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Ausgabe:

1925 Nr. 3

Spalte:

63-64

Autor/Hrsg.:

Wunderle, Georg

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Religionsphilosophie. 2., verb. Aufl 1925

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 3.

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und Freiheit der meisten deutschen Kierkegaardübersetzungen
; ein deutscher Kierkegaardtext in glatter gefälliger
Rede hat immer das Vorurteil für sich, korrigiert
zu sein; K. hat eben so schreiben wollen, daß man ihn
nur ganz gesammelten Sinns verstehen konnte.

Inhaltlich wünsche ich gerade dieser Rede die aller-
ernsteste Beachtung. Sie ist, als mich E. Geismar zum
ersten Mal auf sie aufmerksam machte, mir der Schlüssel
zu K. geworden. An ihr kann man lernen, daß der
ganze Gebrauch, den eine paradoxe überethische Theologie
in Deutschland heute von K. macht, ein Mißbrauch
ist; ich kenne kaum religiöse Reden, in denen die
ethischen Beziehungen des Gottesverhältnisses so tief
und ernst entwickelt sind wie hier; und ich habe für
mein eignes Verständnis des christlichen Ethos aus ihr
hinzu gelernt. Es ist die Schuld auch der zufälligen
Auswahl dessen, was von K. deutsch übersetzt wurde,
wenn unser Bild von K. einseitig, weniger treu als das,
das Beck einst seinen Schülern vermittelte, geworden ist.
Diese „Gelegenheitsrede" (so hat K. sie genannt) und
Kjerlighedens Gjerninger sollten den Ausgangspunkt
für die notwendige Umzeichnung hergeben.

Vorrede und Anmerkungen, welche alles für den Gelehrten
Wissenswerte enthalten, geben Zeugnis von der Sorgfalt und Genauigkeit
der Ausgabe.

Göttingen. E. Hirsch.

Ritzert, Dr. G.: Die Religionsphilosophie Ernst Troeltschs.

Eine bewußtseinskritische Beurteilung und religiöse Würdigung
seiner religionsphilos. Schriften. Langensalza: H. Beyer & Söhne
1924. (71 S.) 8°. = Fr. Mann's Pägagog. Magazin, Heft 993.

Gm. 1—.

Die vorliegende Arbeit, eine schon 1921 abgeschlossene und
leider inzwischen nicht weitergeführte Gießener Dissertation, bemüht
sich, den Entwicklungsfortschritt in den religionsphilosophischen
Schriften Tr.s herauszuarbeiten und vom Standpunkt eines kritischen
Realismus aus kritisch zu interpretieren. Nach einleitenden Ausführungen
über die Bedeutung der Erkenntnistheorie für das religiöse
Wahrheitsproblem kommt Verf. zu seinem eigentlichen Thema, das
er in der Form einer analytischen Durchstreifung der wichtigsten Arbeiten
Tr.s nach ihrer Entstehungsfolge behandelt, woran sich endlich
eine kritische Würdigung anfügt.

Als Charakteristikum der Arbeit Tr.s wird die von ihm befolgte
Anwendung der transzendentalen Methode auf die Erörterung religions-
wisscnschaftlicher Probleme angegeben; so zwar, daß Tr. anfänglich
einer metaphysischen Begründung der Religion weit offener, weil
einem krit. Realismus zugewandt war, dann aber, unter Richerts
Einfluß, den idealistischen Standpunkt eingenommen hat mit der ebenso
schwierigen wie wichtigen Kardinalfrage nach dem Verhältnis von
erkenntnistheoretischem und psychologischem Subjekt. Ebenso wird,
unter dem Einfluß von Rickerts Geschichtsphilosophie, die Wandlung
in der Stellung zur Absolutheitsfrage des Christentums angegeben infolge
grundsätzlicher Durchführung einer historischen Anschauung,
innerhalb deren für Tr. die Frage nach dem Verhältnis des Tatsächlichen
zum Notwendigen genauer den Charakter der Frage nach
dem Verhältnis der Geschichte zu den Normen angenommen hat.

Der Verf. sucht nun deutlich zu machen, daß Tr.'s eigene religiöse
Position über seinen philosophischen Standpunkt der Bewußtseinsimmanenz
hinaus- und auf eine metaphysische Position hinweise
. Es sei Tr.'s Verdienst, in der Wahrheitsbegründung der Religion
den Psychologismus bekämpft zu haben durch ihre transzendentale
Verankerung in einem religiösen apriori. Aber einmal sei die
damit behauptete Notwendigkeit von stark persönlich bedingtem
Gültigkeitscharakter, vor allem jedoch greife das Wahrheitsproblem
der Religion weit über den Nachweis der Berechtigung eines religiösen
Bewußtseins hinaus, es bestehe vielmehr in der Behauptung der transsubjektiven
Gültigkeit der auf Grund der religiösen Erfahrung gefällten
Urteile, die zudem qualitativen, jede rationale Gottesidee
sprengenden Charakter haben.

Halle a. S. F. W. Schmidt.

