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Ausgabe: | 1925 Nr. 7 |
Spalte: | 155-156 |
Autor/Hrsg.: | Pfister, Friedrich |
Titel/Untertitel: | Schwäbische Volksbräuche. Feste und Sagen 1925 |
Rezensent: | Bossert, Gustav |
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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 7.
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ungenannte Hand bis 1619, eine weitere bis 1624, eine
dritte bis 1629 und die letzte bis 1665.
Das Qeschichtbuch ist von hohem Wert, denn es
gibt uns ein genaues Bild der Gemeinde, eine biblische
Begründung ihrer Grundsätze, ihre Verfassung und Kirchenzucht
und einen guten Einblick in die inneren
Kämpfe, z. B. den schweren Kampf Jakob Huters um
seine beherrschende Stellung in der Gemeinde und einzelne
gefährliche Sonderungen, wie 1612 die des Ältesten
und Alchimisten Georg Ryedel. Ergreifend ist die eingehende
Schilderung der zahlreichen Glaubenszeugen,
wobei die Schuld des kaiserlichen Österreichs sehr zu
beachten ist. Im siebzehnten Jahrhundert sind es die
schweren Kriegsnöte, welche über die Gemeinde kamen.
Die Berichte des Geschichtsbuchs über diese Kriege
werden auch von weltlichen Historikern zu beachten
sein. Nur mit tiefem Mitleid kann man das Schicksal der
stillen, frommen, fleißigen Leute, welche Hab und Gut
der Gemeinde geopfert hatten und aus ihrem Vaterland
nach Mähren und später nach Ungarn gezogen sind, um
dort Frieden zu finden, genauer verfolgen. Aber groß ist
ihr Opfermut bei allen Verlusten und vor allem der
freudige Mut der zum Tod verurteilten Brüder.
Der weitern Forschung wären wertvoll die „etlich geheime
Bücher von unsern Vorfahren, den gar alten lieben
Brüdern hinterlassen, die zu Nembschitz an einem sondern
vertrauten der Gemein wie ein Schatz und Kleinod
aufbehalten wurden", und die Georg Ryedel an sich
genommen hatte S. 519, gekommen sind. Ob sie wohl
noch vorhanden sind? Sehr dankenswert sind die von
Wolkan beigegebenen Akten und Briefe. Weniger befriedigend
sind die Register. Im Personenregister fehlt
z. B. Plaß S. 78 = Blasi 150, 154, der kein anderer ist
als der einflußreiche Blasius Kumoff von Bruchsal.
Recht mangelhaft ist das Verzeichnis der Ortsnamen.
Da fehlt z. B. Aiffen S. 291, wohl = Eifel. Fähingen
(im Register Fähringen!) S. 142 ist Vaihingen an der
Enz; Einsheim S. 184 ist Ensisheim im Elsaß. Gersbach
S. 183 ist Gernsbach. Der Mantelhof ist nicht bei
Aachen S. 189, sondern bei Aalen. Kirch an der Eck
S. 189, 513, das nicht erklärt ist, ist Kirchheim unter
Teck. Dies nur einige wenige Beispiele. Recht dankenswert
ist das Verzeichnis seltener oder ungebräuchlicher
Wörter S. 694. Aber es ist keineswegs vollständig.
Vgl. z. B. S. 679 reißer Freundlichkeit.
Stuttgart. O. Bossen.
Pf ister, Prof. Friedrich: Schwäbische Volksbräuche. Feste
und Sagen. Augsburg: Dr. B. Filser 1924. (112 S.) 8°. = Ver-
öffentl. d. Urgeschichtl. Forschungsinst. in Tübingen. Volkstüml.
Reibe. kart. Om. 3—.
Der Würzburger Verf. hat ein ungeheures Material
an Schwäbischen Volksgebräuchen mit all
ihrem Aberglauben und ihren Zaubermitteln zusammengebracht
. Es wird sich empfehlen, daß alle, welche an
der geistigen Hebung unseres Volkes arbeiten, Theologen
und Lehrer und andere Freunde des Volkes die
Arbeit Pfisters lesen, um zu erkennen, wo die Arbeit
einsetzen muß, um unser Volk vom Aberglauben zu
befreien. Im ersten Abschnitt „Zur Einführung" bespricht
der Verfasser die religiöse Grundlage heutiger
Sitten und Gebräuche, das Absterben und die Verbote
alter Bräuche, das zähe Leben der Bräuche, Grundformen
religiösen Glaubens, Zauberei und Religion.
Der zweite Abschnitt handelt vom Wunderdoktor und
seinen Heilbräuchen, der dritte vom Geistervertreiben.
Der vierte Abschnitt schildert die Bräuche bei Hochzeit
und Tod, der fünfte besondere Jahresfeste. Der Schluß
handelt von den Grundformen des religiösen Lebens.
