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Ausgabe:

1925

Spalte:

165-166

Autor/Hrsg.:

Schilling, Otto

Titel/Untertitel:

Beethovens Missa solemmnis. Musik und religiöses Bewußtsein 1925

Rezensent:

Carstenn, Max

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Seite 1

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165

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 7.__166

Großen Katechismus Luthers lesen und Luther nicht im Lichte seiner
Mitreformatoren oder im Schatten mancher seiner sehr schwachen
Epigonen sehen, sondern im Lichte der Urgemeinde Mit H. und
den Seinen hätte Luther aber gewiß sich besser verstandigen können
als mit den Männern der Confutatio - ob aber ohne Luther die
Benediktiner von heute möglich wären? Auch ihnen gilt das Schreiben
an die auf dem Reichstag zu Augsburg versammelten katholischen
Geistlichen!

Magdeburg. Leonhard Fendt.

Schilling, Trygophorus, Dr. Otto: Beethovens Missa solemnis.

Musik u. religiöses Bewußtsein. Das musikal. Schaffen in s. Beziehungen
z. religiösen Erfahrung U. Oberzeugung. Darmstadt:
A. Bergsträßer 1923. (96 S.) 8°. Gm. 1—.

Beethovens Stellung zu Religion und Kirche war
schon den Zeitgenossen ein Problem. Strenggläubigen
erschien er ein Freigeist und Gottesleugner; wenige
ahnten die mystische Tiefe eines Herzens, das mit Gott
und Welt zu ringen unternahm, das aus dem Endlichen
ins Ewige strebte. Langsam, in wachsender Freiheit der
Beurteilung, ist die Erkenntnis gekommen, daß der
große Tonmeister eine wahrhaft religiöse Natur war.
Das Verhältnis der Musik zum religiösen Bewußtsein
festzulegen, das musikalische Schaffen in seinen Beziehungen
zur religiösen Erfahrung und Überzeugung
an Beethovens Beispiel darzustellen ist die Absicht des
vorliegenden Buches. Die religionsphilosophischen
Grundlagen werden im Anschluß an Schleiermacher und
Wobbermin in wesentlichen Hauptzügen klar und kurz
dargelegt; als eigentliche Aufgabe wird angesehen, nicht
die rein musikalische Stilform des Kunstwerks aufzuzeigen
, sondern die Seele des Kunstwerks, die in
Aufbau find Klang das Einzelne zum Ganzen webt und
dem inneren Gedankenwerk zusammen mit der äußeren
Form die geschlossene Einheit eines Gesamtgebildes
verleiht.

Damit werden dem Urteilenden und Genießenden
bestimmte Forderungen gestellt. Das verstandesmäßige,
objektive Nachprüfen sachlicher Angaben ist nicht ausreichend
, um dem Gesamtwerk gerecht zu werden: die
Fähigkeit zu reinem Erleben, zu gefühlsmäßigem Erfassen
des Kunstwillens und der seelischen Entfaltung
ist unentbehrlich. Nicht jeder besitzt diese Empfänglichkeit
, nicht jeder hat sie in gleichem Maße wie der
andere. Der Genius prägt seine überzeitliche und überweltliche
Größe darin aus, daß er jedem spendet aus
der Fülle seiner Tiefe.

Von sorgfältiger, umfassender Analyse der Missa
solemnis geht Schilling aus. Bis in die Einzelheiten
hinein verfolgt er die inneren Zusammenhänge zwischen

gesteht; daß gerade deutschen Künstlern nicht wenig
solcher Hochleistungen gelang, ist Trost und Ansporn.

Der Versuch, aus innigem Durchleben eines Kunstwerks
heraus zu einem Blick in die Seele seines Schöpfers
zu kommen, scheint voll gelungen. — Dem gut gedruckten
Büchlein ist eine reichhaltige, freilich ergänzungsfähige
Literaturübersicht beigegeben.

Göttingen. Max Carsten n.

Alt haus, D. Paul: Der Lebendige. Predigten. Gütersloh : C. Bertelsmann
1924. (VII, 241 S.) gr. 8°. geb. Gm. 5.50.

