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Ausgabe:

1925 Nr. 26

Spalte:

603-605

Autor/Hrsg.:

Jirku, Anton

Titel/Untertitel:

Die Wanderungen der Hebräer im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend 1925

Rezensent:

Gustavs, Arnold

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603

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 26.

604

einen altvertrauten Klang. Vor allem der Alttestamentler
wird aus Grapows Büchlein eine Fülle von Anregungen
schöpfen können.

Heidelberg. Hermann Ranke.

Jirku, Prof. D. Dr. Anton: Die Wanderungen der Hebräer
im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend.

Leipzig: J. C. Hinrichs 1924. (32 S.) gr. 8°. = Der Alte Orient,
Bd. 24, Heft 2. Rm. 1.20.

Es ist mehrfach so gewesen, daß historische Gleichungen
, die zunächst bei ihrem Auftauchen allgemein
und mit einer gewissen Begeisterung angenommen wurden
, allmählich mit immer mehr Fragezeichen versehen
werden mußten. Und das war auffallenderweise meist
herbeigeführt durch ein Anwachsen des Materials. So
lange eine solche Gleichung sich auf wenige gleichartige
Angaben stützt, erscheint sie als selbstverständlich
und einwandfrei. Sowie aber ein breiteres Material erlaubt
, die Sache von mehreren Seiten anzuschauen,
tauchen Fragen auf, die vorher noch außerhalb der Sehweite
lagen. Man sieht, daß der Verlauf der Geschichte
meist viel, verwickelter ist, als die glatten Formeln erkennen
lassen, auf die man sie bisher gebracht hatte.
So ähnlich ist es auch mit der Gleichung Habiru =
Hebräer gegangen. Bald nach dem Bekanntwerden der
EL-Amarna-Briefe war es eigentlich eine ausgemachte
Sache, daß die Habiru die Hebräer sein mußten. Je
länger je mehr wurden aber Zweifel rege, und besonders
in letzter Zeit ist denselben verschiedentlich Ausdruck
gegeben worden.

Zwei Anschauungen stehen sich gegenüber: die
einen beharren dabei, daß die Habiru mit den Hebräern
identisch sind; sie sehen in Habiru also den Eigennamen
eines Stammes oder Volkes. Die anderen sehen in
Habiru nur ein appellativum, das irgendeine Horde nach
einer hervorstechenden Eigenschaft bezeichnet. Es mag
dazu gleich bemerkt sein, daß dieser Streit vielleicht nur
ein Streit um Worte ist; denn könnte die Sache nicht
so gewesen sein, daß die Angehörigen des Stammes zunächst
nach ihrer Beschäftigung oder ihrer Eigenschaft
als „Verbündete", „Räuber" oder „Nomaden" bezeichnet
worden wären, und daß diese Bezeichnung schließlich
zum Eigennamen geworden wäre? Entstehen so
nicht überhaupt Namen? Wie dem auch sei, in letzter
Zeit haben sich die Stimmen gemehrt, die in Habiru
nur ein appellativum sehen wollen.

Demgegenüber will Jirku die alte Gleichung aufrecht
halten und durch neues Material stützen. Er geht
von der bekannten Tatsache aus, daß das Volk, das den
Mittelpunkt der alttestamentlichen Schriften bildet, mit
zwei Namen bezeichnet wird: Hebräer und Israeliten. Es
gibt Fälle, in denen beide Namen sich sachlich decken.
Daneben kommen aber auch Fälle vor, in denen mit dem
Worte Hebräer nicht Israeliten gemeint sein können.
Aus den betreffenden Stellen muß man herauslesen,
daß noch in den Tagen Sauls ein von den Israeliten
zu trennendes Volk der Hebräer vorhanden war. Er
bringt dann in einem zweiten Abschnitt die keilin-
schriftlichen Nachrichten über die Habiru-SA. GAZ. Diese
treten uns zuerst um die Mitte des dritten Jahrtausends
im südlichen Babylonien entgegen, und zwar als Söldner
der Könige von Babylon. Später begegnen sie uns
im Norden im Machtbereiche der Hethiter, wo sie auch
Söldnerdienste tun. Um die Wende des 15. und 14.
Jahrhunderts dringen sie gleichzeitig mit den Hethitern
in Syrien und Palästina ein. Sie sind allem Anschein
nach auch hier als Söldner in den Dienst des jeweils
Mächtigsten oder dessen, der sie am besten bezahlte,
getreten. Die nicht unbedeutende Rolle, welche die
Habiru im vorderen Orient gespielt haben müssen,
spiegelt sich auch darin wieder, daß in einer assyrischen
Götterliste ein Gott Habiru vorkommt, und daß in den
Staatsverträgen von Boghazköi unter den Schwurzeugen
iläni Habiri begegnen. Wahrscheinlich sind auch,
wie Jirku in einem dritten Abschnitt nachzuweisen
trachtet, die 'pwrj, die in ägyptischen Texten der Zeit
von 1300—1100 auftreten, mit den Habiru-Hebräern
gleichzusetzen.