Wunderle, Prof. Dr. phll. et theol. Georg: Grundzüge der
Religionsphilosophie. 2., verb. Aufl. Paderborn : F. Schöningh
1924. (VIII, 233 S.) gr. 8°. Gm. 3.90.

Diese Religionsphilosophie hebt sehr modern an, indem
sie von religionsgeschichtlichen und religionspsychologischen
Tatsachen, also von den Lebensäußerungen der Religion
ausgeht. Die von hier gewonnenen Einsichten werden
dann rational gestützt und durch die biblische Offenbarung
völlig gewiß gemacht, so z. B. die Uroffenbarung
und der Urmonotheismus. Trotz dieses scheinbar empirischen
Ausgangspunktes beherrscht aber doch der Rationalismus
die Methode: „Die erste Wurzel der Religion ist
das Denken, das vermöge des kausalen Schließens von der
Welt auf Gott aller religiöser Betätigung einen objektiv
realen Beziehungspunkt sichert." Nachträglich wird die
Gottesidee dann durch Willen und Gefühl beseelt: die
Gotteserkenntnis „macht nicht die ganze (subjektive) Religion
aus", „sie bedarf der Beseelung durch das Gefühl
und den Willen, dann erst ist religiöses Erleben' vorhanden
". Die Gottesbeweise spielen infolgedessen bei
W. eine sehr große Rolle, der siebente Teil des Buches
ist ihnen gewidmet.

Die protestantische Religionsphilosophie und Dog-
matik haben sich von diesem Rationalismus längst abgewandt
und eine praktisch-emotionale oder religionspsychologische
Begründung der Religion angestrebt.
Dafür hat W. keinerlei Verständnis, sodaß ihm Beurteilungen
protestantischer Theologen unterlaufen, die
wirklich kein tiefes Eindringen in ihren Geist verraten.
Nach Ritsehl, der in die nächste Nähe von Vaihingers
Fiktionismus gebracht wird, ist die objektive Existenz
Gottes für die Religion gleichgiltig, er leistet dem
Naturalismus Vorschub. Julius Kaftans Religionsbegriff
steht nicht sehr weit ab von der Erklärung der Religion
aus Selbstsucht.

Die Theorie der Religion enthält vieles, was die
protestantische Systematik in der Dogmatik abhandelt,
bietet aber in den Auseinandersetzungen mit den religionsfeindlichen
Weltanschauungen manchen guten Gedanken
. Daß Kant des Agnostizismus und Subjektivismus
angeklagt, daß seine Autonomie mit der christlichen
Ethik in Spannung gesehen wird, hängt mit der ganzen
rationalistischen aand ontologistischen Einstellung des
Verfassers zusammen. Die Unsterblichkeit der Seele
wird mit den üblichen eudämonistischen Postulaten begründet
. Krassester Eudämonismus ist z. B. der Satz:
„Die volle Befriedigung für seine irdische Mühe wird
dem Menschen erst in einem jenseitigen Glück zu teil".
Die Lehre vom religiösen Apriori streift W. mehrmals,
ohne sie ernstlich zu diskutieren. Sicher ist gegen W.
nur, daß das religiöse Apriori nicht die Anlage ist, die
dem Menschen ermöglicht „das Dasein Gottes aus der
Welt denkend zu erschließen".

Die Literaturangaben berücksichtigen reichlich auch
die protestantische Literatur. Um so merkwürdiger ist,
wie wenig der Verfasser der protestantischen Systematik
wirklich gerecht wird. Das Buch ist für den Gebrauch
bei akademischen Vorlesungen berechnet; ich bezweifle,
daß die katholischen Theologiestudierenden einen auch
nur annähernd richtigen Begriff von der religionsphilosophischen
und dogmatischen Arbeit der evangelischen
Theologie bekommen werden.

Minden i. W. Kurt Kessel er.

Behn, Prof. Dr. Siegfried: Die Wahrheit im Wandel der Weltanschauung
. Eine kritische Geschichte der metaphysischen Philosophie
. Berlin: F. Dümmler 1924. (322 S.) gr. 8°.

Gm. 8—; geb. 9.50.
Wir erleben in unsern Tagen eine energische Hegelrenaissance
, die den Eintszug des Geistes, das sieghafte
Vordringen der Wahrheit betont. In diesen Zusammenhang
gehört das vorliegende Buch, das ein ähnliches
Bestreben zeigt, wie Euckens Lebensan'schauungen
der großen Denker: Nicht das Vergängliche wird mit
historischer Treue dargestellt, sondern das in allem
Werden und Wandeln beharrende Ewige wird herausgearbeitet
. „Das Unvergängliche vom Mißratenen gesondert
", „die Gestalten der genialen Denker in ihrer
Ursprünglichkeit" darzustellen, ist die Absicht des Verfassers
. „Was bedeutend und wahr ist an den Gedankenwelten
der Menschheitsvergangenheit, und was
deshalb gegenwärtig lebendiges Eigentum des Geistes
sein muß, das sei dargestellt."