Dem Bändchen „Der Heilige" folgt eine zweite
Sammlung. Es sind Predigten aus der Zeit von Herbst
1921 bis Frühjahr 1924; alle tragen das Datum. Zahlreiche
zeitliche Beziehungen sind mit vollem Recht
nicht getilgt. Einige Predigten stammen aus „Gottesdiensten
der Rostocker Studentenschaft" (so etwas
findet sich nicht überall); daß eine nicht unerhebliche
geistige Höhenlage der Hörer vorausgesetzt ist, spürt
man durchweg. Aber A. redet nicht „akademisch" im
engen Sinn; noch weniger doziert er; in trefflicher,
aber keineswegs absichtlich rhetorisierender Form gestaltet
er weite, große, ernste Gedanken zu wirksam eindringenden
Reden. Alle Mittel der Darstellung meistert
er in Freiheit; das große Erleben der Zeit überschaut er
ebenso wie das stille Ringen der einzelnen Seele.
Kirchliche und theologische Fragen klingen deutlich
an (z. B. 77. 168. 183), aber sie zwingen den Prediger
nicht; er zwingt sie. Auch wenn er einmal als eine Art
Zukunftslosung das Wort vom „christlichen Sozialismus
" braucht (182), hat man nicht den Eindruck des
Gruppenschlagworts; das Wort greift höher. Die Orientierung
am Text fehlt nie, aber auch sie engt nicht ein;,
sie gibt nur Grundlage und Wegrichtung. Ich habe
mehrere dieser Predigten mit großer Ergriffenheit gelesen
, so ganz besonders die von der „Losung für den
deutschen Kampf" vor Studenten gehaltene (114 ff.),
aber auch die über „Christliche Freiheit" u. a.; sie
scheinen mir den Forderungen, die an eine Predigt für
Gebildete heut zu stellen sind, in vollendeter Weise zu
entsprechen. A. ist fern von bloßem Psychologisieren,
aber er stellt die Botschaft des Evangeliums auf die
Psyche unseres Geschlechts ein. Ob auch über seine
Predigten ein Gericht ergehen wird, wie es von religiössozialer
Seite her neuerdings an dem Berner Pfister
(Zwischen den Zeiten Heft 6 S. 67 ff.), früher an
anderen vollzogen worden ist? Darauf darf man gespannt
sein. Mir ist, was ich von einer zeitgemäßen
und zugleich ewigkeitsgemäßen Predigt fordere, hier

den Worten des Textes, ihrer musikalischen Umformung j erfüllt. _ Höchstens wünschte ich sie ein wenig kürzer
durch die melodischen Linien, ihrer klanglichen Darstellung
durch Gesang- und Orchesterstimmen. Eine
Fülle feiner Einzelheiten ergibt sich der liebevollen Betrachtung
, Ausdeutungen der Notenwerte, des Stärkenwechsels
, der Verwendung einzelner Instrumente (etwa
der Posaune), der rhythmischen Gestaltung, die sich
ti. a. in der charakteristischen Behandlung der Pausen
ausspricht. Beethovens Stellung zum Dogma wird
ebenso erschlossen, wie sein Wille, in kultischen
Formen dem eigenen religiösen Sinn für Anbetung und
Verehrung Ausdruck zu schaffen, wie sein Lebens-

Aber ich glaube, die Hörer werden bis zu Ende gefesselt
gewesen sein.

Breslau. M. Schi an.

Leipold, Bruno: Bethanien (Die Aufenveckung des Lazarus).
Biblische Szene in 3 Teilen für Solostimmen, Chor u. Orgel (ad
Üb. mit Hinzuziehung eines kleinen Orchesters: Streichquintett,
2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Trompeten, Posaune u. Pauken)
komponiert. Adliswil-Zürich: Ruh & Walser. (40 S.) (Klavierauszug
.)

Baudert, V., u. Bruno Leipold: Zug der Kinder zum Christ-

<rpf.Th1Ö das in Wter nnheirrrer Selbstzucht eitrnen kind> Ein Weihnachtsoratoriuin für Kinder, für 1 -3st. Kinderchor,

getuni, das III harter, UnDeirrter ^iDSTZUcm eignen , Soli, Deklamation, 2 Violinen u. Orgel (Harm). Textaufbau von
ethischen und religiösen Werten zustrebt, wie seine ! B., komponiert von L. Ebd. (20 s.) (KlavierVuszug) Fr
glaubensstarke Hoffnung aufan ewiges Leben, j 0bef dcn Komponisten, der auf dem Qebiet der ,
auf ein „Entschweben und Eingenen der Seele m eine Mllsik einc TäugUeit entfaItetj ist Näheres aus ™ |Xhrift
jenseitige Welt zu einer geistigen, ethisch-personlichen
Lebensgemeinschaft mit Gott".

Religion, Sittlichkeit und Kunst, diese
drei Wege, die aus dem Erdenleben in die unendliche
Welt des Übersinnlichen zu führen vermögen, sie einen
sich in Beethovens Missa zu der Darstellung eines
vollendeten Menschentums, das fromm, frei und schön
zugleich ist.

Gewiß hat Schilling recht, wenn er diese Vereinigung
höchster Vollkommenheit nur wenigen Kunstwerken zu-

für evangelische Kirchenmusik" (Juni 1924 Nr. 6. Verlag F. W. Ga-
dow und Sohn, Hildburghausen) zu ersehen. Man kann die beiden
Werke als Dorforatorien bezeichnen, also eine Wiedererweckung älterer
kirchenmusikalischer Gepflogenheit in den heutigen Formen. Der
Text zu dem größeren Chorwerk („Bethanien") ist vom Komponisten
selbst zusammengestellt und behandelt im ersten Teil die Totenklage
und Hoffnung auf tröstende Hilfe, im zweiten die Zuversicht auf den
rettenden Heiland, im dritten die Auferweckung und den Sieg über den
Tod. Bei den dichterischen Texten zeigt sich wieder einmal, daß auch
der Komponist durch den Mangel an neuen starken und volkstümlichen
geistlichen Liedern in seiner Wahl behindert ist. Der Aufbau der