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Ausgabe:

1925 Nr. 5

Spalte:

111-114

Autor/Hrsg.:

Kroner, Richard

Titel/Untertitel:

Von Kant bis Hegel. 2. Bd.: Von der Naturphilosophie zur Philosophie des Geistes 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 5.

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unter denen das Hegeische beherrschend im Mittelpunkt
steht. Man meint Dome aufragen zu sehen und
schaut mit Bewunderung auf die Macht geistigen
Schaffens dieser Periode. Dabei sagt C. kaum ein Wort
der Anerkennung, hin und wieder hingegen eine treffende
kritische Bemerkung. Er beschreibt, wie der spekulative
philosophische Idealismus aus der Verschmelzung
des Kant'schen Kritizismus mit der Hamann-Herderschen
Lebensphilosophie, wie sie als Erlebnis bereits
in Goethe vorgebildet war, entspringt, und wie er auf
seiner Höhe in Fichte und Hegel die letzten Widersprüche
, auf die alles Denken stößt, als notwendige
Momente in der Dialektik des schaffenden Geistes erfaßt
. Schellings genialische Systemversuche erscheinen
zunächst als Verbindungsbrücke zwischen den beiden
Koryphäen, später sondert er sich ab und errichtet in
seiner Freiheitsphilosophie einen eigenen Gedankenbau.
Neben ihm werden noch mit besonderer Sympathie
Schleiermacher, mit schärferer Kritik Herbart und
Schopenhauer gewürdigt. Letzterer erscheint als Schellings
vollends abgleitender Nachfahre. Ein zweiter Band
ist zu erwarten. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen
werden. Als einzige, den theologischen Leser
besonders interessierende Kostprobe möge die Bemerkung
des Verf. über Schleiermachers Schreibweise
dienen: „Sein Stil ist im höchsten Maße Urban, d. h.
von vornehmer Geselligkeit; er besitzt die halbironische
Höflichkeit, bei seinem Leser Kraft und Willen zum
Mitdenken vorauszusetzen, er dringt nie auf ihn ein,
unterstreicht nicht, versteckt oft die Gliederung mehr
unter einem freien Fluß, als daß er sie zeigte. Mit diesen
Eigentümlichkeiten hängt es zusammen, daß seine
Philosophie weniger gewirkt hat, als bei ihrem Werte zu
erwarten wäre."

Iburg. W. Thimme.

Krön er, Richard: Von Kant bis Hegel. 2. Bd.: Von der
Naturphilosophie zur Philosophie des Geistes. Tübingen: J. C. B.
Mohr 1924. (XXIII, 526 S.) gr. 8°. = Grundriß d. philosoph.
Wissenschaften. Gm. 12.50; Lw. 15—; Hldr. 17.50.

Den ersten Band dieses gedankenreichen Werks
habe ich Th.L.Z. 1923, Sp. 404 ff. angezeigt. Ich habe
dabei den letzten (IV.) Abschnitt, der von den Anfängen
Schellings handelt (.,Von der Wissenschajtslehre zur
Naturphilosophie"), für die Besprechung des zweiten
Bandes aufgespart. Dieser zweite Band ist folgendermaßen
gegliedert:

V. Naturphilosophie und Identitätsystem. 1. Die Naturphilosophie
1797—1800. 2. Von der Naturphilosophie zum Identitätssystem
. 3. Das Identitätssystem.

VI. Vom Identitätssystem zur Philosophie des Geistes. 1. Die
Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems. 2. Die Entwicklung
des Identitätssystems.- 3. Das Identitätssystem und die
Philosophie des Geistes.

VII. Grundzuge der Philosophie des Geistes. 1. Der allgemeine
Charakter des Systems. 2. Die Logik als Grundlage der Philosophie
des Geistes. 3. Die methodische Bedeutung des Widerspruchs.

