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Ausgabe:

1925

Spalte:

45-47

Autor/Hrsg.:

Fichte, Johann Gottlieb

Titel/Untertitel:

Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe. Gesammelt u. hrsg. v. Hans Schulz. 2 Bde 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 2.

nach soll es kein Entweder—Oder von emotional (Gemüt
) und theoretisch-kognitiv (Verstand) in dem Erfassen
Gottes geben, sondern vielmehr ein implizites
Ineinander im „natürlichen Denken, das den Kontakt
mit dem Objekt vollzieht", und ein explizites Beisammen
im „reflexen Denken, das nachfolgend die sachlichen
Rechtsgründe herausstellt, auf die hin das natürliche
Denken tatsächlich den Kontakt vollzogen hat" (S.154).
Damit ist das Problem aber nur zurückgeschoben, bezw.
im alten scholastischen Sinn gelöst. Es erhebt sich
jetzt wieder die Frage: Welches Moment ist in diesem
Zusammen das Fundierende? In der Newman-Lösung
ist es dann doch wieder das theoretisch-kognitive
(nach der Darstellung Prz.'s). Wenn letzteres nicht die
Basis des religiösen Erlebens ist, so soll damit nichts
über den faktisch-psychologischen Verlauf religiösen
Erlebens ausgesagt sein. Es kann sehr wohl sein, daß
jemand den Weg von einem theoretischen Wissen um
Gott zur Gotterfahrung geht. Prz. ist sich demgegenüber
bei seinem Zurückgreifen auf die Newman-Lösung
nicht immer ganz klar, wie mir scheint, daß es sich
hier um Strukturschichten im Sinnaufbau des Religiösen,
nicht um psychologische Genesis faktischer Erlebnisse
handelt. Wendet man das Problem so, dann braucht es sich
nicht um ein Entweder—Oder von theoretisch-kognitiv
und emotional, religiöser Vorstellung und religiösem Erleben
zu handelndem auch Prz. entgehen will. So kann
das theoretisch-kognitive Element in der Religion wohl als
ein Niederschlag einer das religiös Erfühlte nachträglich
gestaltenden, begrenzenden, verfestigenden Funktion
große Bedeutung haben. Es ist nicht Basis des religiösen
Lebens, kann aber seine Krönung sein. Freilich
geht diese Lösung des hier behandelten Religionsproblems
im Gegensatz zu der von Prz. auf Kosten
einer gegebenen Einheit von Glauben und Wissen.
Mit der angedeuteten Lösung ist ein Dualismus gegeben
, dessen Überwindung zum letzten Monismus stets
aufgegeben bleibt. Das ist aber gerade das Kennzeichen
der Neuzeit, daß ihr vor allem an einer Scheidung
der verschiedenen Kulturgebiete liegt, die dem
Mittelalter zu einer großen Einheit zusammenflössen.
Scheler steht in diesem entscheidenden Punkt zur Neuzeit
. (Sein von Kant abrückender Objektivismus hat mit
der Scholastik nichts zu tun.) Es ist daher bezeichnend,
daß Prz. bei der Entwicklung der Voraussetzungen der
geklärten Schelerschen Theorie bei dem Aquinaten mit
seiner Theorie von der Einheit von Glauben und
Wissen, Wert und Sein anlangt.

Heidelberg. Robert Wink ler.

Fichte, Johann Gottlieb: Briefwechsel. Krit. Gesamtsausg. Ges.

u. hrsg. von Hans Schulz. 2 Bde. Leipzig: H. Haessel Verl. 1925.

(XXXII, 619 u. IV, 639 S.) gr. 8°. Gm. 42-; Lw. 50-.

Es ist mir immer verwunderlich gewesen, wie wenig
von den Darstellern der Fichte'schen Philosophie Fich-
te's Briefwechsel benutzt worden ist. Zwei wesentliche
Ecksteine in meiner Darstellung von „Fichtes Religionsphilosophie
" (Göttingen 1914) habe ich seinerzeit
aus dem Briefwechsel gewonnen; der Brief an Ja-
cobi vom 30. August 1795 öffnet entscheidend das Verständnis
für Fichtes Religionsphilosophie in der ersten
Zeit der Wissenschaftslehre, der Brief an Reinhold vom
18. Juli 1800 mit der Mitteilung, daß Fichte einen bestimmten
Satz der Sittenlehre 1798 im Jan. 1799 auf
dem Katheder zurückgenommen habe, ist der Punkt, von
dem aus die Wandlung zur zweiten Periode des Fichteschen
Denkens gedeutet werden muß. Diese Hinweise
sind jedoch ebenso wie der ganze Briefwechsel unbeachtet
geblieben. Nur der Briefwechsel mit Schelling hat
seit Medicus' Hinweis einigermaßen die Beachtung der
Forschung gefunden.

