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Ausgabe:

1925 Nr. 3

Spalte:

70-72

Autor/Hrsg.:

Eberhard, Otto

Titel/Untertitel:

Neuzeitlicher Religionsunterricht. Handreichung evang. Jugenderziehung 1925

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 3.

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irrung vom Wege. Zum Schluß kommen die aus der
Situation entstehenden Gefahren für den Protestantismus
und die Aufgaben desselben zur Besprechung. K. sieht
die Dinge klar und nüchtern an; die Tatsachen sind
i. A. richtig wiedergegeben; kleine Irrtümer laufen
unter. Die Wandlung in der Stimmung des offiziellen
Frankreichs gegenüber dem Vatikan ist noch nicht registriert
(S. 17). K. hat aber sehr viel aus anderen
Schriften übernommen; er wäre unbedingt verpflichtet
gewesen, sie zu nennen. Ungenau ist die Gleichsetzung
von Söderbloms und Heilers Begriffen von evangelischer
Katholizität. Die Darstellung ist ruhig; überflüssige Polemik
ist vermieden; aber K. tritt für evangelischen
Aktivismus gegenüber dem katholischen ein. Die Schrift
ist also geeignet zur Aufklärung und Aufmunterung
weiterer evangelischer Kreise. An einzelnen Stellen muß
ich freilich Widersspruch erheben. In der Gegenüberstellung
von katholischem und evangelischem Gottesdienst
z. B. ist K. m. E. zu freundlich gegen den katholischen
, ungerecht gegen den evangelischen Gottesdienst,
der gegenüber den Vorzügen des katholischen „nüchtern,
farblos, öde und arm" erscheine. Das ist einseitiges
Geschmacksurteil.

Breslau. M. Schi an.

Brentano, Lujo: Der wirtschaftende Mensch in d. Geschichte.

Gesammelte Reden und Aufsätze. Leipzig: Felix Meiner 1923.
(XII, 498 S.) 8°. Gm. 7.50; geb. 9—.

Als den verbindenden Grundgedanken dieser 11
Aufsätze nennt das Vorwort „das Streben nach einer
mit den Tatsachen des Lebens übereinstimmenden Lehre
vom Wirtschaftsleben". Diese Einstellung habe zunächst
die Abwendung von dem abstrakten homo oeco-
nomicus der klassischen Nationalökonomie (I, Antrittsvorlesung
1888 als Nachfolger von Lorenz v. Stein in
Wien) bewirkt. Da also der wirtschaftende Mensch unter
der Wirkung mannigfaltiger Motive, insbesondere auch
der religiösen, gesehen wird, sind allgemeine Berührungspunkte
vorhanden zu den großen sozialhisto-
rischen Arbeiten von Sombart, Max Weber und
Troeltsch. Aber das Buch dient nicht zum wenigsten
dem Zweck, ihnen gegenüber Br.'s eigene Grundlehren
zu bekräftigen. Einige Aufsätze geben auch eine Auseinandersetzung
mit den katholischen Auffassungen über
die Geschichte der sozialethischen Ideen. Die Münchener
Rektoratsrede über „Ethik und Volkswirtschaft
in der Geschichte" (II, von 1901) mit einer nachfolgenden
Zusammenstellung von Quellenbelegen zu
den „wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums"
(III, Münchener Akademierede von 1902), die Aufsätze
über „die Kirche und die Entwicklung zur Freiheit
" (IV, kürzer zuerst Frankfurter Zeitung 1910) d. h.
die hemmungsreiche Geschichte der Überwindung der
Sklaverei, und „zur Genealogie der Angriffe auf das
Eigentum" (V, Arch. f. Sozialwiss. 19) stehen unter
dem Grundgedanken, daß die Ideale des Seinsollenden
sich für die Dauer nicht durchsetzen können, wenn
ihnen nicht die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit zu Hilfe
kommt. Die Münchener Akademierede über „die Anfänge
des modernen Kapitalismus" (VI, von 1913) stellt
den Kapitalismus als unmittelbaren Nachfolger der naturalwirtschaftlich
-feudalen Gesellschaftsordnung dar,
zum Siege gelangt durch die Emanzipation besonders
des Handels (betont auch in IX über „Handel und Kapitalismus
" gegen Sombart), der nach seiner innersten

