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Ausgabe: | 1925 |
Spalte: | 614 |
Autor/Hrsg.: | Witte, Johannes (Hrsg.) |
Titel/Untertitel: | Ostasien-Jahrbuch. Nr. 4. Jahresbericht des Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsvereins 1925 |
Rezensent: | Bornemann, Wilhelm |
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wegern) am wenigsten in den Sinn geht, sind die Forderungen
des Sittengesetzes, der katholischen Moral. Sie
können sie wohl bewundern, aber befolgen? nein! Hier
zeigt sich wohl die größte Schwierigkeit für Konversionen
. In der freieren, im Grunde von aller Zucht verlassenen
Moral, besser gesagt Unmoral hatte vielleicht
die stärkste Werbekraft für den Lutheranismus gelegen,
nach Luthers Grundsatz: „Sündige fest, aber glaube noch
fester." Hierin scheint die bekannte Nachsicht des
Protestantismus gegen den sittlich laxen Islam begründet
zu sein, der in seiner religiösen Verbrämung
eines sittlich zügellosen Lebens seine vorzüglichste Anziehungskraft
auf die verdorbene menschliche Natur ...
besitzt" u.s. f. Jedes Wort der Abwehr ist überflüssig,
aber ich meine: Wer im Glashause sitzt, soll nicht mit
Steinen werfen.
Auf eine ganz andere Seite des Buches muß ich
noch hinweisen. B. registriert unbeabsichtigt so viele
Entgleisungen der Protestanten (der Hof und einzelne
Pfarrer nicht ausgenommen), die auf Unbedachtsamkeit,
Neugierde oder konfessionelle Gleichgiltigkeit zurückgehen
, daß ich seinem Buch weite Verbreitung nicht nur
bei der norwegischen lutherischen Kirchenbehörde, sondern
auch unter Pfarrern und Journalisten dringend
wünsche. Sie können nirgends besser lernen, wie man
es nicht machen soll.
Göttinnen. Kur* Dietrich Schmidt.
Goetting, Dr.: Die sozialpolitische Idee in den konservativen
Kreisen der vormärzlichen Zeit. Berlin: Gebr. Ohst.
(70 S.) 8°.
Das Thema ist aus zwei Gründen einer Untersuchung wert. Die
geschichtlichen Zusammenhänge, die das Büchlein zu erhellen sucht,
liegen noch immer im Dunkel. Außerdem handelt es sich um ein
für die Gegenwart höchst bedeutsames Gebiet; versuchen wir doch,
worauf die Untersuchung immer wieder mit Recht hinweist, heute
dort anzuknüpfen, wo die große Linie der Sozialpolitik in den 80er
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts abriß.
Radowitz wird als hervorragendster Mitarbeiter des „Berliner
Politischen Wochenblatts" als Vorläufer Bismarcks gewürdigt, vielleicht
ein wenig überschätzt, da er, ebenso wie in der allgemeinen
so auch in der Sozialpolitik zwar gute Gedanken (z. B. Gewinnbeteiligung
der Arbeiter), aber keine Durchschlagskraft besaß. Der christlich
-soziale Kreis (von Kottwitz, Wichern, Amalie Sieveking u. a.)
sowie V. A. Huber führen dann unmittelbar an Bismarck heran. Es
ist zu begrüßen, daß in diesem Zusammenhang Wiehern und die
freunde der Inneren Mission in ihrer ihnen fraglos zukommenden
Bedeutung für die Lösung der sozialen Frage anerkannt werden.
Potsdam. Q. Schweitzer.
Taylor, Dr. H. u. G.: Hudson Taylor. Ein Lebensbild nach
Erinnerungen, Briefen u. Aufzeichnungen. I. Bd.: Das Wachsen
einer Seele. Alleinberechtigte Übers, a. d. Englischen. Mit Vorwort
von Pastor E. Modersohn. 6. Tausend. In Verbindung
mit der Allianz-China-Mission (Barmer Zweig der China-Inland-
Mission) hrsg. Barmen: E. Müller 1924. (XV, 412 S. m. Abb.)
gr. 8».
