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Ausgabe:

1925 Nr. 6

Spalte:

140-141

Autor/Hrsg.:

Werner, Martin

Titel/Untertitel:

Das Weltanschauungsproblem bei Karl Barth und Albert Schweitzer 1925

Rezensent:

Schian, Martin

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139

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 6.

140

als das für diese Absicht nötig war. Ausdrücklich lehnt
es Verf. ab, das tatsächliche Verhältnis der Konfessionen
unter sich oder ihre Beziehungen zur Staatsgewalt
zur Darstellung zu bringen. Er verfährt so, daß er zunächst
die Entwicklung der Rechtslage seit der Reformation
(die Abschnittsüberschrift: „Die Zustände..."
ist mißverständlich) schildert, sodann den k. F. im
Staatsrecht des Bundes und der Kantone erörtert (hier
das Grundlegende und Allgemeine), weiter das Strafrecht
der Kantone unter dem gleichen Gesichtspunkt
durchmustert und endlich einen Teil den „Grenzen der
religiösen Kritik" (d. h. der Frage des Schutzes der
Kirchen usw. gegen Beschimpfungen u. ä.) widmet.
Daß St. nicht selten auch Äußerungen, Vorkommnisse,
auch rechtliche Verhältnisse aus anderen Gebieten heranzieht
, bedeutet an sich noch keine Grenzüberschreitung.
Auch wenn dabei manches erwähnt wird, was für den
Gang der Untersuchung keineswegs notwendig war,
so hat das nicht viel zu sagen. Dagegen ist mir zweifellos
, daß die Ausführungen über den Begriff des k. F.
den Rahmen des Themas sprengen. Hier findet sich
ein über 25 Seiten langes Kap., das ganz allgemein
Wesen und Begriff der Toleranz und des konfessionellen
Friedens erörtert. Man kann verstehen, daß St.
eine allgemeine Erörterung zur Exegese des im Art. 50
Abs. 2 der Bundesverfassung von 1874 sich findenden
Begriffs des „öffentlichen Friedens" für erforderlich
hielt. Aber dps erwähnte Kap. geht weit darüber hinaus
. Es sucht zunächst den Begriff der Toleranz festzustellen
, wobei die staatlich-politische und die praktisch
-bürgerliche Toleranz bejaht werden, die theoretisch
-dogmatische verneint wird; sodann definiert es den
konf. F. als „jenen Zustand der Ruhe und Sicherheit,
in dem eine Konfession und die ihr zugehörigen Einzelglieder
in ihren religiösen Grundsätzen, in ihrem Kultus
, in ihren öffentlichen Manifestationen des Glaubens,
in ihrer gesamten privaten und öffentlichen Lebensentfaltung
von einer anderen Konfession und einzelnen Individuen
unbehelligt bleiben und keine Einschränkung
ihrer Rechte noch Anfeindungen zu gewärtigen haben,
sei es unmittelbar von Seite eines Bekenntnisses als korporativen
Eingriff, noch von Seite einzelner oder mittelbar
durch Anrufung staatlicher Intervention." Aus diesem
Begriff leitet St. drei „Forderungen" ab, die entsprechend
formuliert sind; die erste (um nur sie zu
nennen) besteht darin, „daß keine Konfession von
der anderen einen Verzicht auf Grundsätze verlange,
welche zum Wesen der betr. Konfession gehören, und
daß keine Konfession der anderen zumute, entweder
Handlungen vorzunehmen, die sich mit ihrer grundsätzlichen
Stellung nicht vertragen oder solche zu unterlassen
, die Bestandteile ihres Kultus ausmachen." Wie
in diesem Kap., so gerät St. auch in der Besprechung
der Grenzen der religiösen Kritik (4. Teil, S. 140—185)
ganz in den Zug allgemeiner grundsätzlicher Darlegung
hinein. Die zitierten Sätze werden zugleich den Hauptmangel
des Buchs deutlich gemacht haben: daß nämlich
das eigentliche Ziel der ganzen Arbeit nicht die
Untersuchung eines Rechtsbegriffs ist, sondern die Prüfung
der schweizerischen Rechtsverhältnisse hinsichtlich
des konfessionellen Friedens vom katholischen
Standpunkt aus zur Aufstellung bestimmter
katholischer Forderungen. Selbstverständlich
sind diese Forderungen paritätisch aufgezogen, aber
überall ist in den Formulierungen die einseitige Rücksichtnahme
auf die katholische Seite zu bemerken.
Keine Konfession soll von der anderen einen Verzicht
auf Grundsätze verlassen, die zu deren Wesen gehören:
aber wenn nun diese Grundsätze die abschätzige Behandlung
oder gar die Verfolgung anderer Konfessionen
einschließen? Solche Möglichkeiten, die doch
mehr sind als Möglichkeiten, bleiben unbeachtet, —
und gerade bei ihnen wird die Frage brennend! So
zeigt sich, daß die einseitige Einstellung auch die sachliche
Erörterung sehr schädlich beeinflußt hat. Überall

dominiert das katholische Interesse. Das Interesse des
gemeinsamen friedlichen Lebens und Miteinanderaus-
kommens tritt demgegenüber zurück.