!f' ?er.eicnerungskunst (Aristoteles) und stets auf
größtmöglichen Gewinn gerichtet gewesen sei; so zwar,
daß das Prinzip des größtmöglichen Vorteils nur für den
Handel mit Fremden gegolten habe, während innerhalb
der „Wirtschaftseinheiten" (VII: Über Begriff und
Wandlungen der Wirtschaftseinheit), Großfamilie,
Stamm, Zunft, Stadt usw., „Autorität und Herkommen"
herrschten, und erst nach der Zerschlagung jener
Kollektiva das Prinzip des größtmöglichen Vorteils von
Individuum zu Individuum (resp. Kleinfamilie) gelte,

also der homo oeconomicus der klassischen Theorie
nur am Ende der Entwicklung stehe. Als ein Höhepunkt
des mittelalterlichen Handels- und Kriegskapitalismus
wird der vierte Kreuzzug geschildert (VIII). Mit Puri-
tanismus (X, gegen Max Weber) und Judentum (XI,
gegen Sombart) habe die Entwicklung in ihren Grundzügen
„nicht das geringste zu tun". In Wirklichkeit
ist die Abweichung von den Anschauungen besonders
Max Webers nicht hoffnungslos, da dieser von einer
bestimmten Soriderform der vielfältigen Erscheinung
„Kapitalismus" handelt, während Br. den Kapitalismus
summarisch einfach auffaßt als die Emanzipation des in
der Natur des Menschen gegebenen Gewinnstrebens,
woraus dann abweichende historische Ansetzungen sich
von selbst ergeben.

Die Ausführungen zeichnen sich durch große Durchsichtigkeit
aus. Die Annahme aber, daß auch das Leben
so durchsichtig sei, ruht darauf, daß im Grunde, trotz
der prinzipiellen Abwendung von der klassischen Theorie
, doch der homo oeconomicus wieder in den Mittelpunkt
tritt durch die geschichtsphilosophische Anschauung
: das Prinzip der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit
sei das stärkere gegenüber naturrechtlichen, sozialethischen
, religiösen „Lehren". Zu solcher Überzeugung
, die durch das ganze Buch hindurchgeht und
auch zahllose Einzelurteile, über die Kreuzzüge usw.
färbt, kann einen Forscher das Wahrheitsstreben in
der Tat führen, wenn er seine Betrachtung auf die
abendländische Entwicklung beschränkt; Max Weber
wußte, weshalb er für seine Religionssoziologie, deren
Beweisführung innerhalb der überkomplexen abendländischen
Kausalverschlingungen subtil erscheinen kann, der
orientalischen Gegenproben bedurfte. Im Orient drang
eben die Emanzipation des homo oeconomicus nicht
durch, sondern die religiösen und sozialethischen Überzeugungen
behielten die Übermacht und verhinderten
trotz Großhandels usw. den kapitalistischen Lebensstil.
Im Untergrunde dieses ganzen Gedankenringens liegt
die Frage, die für das Abendland das Problem aller
Probleme ist seit dem griechischen Naturrecht und seit
der christlichen Einsenkung eines Reiches nicht von
dieser Welt in diese Welt: die Frage nach der Macht
oder letztlichen Ohnmacht der Idee gegenüber der
Macht der triebbestimmten Interessen. Da Br. die von
ihm, als das Maßgebende und sich Durchsetzende, oft
berufene „menschliche Natur" und „Natur der Dinge"
zu nahe heranrückt an die Triebnatür des Menschen
und an das Prinzip der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit
, wird die Frage ihrer dringlicheren Problematik,
die sie auch für Troeltsch hat, entkleidet.

Zum 80. Geburtstag Br.'s kündigte der Verlag
einen weiteren Band seiner gesammelten Reden und Aufsätze
an.

Güttingen. Andreas Walt her.

Eberhard, Studiendir.Schulrat D. Otto: Neuzeitlicher Religionsunterricht
. Handreichung evang. Jugenderziehung. Mannheim:
J. Benshcimer 1924. (VIII, 161 S.) gr. 8°. = Bücherei der Neuen
Schule, Bd. 4. geb. Gm. 6.— .

Mayer, Prof. Dr. Heinrich : Katechetik. Freiburg i. Br.: Herder 8t Co.
1924. (VIII, 179 S.) kl. 8«. = Herders Theologische Grundrisse.

Gm. 2.50; geb. 3.40.

Engert, Prof. D. Dr. Joseph: Psychologie und Pädagogik der
religiösen Begriffe. Ein Beitrag zur experimentellen Pädagogik.
Berlin: F. Dümmler 1924. (VIII, 134 S.) 8». Om. 3.50.

Von den neuen Wegen, die die Katechetik oder, um
diesen häßlichen Namen zu vermeiden, die Religionspädagogik
einschlägt, geben die genannten drei Schriften
einen guten Eindruck. — E. hat das Verdienst, den Gedanken
der sog. Arbeitsschule am gründlichsten durchdacht
und auf den RU. angewandt zu haben. Wir
standen in der Gefahr, um überhaupt aus der alten
passivischen Lernschule herauszukommen, die Schüler
zu einer rein verstandesmäßigen Beschäftigung mit den
religiösen Stoffen zu verleiten und so aus dem bisherigen
Auditorium oder der in der Katechese nur schein-