, die Form
dagegen kommt und geht im allg. Da infolge
ihres Kommens und Gehens die Dinge entstehen bezw.
vergehen, so wird ihr eher das Sein beigelegt als der
Materie (S. 25). Da die Materie durch die Form in die
Wirklichkeit übergeführt wird, so strebt sie nach der