Breslau. M. Schi an.

Jahrbuch, Kirchliches, für die evangelischen Landeskirchen
Deutschlands 1924. Ein Hilfsbuch zur Kirchenkunde der Gegenwart
. In Verbindung mit anderen hrsg. v. Ob.-Konsist.-Rat Prof.
D. J. Schneider. 51. Jahrg. Gütersloh: C. Bertelsmann. (XV,
°05 S.) 8°. Gm. 10—; geb. 12—.

Nachdem ich den Jubiläumsjahrgang des Jahrbuchs
hier ausführlich besprochen habe, begnüge ich mich für
den 51. Bd. mit einer kürzeren Anzeige. Meine damals
geäußerten Wünsche haben, wie ich weiß, beim Herausgeber
freundliches Gehör gefunden; in diesem Band sie
zu berücksichtigen war natürlich unmöglich; ich wiederhole
sie nicht. Hervorzuheben ist, daß diesmal kein
Kap. fehlt; auch die kirchlich-soziale Chronik (Mumm)
ist wieder da. Bei der „Kirchlichen Zeitlage" sind
27 S. dem Thema „Katholizismus und Protestantismus"
gewidmet: sehr zu Recht! Die Orientierung über das
evangelische Auslandsdeutschtum (Schubert) ist ausgezeichnet
. Dem Kap. Innere Mission ist ein Anhang beigefügt
: „Die Innere Mission in ihrem Verhältnis zu
Staat und Kirche" (Steinweg). Die „Kirchliche Statistik"
ist höchst reichhaltig: wer möchte z.B. eine Nach-
weisung entbehren wie die über „Gebiets- und Bevölkerungsverluste
durch Abtretungen — in konfessioneller
Scheidung"? Aus der Statistik der Austritte nur eine
Zahl: während 1921 246 075 Austritte zum Atheismus
erfolgten, waren es 1922 nur 149 709 (im ganzen
ev. Deutschland). Den Sonderkapp, geht ein Aufsatz
voraus: Kindergottesdienst und Sonntagsschule (E. Baumann
, Stettin). Zu dem Personalstand der ev. Kirchenbehörde
und ev.-theol. Fakultäten hätte ich viele Einzelbemerkungen
; ich begnüge mich mit der grundsätzlich
wichtigen Notiz, daß die Angabe bei Frankfurt: „theol.
Fakultät in der Bildung begriffen" kühn ist, während
die Aufzählung der 4 dort mit Lehraufträgen Bedachten
ohne Erwähnung dieser Tatsache irreführend wirken
muß. Alles in Allem: Der Band dient trefflich seinem
Zweck. Daß von „religiös-sozialistischer Seite in „Zwischen
den Zeiten" gegen das Jahrbuch geäußerte abfällige
Urteil wehrt Schneider im Vorwort sehr mit
Recht energisch ab.

Breslau. M. Sch i a n.

Werner, Priv.-Doz. Lic. theol. Martin: Das Weltanschauungsproblem
bei Karl Barth und Albert Schweitzer. Eine Auseinandersetzung
. München: C. H. Beck 1924. (136 S.) gr. 8°.

geb. Gm. 5—.

Eine sehr aktuelle theologische Streitschrift. Sie
konfrontiert Karl Barth (vor allem nach seinem Römer-
brief) und Albert Schweitzer (vor allem nach seiner
Kulturphilosophie). Das Unternehmen hat vieles gegen
sich: weder B. noch Schw. haben einen abgeschlossenen
Gedankenbau vorgelegt; vor allem, diese beiden bieten
verzweifelt wenig theologische Berührungspunkte; ihre
Anschauungen laufen reinlich auseinander. W. selbst
stellt fest, daß B. und Schw. derart im Verhältnis des
Gegensatzes stehen, daß man sich nur für den einen
und gegen den anderen entscheiden kann. Wenn er dabei
anzunehmen scheint, daß man sich nur für einen
der beiden, nicht aber anders entscheiden könne, so ist
das eine merkwürdige Auffassung. Auch wenn man
nicht einen Weg der „Mitte" gehen will, so gibt es wohl
noch ganz andere Wege! W. selbst entscheidet sich
„einseitig und ausschließlich" für Schw. Es muß für
diesen eine Freude sein, eine so rückhaltlose Zustimmung
zu finden. Da ich meine großen Bedenken gegen
Schw. letzthin hier angedeutet habe (1924 Sp. 568 ff.),
will ich diese ganze Seite der Sache jetzt beiseite lassen.
Nur sei angefügt, daß W. die in Schw.'s Kulturphilosophie
vermißte Beziehung zum Christentum herzustellen
sucht, indem er auf Schw.s Geschichte der