Überall ist Pfister darauf bedacht, Analogien für die
schwäbischen Gebräuche bis ins klassische Altertum
und ins Alte und Neue Testament, ja bis nach Austra-
li n und die Südsee zu verfolgen. Es befremdet, Handlungen
des Herrn Jesus mit den Heilbräuchen der Wunderdoktoren
zusammengestellt zu sehen, wie das Anhauchen
der Jünger Joh. 20,22 und sein und der
Apostel Handauflegen. Überraschend ist die Bedeutung
des Spiegels für den Aberglauben nach den verschiedensten
Seiten S. 46—51. So reich das beigebrachte Material
ist, so dürfte doch Manches dem Verfasser entgangen
sein. Z. B. wäre unter den Mitteln, Geister zu
vertreiben, neben der Fledermaus S. 65 auch der ungehörnte
schwarze Bock im Stall zu erwähnen, der neben
angenagelten Zaubersprüchen verwendet wird. S. 35
sind die Buchstaben K + M f B nicht erklärt. In
katholischen Orten werden diese Buchstaben, welche
auf die drei Könige Kaspar, Melchior, Balthasar
hinweisen, zur Zeit des Dreikönigsfestes oder schon Anfang
Januar an Türen und Treppen angeschrieben.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig es wäre, das Vorkommen
der einzelnen Bräuche in evangelischen und katholischen
Gegenden genau zu unterscheiden, was nicht gerade
zur Herabsetzung des Katholizismus gesagt sein soll.
Denn die bedeutendsten Wunderdoktoren fanden sich in
der evangelischen Gegend von Göppingen, wie der
Pfister unbekannt gebliebene Schäfer Frasch von Heiningen
, Joh. Laichinger in Ebersbach, der Rößleswirt
Hößle in Schlath. Das Stehenlassen der letzten Halme
in der Ernte und das Liegenlassen der letzten Heuhäuflein
S. 93 sind fromme christliche Bräuche zu Gunsten
der Armen auf Grund von 3. Mos. 19, 9. 23, 22 und
haben mit Aberglauben nichts zu tun. Das Osterei beruht
nicht auf einem alten Fruchtbarkeitszauber S. 94.
Denn es ist das Symbol des neuen Lebens, das die Auferstehung
Christi bewirkt.
Unbefriedigend ist der letzte Abschnitt über die
Grundformen des religiösen Glaubens und die Definition
„der Religion im weitesten Sinn als Verhältnis des
Menschen zu (übernatürlichen) Kräften", wobei der
Sprache der Irokesen das Wort Orenda für unpersönliche
wunderbare Kraft entlehnt und daraus der Begriff
Orendismus gebildet wird.
Stuttgart. O. Bosscrt.
Lutherisches Weltmissionsjahrbuch für das Jahr 1925. Hrsg.
im Auftr. der Missionskonferenz in Sachsen durch Lic. Erich
Stange. (38. Jg.) Leipzig: H. G. Wallmann. (80 S.) kl. 8°.
Gm. 1—.
Dies Jahrbuch bringt wertvolle Übersichten: über die deutsch-
ev. Missionsgesellschaften und die übrige lutherische Missionstätigkeit
1923 (von Gerber-Zöblitz), die deutsch-ev. Mission 1924 (von
Mcltzer-Dargun), die lutherischen Missionen Skandinaviens 1923/24
(von Berlin-Potsdam), die lutherische Judenmission (von Harling-
Leipzig), die amerikanisch-lutherische Mission 1924 (von Bielinski-
Delanco), Missions-Bibliographie 1924, wichtige deuts:he Missions-
anschriften, deutsche Missionskonferenzen. Unter den vorhergehenden
kurzen Aufsätzen mache ich auf den von Pfeiffer-Columbus
über ,die Hermannsburger Ohio-Mission in Indien' aufmerksam.
Frankfurt a. M. Bornemann.
Vanderlaan, Eldred C, S. F. M.: Protestant Modernism in
Holland. London: Oxford Univ. Press 1924. (127 S.) 8°. 5 sh.
Der protestantische Modernismus in Holland ist
eine der interessantesten Bewegungen auf außerdeutschem
Boden, die die Kirchengeschichte der neuesten
Zeit aufweist, leider außerhalb Hollands, namentlich
auch in Deutschland viel zu wenig bekannt. An zweierlei
hängt m. E. seine besondere Bedeutung. Einmal hat
sich in Holland der theologische Liberalismus viel
freier entwickeln können, hat er die in ihm liegenden
Tendenzen und Konsequenzen viel freier und reicher
zur Entfaltung bringen können, als dies in Deutschland
möglich war, wo neben anderem das Aufkommen der
Ritschl'schen Schule die Entwicklung eines echten theologischen
Liberalismus in jeder Hinsicht stark gehindert
hat. Sodann hat die allgemeine Geistesentwicklung
der letzten Dezennien auch den holländischen Liberalismus
in eine Krisis hineingeführt, die mit der des
deutschen Liberalismus viel Verwandtes hat, aber im
Ganzen doch ein eigenes Gepräge trägt und des Studiums
wohl wert ist.
Wer die Geschichte des protestantischen Modernis-