VIII. Die Philosophie des Geistes. 1. Die Phänomenologie.
2. Die Logik. 3. Die Enzyklopädie.

Es ergibt sich schon aus dieser Inhaltsübersicht,
daß ganz ausschließend der dialektische Gang von der
ersten Wissenschaftslehre über Schelling zu Hegels
großen systematischen Hauptwerken dargestellt wird.
In die Entwicklung Schelling's, die bis 1804 verfolgt
wird, sind noch Schiller's ästhetische Briefe, Schieier-
macher's Reden und Fichte's Bestimmung des Menschen
eingeschlungen, und die briefliche Auseinandersetzung
zwischen Fichte und Schelling ist als entscheidende
Wende des Idealismus sogar mit besonderer Liebe
besprochen. Der Zweck, auf den alles eingestellt ist,
ist die Erarbeitung der Voraussetzungen für Hegel's
Philosophie. Der „Ursprung" (im systematischen Sinne)
Hegel's aus der von Kant anknüpfenden idealistischen
Bewegung soll begriffen und Hegel's Philosophie dadurch
tiefer verstanden werden als bisher. Die Methode
ist die gleiche wie die im 1. Bd. geübte: dialektische
Analyse unter dem Gesichtspunkt der letzten systemgestaltenden
Gedanken. Im V. und VI. Abschnitt ist dabei
die Eigenart des ersten Bandes, Analyse und Kritik zu
i scheiden, festgehalten. Mit dem VII. Abschnitt, wo mit
dem reifen Hegel das Ziel des Wegs erreicht ist, hören
die kritischen Betrachtungen auf. Schärfer als im ersten
Band aber ist die Scheidung dieser problemgeschichtlichen
Darstellung von einer eigentlich historischen —
oder wie K. sagt: biographischen — vollzogen. Hegel's
Werdegang bleibt nahezu im Dunkeln; allein das, was
aus seiner Arbeit vor 1807 in die Entwicklung der Probleme
sichtbar eingreift, ist in die Darstellung des
VI. Abschnitts mit hineingenommen. Über die Frage,
die mich z. Zt. gefangen hält, über die Bedeutung der
Romantik für Hegel's System (vgl. meinen Aufsatz:
„Die Beisetzung der Romantiker in Hegel's Phänomenologie
", ein Kommentar zu dem Abschnitt über die
Moralität, Deutsche Viert. Jahrschr. f. Lit. Wiss. u. Geist.
Gesch. Jahrgg. II, Heft 3, S. 51 Off.) erfährt man also
aus K. nichts.

Obwohl ich nun über die wissenschaftliche Durchführbarkeit
solcher Ausscheidung sehr meine eignen
Gedanken habe und vor allem auch über den philosophischen
Gehalt der romantischen Bewegung anders
urteile, als K. es nach seinem Schweigen tun kann, muß
ich bekennen: gerade der zweite Band hat mich in einer
Spannung gehalten, die noch kein Werk über den Idealismus
bisher in mir hervorgerufen hat. Von K.'s Darstellung
geht in vielem Betracht ein neues Licht aus;
niemand wird sie durcharbeiten können (denn harte Arbeit
verlangt sein Buch), ohne für sein philosophisches
Verständnis des Idealismus hinzuzulernen, und ohne ein
Empfinden dafür zu bekommen, wie schal auch die
besten bisherigen Gesamtdarstellungen der Bewegung
gewesen sind. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit
K. ist mir darum hier auch nicht möglich; ich kann nur
einfach auf einige besonders wichtige Punkte seiner
Darstellung hinweisen. Nur das sei noch im Allgemeinen
bemerkt, daß K. fast überall eigne Wege geht:
die ganze Darstellung ist im Wesentlichen einem beharrlich
-eigensinnig selber die Sache durchdenkenden
Geiste entsprungen.

Was Schelling anlangt, so verbindet K. zwei Gesichtspunkte
miteinander, die bisher nur einseitig-oberflächlich
geltend gemacht sind, und dringt damit zum
gerechten Verständnis durch. Auf der einen Seite:
er legt erbarmungslos bloß, inwiefern Schelling aus
der Transzendentalphilosophie heraus- und auf die Stufe
vorkritischen Dogmatismus zurücksinkt. Er zeigt, wie
er, von Spinoza von Anfang an bestimmt, nicht die
Kraft und den Ernst aufbrachte, die Erneuerung der
starken Seite Spinozas, seines Gedankens, daß Philosophie
ein geschlossenes System vollendeter Erkenntnis
sei, auf dem Boden des Idealismus zu vollziehen.
Aber wenn K. diese Schranke Schelling's herausarbeitet,
bringt er auf der andern Seite doch zur Anschauung
, daß Schelling's letzte Zielsetzung in der Erkenntnis
einer dem Idealismus notwendig gesetzten Aufgabe ihre
Wurzel hat. Die Spannung, die in Fichte's Philosophie
bleibt zwischen dem spekulativen Systemtrieb und dem
ethischen, die den Satz Fichte's, daß alles Denken Denken
der Wahrheit sei, gefährdet, die Fichte's Philosophieren
letztlich im Endlichen festhält und zum Unendlichen
kein klares Verhältnis gewinnen läßt, diese
Spannung ist es, die Schelling zu beseitigen strebt. Und
er versagt gegenüber dieser Aufgabe deshalb, weil er
nicht fähig ist, den Widerspruch als Bedingung aller
dialektischen Bewegung festzuhalten, nachdem ihm die
ethische Verabsolutierung des Widerspruchs dahin gefallen
ist. Mit diesem Schlüssel in der Hand geht K.
den feinen und feinsten Verschlingungen des Schellingi-
schen Denkens nach. Gleich in der ersten, noch Fichtischen
Schrift vermag er Schelling's Eigentümlichkeit
aufzuspüren: für Schelling ist das Sein des absoluten
Ich schon im Anfang dabei, sich von dem Sichdeuken
und Sichwissen dieses Ich im Akte der Reflexion zu