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Ausgabe:

1925 Nr. 26

Spalte:

622

Autor/Hrsg.:

Schlund, Erhard

Titel/Untertitel:

Religion, Kirche, Gegenwart 1925

Rezensent:

Bussmann, E. W.

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621

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 26.

622

Das religiöse Wissen enthält nicht nur ein moralisches, sondern
auch ein geistiges Element, es fordert zu seiner Wirksamkeit nicht
nur Gehorsam, sondern eine direkte Empfänglichkeit für die göttlichen
Wirklichkeiten. Das „innere Licht" verstärkt unsre Glaubensgewisshcit.
Jede Religion trägt geschichtlichen Charakter und knüpft an an bereits
Vorhandenes, zugleich aber ist die Überzeugungskraft der Religion
eine innere, anknüpfend an persönliche Voraussetzungen und Empfänglichkeit
. Ein Christentum ohne Geschichte würde seine Leuchtkraft
und seinen Einfluß verlieren; aber die geschichtlichen Tatsachen gewinnen
ihre Kraft nur in Seelen, welche offen sind für die Einflüsse
von Gott her. „Erkenntnis", besonders in der Form von erfahrener
Erleuchtung, macht den Willen frei zur „Tugend". Die Flucht des
Frommen vor der Erkenntnis ist eine Flucht vor der Zucht des geistigen
Denkens. Religiöser Zweifel hat das Gute, daß er den Anstoß
geben kann, eine theologische Zusammenschau zu schaffen anstelle unzusammenhängender
Einzeluntersuchungen. Neben der Entwicklung
der Dogmen durch Schrift und Denken floß als paralleler Strom die
innere Erleuchtung, und auch solche Geistigkeit ist notwendig für die
Kirche.

Dortmund. H. Goetz.

Cadoux, C.J., M.A., D.D.. The message about the Cross.

A fresh study of the doctrine of the Atonement. London: G.

Allen & Unwin 1924. (92 S.) 8°. geb. sh. 3/6.

In einer für unsre deutsche Gemeindefrömmigkeit
fast beschämenden Weise mehren sich in unserer Zeit
in England solche Schriften, die mit starkem Wabrheits-
ernst die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse übertragen
auf die Auffassung der Religion, unbekümmert
darum, ob dadurch die herkömmliche Kirchenlehre in
Frage gezogen wird. Cadoux nennt sein Buch im Blick
auf 1. Kor. 1, 18 „Das Wort vom Kreuz" und untersucht
die Lehre von der Versöhnung, die sich darauf
gründet.

Da außer Matth. 26, 28 in keinem der überlieferten Abcndmabls-
berichte sich eine Zusammenstellung der Sündenvergebung mit dem
Tode Jesu findet, dürfte an dieser Stelle wohl eine Glosse des Evangelisten
vorliegen, der des Meisters Worte zu deuten versuchte. Jesus
selbst faßt seinen Tod auf als ein Märtyrertum, das vielen zugute
kommt, nicht jedoch im Sinne des sakramentalen jüdischen Opfersystems
, das eine primitive und rohe Praxis darstellt, die völlig die
Natur und den Willen Gottes verkennt. Nie hat Jesus, auch wo er in
seiner Ausdrucksweise an überlieferte Vorstellungen sich anschließt,
damit eine Lehre über seinen Tod aufstellen wollen. Die Auslegung
ist völlig ausgeschlossen, daß Gott vor Jesu Tod keine Sünde hätte
vergeben können; abgesehen von der Auffassung im Alten Testament
spricht dagegen auch Jesu eigener Sprachgebrauch, der niemals die
Vergebung Gottes abhängig macht von seinem Tod oder irgend einem
Opfer. Für uns ist es nicht möglich zu sagen, wie der Tod Jesu
Gott beeinflußt; Gott liebt und vergibt vor Jesu Tod ebenso wie
nachher. Nach Jesu Auffassung ist unsre Reue die einzige Bedingung
für die Vergebung Gottes.

Die Antwort auf die Frage, warum und wofür Jesus starb, liegt
in einer ganz andern Richtung. Seine Überzeugung war, daß wirkliche
Liebe in sich schließe ein „nicht widerstreben dem Übel"; diese
Auffassung ist das originale und charakteristische Moment in seiner
Lehre, und hieraus ergibt sich klar, warum er den Weg des Kreuzes
wählte. Und wie alle wahre Güte der Menschen diejenigen anspornt
und ihnen hilft, selbst gut zu sein, die ihre Zeugen sind oder von
ihr hören, so liegt hier das Zentrum des Christentums, dem entsprechend
Gott die Mitarbeit aller derjenigen wünscht, die mehr und
mehr werden, was Jesus war: Menschen des guten Willens.

Unsrer deutschen Kirche könnte es nur Gewinn'
bringen und sie vor manchem Verlust wertvoller Glieder
bewahren, wenn sie in etwas größerer Unbefangenheit
solchen Stimmen lauschen wollte.

Dortmund. H. Goetz.

Dessauer, Prof. Dr. Friedrich: Leben, Natur, Religion. Das

Problem der transzendenten Wirklichkeit. Bonn: F. Cohen 1924.

(VIII, Hl S.) gr. 8°. Rm. 3—; geb. 5—.

Das Buch will Menschen, „die im Vordergrund des Tagesdiensies
im Leben stehen", ein Wegweiser sein, der ihnen ihre Frage nach dem
Sinn des Daseins beantworten hilft, indem es die Wirklichkeit eines
selbständigen geistigen Lebens jenseits des naturgesetzlichen Seins als
eine einerseits naturwissenschaftlich unwiderlegliche, andrerseits unmittelbar
dem Erleben sich aufdrängende Wirklichkeit aufzuzeigen sucht.