Vieles von dem, was Jirku anführt, war ja schon
bekannt. Doch ist es, auch abgesehen von dem neuen
Material, das er vor allem aus den Boghazköi-Texten
beibringt, wertvoll und angenehm, alles beisammen zu
haben. Das, worauf Jirku besonders den Finger legt,
ist der Umstand, daß die Wanderung der Abrahamsleute
denselben Weg gegangen ist, auf dem wir auch die
Spuren der Habiru finden: von Südbabylonicn über das
nördliche Mesopotamien hinein nach Palästina. Eben
diese auffallende Übereinstimmung ist für Jirku ein Beweis
für die Richtigkeit der Gleichung Habiru = Hebräer
, was er im Schlußabschnitt seines Buches näher
ausführt. Freilich die im Hinblick auf das gegenseitige
Verhältnis von Hebräern und Israeliten geprägte Formel
: „Alle Israeliten sind Hebräer, aber nicht alle
Hebräer sind Israeliten" will er nicht als zutreffend
gelten lassen; die richtige Formel wird vielmehr lauten
müssen: „Neben dem aus einer Vereinigung von Hebräern
und Israeliten entstandenen Volke Israel gab es
noch Jahrhunderte hindurch selbständige hebräische
Volkssplitter, die allmählich vom Schauplatze der Geschichte
verschwinden, zum Teil auch wiederum aufgehend
in dem schon konsolidierten und geeinigten
Israel."

Man muß zugestehen, daß Jirkus Darlegungen,
wenn sie in den Hauptsachen zutreffen, eine Stütze
für die Gleichung Habiru = Hebräer bedeuten. In
manchen Punkten scheinen mir jedoch Jirkus Schlußfolgerungen
anfechtbar zu sein. Er legt großen Nachdruck
darauf, daß uns die Habiru meist als Söldner entgegentreten
und charakterisiert sie daher als „raubende
Söldnerscharen" (S. 23). Kann es aber in Wirklichkeit
nicht so gewesen sein, daß diejenigen Habiru, die
uns in den Inschriften als Söldner begegnen, sozusagen
nur die Peripherie des eigentlichen Habiru-Volkes darstellen
, das mit seinem Gros irgendwo in der syrisch-
mesopotamischen Wüste ein Nomadendasein führte und
von dem je und dann einige abenteuerlustige und beutegierige
Mitglieder ihr Glück in den Kriegszügen der
umliegenden Königreiche suchten? So lernten wir in
jenen Söldnern lediglich die Ausläufer der Habiru
kennen. Es ist ja auch von vornherein schwer vorstellbar
, daß ein anscheinend nicht unbedeutendes Volk sein
ganzes Eigenleben im Tun von Söldnerdiensten erschöpft
hätte; nach den sonstigen Beispielen der Geschichte
kann das immer nur ein kleiner Bruchteil gewesen
sein, der auf diese Weise stammesfremd wurde.
Damit werden auch die Aufstellungen Jirkus über die
Wanderungen der Habiru zu einem guten Teile zweifelhaft
. Denn dann zeichnen die Nachrichten der Keilinschriften
über die Habiru nicht mehr den Weg, den die
Wanderung eines ganzen Volkes im Laufe der Jahrhunderte
genommen hat, sondern sie geben nur über das
sporadische Auftreten von Landsknechthaufen dieses
Volkes Auskunft. Wir müssen uns stets die Lückenhaftigkeit
und Zufälligkeit unseres Materials vor Augen
halten, um voreiligen Verallgemeinerungen aus dem
Wege zu gehen.

Auffallend bleibt und ist auch durch Jirku nicht befriedigend
erklärt, daß die drei einzigen uns überlieferten
Eigennamen von Habiru-Leuten nicht semitisch sind:
Har-bi-si-pak und ~Ku-dur-ra sind kassitisch (nordela-
misch), und Te-it-te ist vielleicht subaräisch. Die beiden
ersten Namenträger werden als Ha-bir-a-a bezeichnet,
der letzte als »»S SA. GAZ.

Der Name Kudurra ist übrigens nicht unvollständig, wie Jirku
S. 16 meint; da auf ihn mär mit dem Namen des Vaters folgt, ist er