Es ist erfreulich und bemerkenswert, daß von diesem 1912 erschienenen
ersten Bande der großen Taylor-Biographie ein Tausend
nach dem andern aufgelegt werden kann. Der Band trägt den
Sondertitel: „Das Wachsen einer Seele" und schildert den Lebensgang
des Gründers der China Inland Mission von 1832—66. Dabei
wird die Kindheit kurz behandelt. Im 2. und 3. Teile sehen wir Taylor
sich in Barnley, Hull und London äußerlich und innerlich auf den
Missionsberuf vorbereiten. Der größere Teil des Bandes (157—412)
führt uns bereits nach China und gibt ein lebhaftes Bild von den
unendlichen Mühen, Gefahren und Enttäuschungen jener ersten Zeit
geringer Dinge. Hudson Taylor ist der Typus einer charakteristischen
Richtung angelsächsischer Frömmigkeit. Mit einer ernsten
und das Leben rückhaltlos an den Dienst des Herrn hingebenden
Frömmigkeit verbindet sich ein uns fremdartiges Trainieren im Glauben
, und merkwürdig einseitige Einstellung auf die „Not" China's
und das Mitleid als Missionsmotiv, verbunden mit der Uberzeugung
vom Verlorcnscin aller, die das Heil in Christo nicht ergriffen haben
oder Gelegenheit gehabt haben zu ergreifen. Von diesem Gesichtspunkt
des Studiums eines ausgeprägten Exponenten einer spezifisch angelsächsischen
Form der Christlichkeit aus verdient das Buch mit der behaglichen
Breite seiner Darstellung über die Missionskreise hinaus
Beachtung.
Berlin. J. leichter.
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Ostasien-Jahrbuch. Nr. 4. Jahresbericht des Allgemeinen Evangelisch-
Protestantischen Missionsvereins (Ostasien-Mission). Im Auftr. d.
Zentralvorst, hrsg. v. D. Dr. Witte. Berlin: Allgem. Evang.-
Protestant. Missionsvercin 1925. (118 S.) gr. 8°. Rm. 1.50.
Eine hervorragend inhaltreiche und fesselnde Schrift. Sie wird
die regste Teilnahme erwecken bei den Mitgliedern und Freunden des
Allg. cv.-prot. Missionsvereins. Nicht minder bedeutsam ist sie für alle
Missionsfrcunde, Pfarrer und Lehrer. Aber ihre Bedeutung reicht weit
über kirchliche und Missionskreise hinaus. Wer sich über die tatsächliche
Lage der Dinge in China und Japan unterrichten will, findet
hier die sachkundigste, alle Gebiete berücksichtigende Aufklärung.
Witte's auf Grund seiner neusten Ostasienreise gegebenen Beobachtungen
und Schilderungen der Sachlage in Japan und China (S. 6—52)
wie die Berichte des Missionssuperintendenten D. S c h 111 e r - Kyoto
(52—80) und des Missionars Pfarrers Dr. Seufert (80—92) über die
Missionsarbeit in Japan und China bis Ende 1924 bieten in musterhafter
Weise wertvollsten Stoff und wesentliche Gesichtspunkte zur
Beurteilung. Ebenso sind Missionsinspektors Devaranne Ausführungen
über das Thema „Von der Apologie zum Aktivismus" (92—100)
und „Zur Technik einer Missionsveranstaltung (100—104) gediegen und
beherzigenswert. Ein Eingangswort vom Altmeister D. Buß-Glarus
eröffnet, die üblichen Übersichten über Leitung, Gliederung, Mittel und
Literatur des Allg. cv.-prot. Missionsvereins beschließen das Heft. Wenn
S. 105 im Zentralvorstand eine ganze Reihe früher regelmäßig dort
aufgeführter Namen jetzt fehlen, so wäre wohl in einer Anmerkung der
Grund dafür, nämlich die erfolgte Neuorganisation, anzugeben gewesen.