Es erhebt den Anspruch nicht, für die wissenschaftliche Diskussion
der gegenwärtigen Rcligionsphilosophie etwas zu leisten, vielmehr
wendet es sich bewußt an die Menschen des praktischen

Lebens. Darum erübrigt sich eine Beurteilung seiner Lösung des
„Problems der transzendenten Wirklichkeit".
Güttingen. J. Beckmann.

Ewald, Dr. Oskar: Die Religion des Lebens. Basel: Kober
C. F. Spittlers Nachf. 1925. (436 S.) 8°. Rm. 6.40; geb. 8—.

Der religiöse Werdegang der Menschheit stellt sich
dem Verf. in folgenden Grundzügen dar. Den Ausgangspunkt
und letzten Lebensquell aller Religion bildet das
elementare, „mystische" Sichverbundenfühlen mit dem
Alleinen. Durch das allmähliche Werden des Individuums
schürzt sich der Knoten. Die orientalischen
Religionen (Laotse, Buddha) haben hierin nichts Positives
, keinen Fortschritt erblicken können, sie fordern
und erstreben Rückgängigmachung der Fehlentwicklung
, Versinken und Erlöschen des Ich in dem nunmehr
transzendent gedachten Gott, für den das geschichtliche
Werden nichts bedeutet, der also tot genannt werden
kann. Bejaht man dagegen das Ich, so droht freilich
die furchtbare Gefahr der falschen, selbstsüchtigen Absonderung
. Darin besteht das Wesen der Sünde, die sich
dadurch als Verirrung erweist, daß sie den Lebensquell
verschüttet, folglich nicht nur die Gemeinschaften, sondern
letztlich auch den Einzelnen selbst zerrüttet und
zerstört. Zur rechten Selbstbehauptung gelangt man dagegen
, wenn man im Ich die göttlichen Lebenskräfte entdeckt
, der Allverbundenheit sich bewußt wird und so
neubelebt und wiedergeboren nicht nur das eigene Ich
und des Nächsten Du, sondern damit auch die zwar
ewig in sich gesammelte, aber zugleich in den Werdeprozeß
ergossene lebendige Gottheit durch Liebesgemeinschaft
fördert. Das ist wahres Christentum, das
also nicht darin besteht, daß einzelnen Menschen die
Seligkeit verbürgt wird, sondern daß der Liebesgeist
Jesu sich weltumgestaltend betätigt. Hat das bisherige
Christentum diesen Sinn verfehlt, so ist zu hoffen, daß
die furchtbaren Nöte der Gegenwart, wie sie im Imperialismus
und Kapitalismus und ihren Folgeerscheinungen
zusammengeballt sind, eine erneuerte Christenheit sich
um das Banner der Liebe scharen lassen, damit endlich,
nachdem der Staat durch die Gesellschaft aufgelöst sein
wird, diese durch die Gemeinschaft ersetzt werden kann.
Man sieht, es ist dies die Religion — ebensogut könnte
man sagen, die Ethik — der Religiös-Sozialen, die in
breiten, sich oft wiederholenden, aber ernsten und charaktervollen
, manchen guten Gedanken treffend formulierenden
, meist grundsätzlichen und allzu abstrakten, gelegentlich
selbst spekulativen (z. B. über Wesen und
Ursprung des Bösen) Ausführungen dargelegt wird.
Iburg. W. Thimme.

Schlund, P. Erhard, O. F. M.: Religion, Kirche, Gegenwart.

München: Dr. F. A. Pfeiffer 8t Co. 1925. (VII, 232 S ) 8°.

Rm. 4.80; geb. 6.80.

Ein Sammelband von schon veröffentlichten Vorträgen und Aufsätzen
eines Franziskaners in München, der in bolschewistischer Gefangenschaft
in Rußland gewesen. Nach einer Einleitung über das
mögliche Christentum (der Bergpredigt) folgen Abhandlungen über
den Begriff des Glaubens, die moderne Unruhe zu Gott in der heutigen
Literatur, eine Auseinandersetzung über Religionsgemeinschaft und
Katholizismus, dann über den sozialdemokratischen Religionsbegriff,
den Bolschewismus als religiöse Erscheinung, Monismus und Kirche,
die deutsch-völkische Religion, eine Besprechung des Buches von
Heiler über Sadhu Sundar Singh, eine Auseinandersetzung mit Heiler
über den Katholizismus in religionsgeschichtlichem Gesichtswinkel und
gegen Wichmann in Halle über den Katholizismus in soziologischer
Betrachtung. Den Schluß macht eine sehr praktische Predigt an die
deutschen Christen über die religiöse Bilanz der Gegenwart, die abgesehen
von einer nebensächlichen Erwähnung der Prozessionen auch
von einem evangelischen Pfarrer gehalten sein könnte. Besonders gelungen
erscheint darin der Abschnitt über das religiöse Bedürfnis der
Großstadtseele. — Im Ganzen liest sich alles angenehm, der Verfasser
hat sehr viel gelesen und sucht auch dem Protestantismus, so
weit er kann, gerecht zu werden, vermeidet auch Polemik, ja kommt
ihm manchmal sehr nahe — z. B. über das Dennoch des Glaubens —
dann aber erscheint meist ohne Begründung plötzlich die Behauptung,
daß die Wahrheit allein bei der katholischen Kirche sei.

Ahlden a. Aller. E. W. Bussmann.