Die Schuld an dieser Nichtachtung des Briefwechsels
trägt der Zustand, in dem er bis jetzt allein zuganglich
war. J. H. Fichte ist ja alles andre eher als
ein guter Herausgeber gewesen; es war eine qualvolle

Mühe, aus dem Chaos seiner Biographie sich die Briefe
und Brieffragmente herauszufischen, die man brauchte;
nicht nur Unbestimmtheit, Ungenauigkeit, Unvollstän-
digkeit und willkürliche Anordnung, sondern auch handgreifliche
Irrtümer sprangen einem entgegen. Noch
schwieriger war es dann, aus den zerstreuten Sammlungen
und einzelnen Veröffentlichungen da und dort
sich die zugänglichen Ergänzungen zusammenzusuchen
und nichts zu übersehen. Kurz, auch der durch den Zustand
, in dem Fichte's Werke sich befinden, von allen
Ansprüchen schon ziemlich geheilte Fichteforscher konnte
sich scheuen, aus diesem verwirrten Briefwechsel
Belehrung zu schöpfen.

Hans Schulz hat uns — neben einigen guten Neuherausgaben
von Schriften Fichte's schon zwei Sammlungen
zur Biographie Fichtes geschenkt: einmal eine
Nachlese zu den bis 1918 bekannten Briefen (Aus
Fichtes Leben, Berlin 1918), sodann eine Sammlung:
Fichte in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen,
Leipzig 1923. Nun fügt er hinzu seine größte und
schönste Gabe, einen möglichst vollständigen, streng
chronologisch geordneten Briefwechsel in einer Textgestaltung
, die die frühere an Zuverlässigkeit um ein
bei Fichte-Editionen Unerhörtes übertrifft. Damit ist
dem bisher bestehenden beklagenswerten Zustande mit
einem Schlage ein Ende gemacht, und die Benutzung
des Briefwechsels ist eine angenehme Arbeit geworden.

Der Sammlung liegt zu gründe eine Jagd nach den
Originalen durch alle deutschen Bibliotheken und bei
den in Frage kommenden Privatpersonen. Auf diese
Weise ist es möglich gewesen, die Zahl der Nummern
gegenüber dem Gesamtbestand der bisher irgendwo gedruckten
um etwa ein Fünftel zu vermehren (die Vermehrung
kommt meist auf die Briefe an die Braut und
Gattin, auch auf die Briefe an Fichte) und in einer
großen Reihe von Nummern einen bis in die Zeichensetzung
hinein genauen Text zu bieten. Wo das Original
zugänglich war, ist es zu diesem Zweck herangezogen
worden, auch wenn der Brief schon gedruckt war;
Ausnahmen sind der Akademie-Ausgabe von Kants Briefwechsel
und M. Lenz, Geschichte der Universität Berlin,
zugebilligt worden, deren Exaktheit von niemand angezweifelt
worden ist. Doch hatte die Aufspürung der
Originale nur einen relativen Erfolg. Eine leider sehr
große Anzahl von Nummern mußte darum nach dem
einzigen oder besten bisherigen Abdruck wiederholt
werden, wobei die Verantwortung für den Text auf den
früheren Herausgeber fällt; was das bedeutet, zeigen
die Fälle, in denen wir vergleichen können. In Runze's
„Neuen Fichtefunden" (Gotha 1919) z. B. trägt Fichtes
kleiner Schüler in Zürich den seltsamen Namen Küper;
mir hat die Konjektur nie glücken wollen, aus Sch.s
neuer Lesung ergibt sich, daß es ein Kaspar war, der
dialektisch Käper genannt wurde. So geht es aber
auch bei wichtigeren Dingen. Es ist klar, daß man
unter diesen Umständen da, wo alte Drucke wiederholt
wurden, es vielfach mit sehr mäßigen Texten zu tun hat.
Gleichwohl darf man die Arbeit, die in dem scheinbar
einfachen Wiederabdruck schon gedruckter Briefe besteht
, nicht unterschätzen. Denn neben der Jagd nach
den Originalen ist eine Jagd nach zerstreuten Veröffentlichungen
hergegangen; und Sch. hat an vielen Stellen
gesucht und gefunden, an denen fast jeder andre
vorübergegangen wäre.

Das Beste an handschriftlichem Material stammt aus
Fichtes Papieren selbst. Da steckt nun ein Problem. Es
ist an sich wunderlich, daß auch andre Briefe von
Fichte, als die an die Braut und Gattin, sich in seinem
Berliner Nachlaß und bei seinen Nachkommen finden.
Wie kommen sie dahin? Bei einem Teil mag es sich
daraus erklären, daß J. H. Fichte Briefe zurückerhalten
hat; so liegt es z. B. mit den jetzt im Besitz Georg
v. Fichtes befindlichen Briefen an Schelling, die z. T.
noch Randbemerkungen Sendlings tragen. Aber meist
hängt es anders zusammen: Fichte hat auch bei Briefen