Frankfurt a. M. W. Bornemann.
Witte, Priv.-Doz. Miss.-Dir. D. Dr. J.: Sommer-Sonnentage in
Japan und China. Reise-Erlebnisse in Ostasien im Jahre 1924.
Mit 22 Abb. auf 16 Taf. Göttingen: Vandenhoeck Bt Ruprecht
1925. (IV, 218 S.) 8°. Rm. 6—; geb. 8—.
Das Buch hat „ein Vorwort, das gern gelesen sein möchte".
Wenn nur erst das, meint der Verfasser wohl, geschehen sein werde,
so habe er gewonnenes Spiel. Leser der Th. Ltz. werden nun doch
kaum finden, daß schon das Vorwort ihnen ganz neue Offenbarungen
enthalte. Daß in Ostasien ein ungeheures Ringen zweier Kulturen
sich vollzieht, und daß wir, um der ganzen Menschheit wie um unser
selbst willen, diesem Ringen nicht teilnahmslos, gleichgiltig gegenüberstehen
können, das weiß man hoffentlich in unseren Reihen, und
diese Einsicht — von anderem Missionsmotive hier einmal abzusehen
— führt auch dem Werke der Ostasienmission in, wie zu
wünschen ist, mehr und mehr wachsender Zahl die tätigen Freunde zu,
deren sie benötigt. Ihnen aber bietet das fesselnd geschriebene Buch
des Direktors der deutsch-schweizer Ostasien-Mission, der literarische
Ertrag seiner zweiten Inspektionsreise, die sicher sehr erwünschte allgemeine
Orientierung über den derzeitigen Stand der Dinge. Wenn
ich sage, daß ich selber, obwohl ich in der hier geschilderten und beurteilten
Welt des Fernen Ostens mehr als ein Jahrzehnt meines
Wohnens und Wirkens gehabt, das Buch nicht ohne Gewinn gelesen
habe, so ist das vielleicht doch manchem anderen ein Anreiz, auch
seinerseits nach ihm zu greifen. Ob, fragte mich soeben erst ein
Kollege der Philosophischen Fakultät, der es mit Befriedigung gelesen,
auch alles „stimme"? „Durchaus", konnte ich mit gutem Gewissen
ihm versichern.
Leipzig. H. Haas.
Kluckhohn, Paul: Persönlichkeit und Gemeinschaft. Studien
z. Staatsauffassung d. dtschn. Romantik. Halle a. S.: M. Niemeyer
1925. (V, 111 S.) gr. 8°. = Deutsche Vierteljahrsschrift
f. Literaturwissensch. II. üeistesgesch., Buchreihe, Bd. 5.
Rm. 6—; geb. 7.50.
Der Bonner Staatsrechtler K. Schmitt hat in seiner
Schrift „Politische Romantik" (2. Aufl. 1925) ein Zerrbild
von der Romantik entworfen. Der Verfasser des
vorliegenden Buchs widmet ihr eine kritische Anmerkung
(S. 96f.). Aber die beste Widerlegung Schmitts
liefert Kluckhohns Buch als Ganzes: hier werden auf
Grund umfassender Quellenkenntnis die Anschauungen
der Romantik in ihrer wahren Gestalt geschildert und
als ein geschlossener Gedankenkreis erfaßt: wer damit
Schmitt's Darstellung vergleicht, erkennt sofort deren
Unhaltbarkeit.
Es ist die Grundauffassung der Romantik, die uns
K. schildert, die, von der aus alle ihre übrigen Aufstellungen
verständlich werden. Darum vermittelt er uns
eben zuverlässige Kenntnis von dem Ziel der Romantik
überhaupt. Und deshalb dient sein Buch als zweckmäßiges
Hilfsmittel für die Berichtigung mancher weiterer
Darstellungen, die zwar nicht so gröblich wie Schmitt
die Romantik mißverstehen, aber ihr Wesen doch auch
Theologische Literaturzeitimg 1925 Nr. 26.