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Ausgabe:

1925 Nr. 2

Spalte:

41-43

Autor/Hrsg.:

Arseniew, Nicolas von

Titel/Untertitel:

Ostkirche und Mystik 1925

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 2.

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viel Belehrung und Genuß. Die Lebensläufe und
Schicksale der in Betracht kommenden Persönlichkeiten
sind mit Sorgfalt und Liebe gezeichnet. Etliche Wiederholungen
muß man in Kauf nehmen, da eben vielfach
dieselben Männer in mehreren Ländern tätig waren.
Die Literaturbenützung ist nicht auf der Höhe. Namentlich
vermißt man von deutschen Forschern manche
Namen und Werke (Reuter, Hausrath, Holl, Scheel,
Kalkoff usw.) und bei denen, die angeführt werden,
finden sich die üblichen Druckfehler in Namen und
Buchtiteln (S. 88 auch einmal .Wittenberg' statt .Württemberg
'). Dafür ist S. 69 Heinrich Heine als .moderner
Historiker' angerufen. Kap. VIII wirft dann noch einen
Blick auf den Sozinianismus als .negativen Beitrag'.
Kap. IX gibt einen Rückblick und beantwortet die unwillkürlich
aufsteigende Frage, warum denn Italien, das
der Reformation so vorgearbeitet hatte und zu ihrer
Verbreitung so viel beitrug, selber schließlich sie doch
ablehnte. Als Gründe führt er an: die Renaissance,
den Nationalstolz und die römische Inquisition. In der
Tat hat der italienische Humanismus wie am Ursprung
der Reformation, so auch an ihrem Mißlingen in Italien
seinen Anteil, da er religiös schwächer und teilnahmsloser
war, als sein deutscher Sproße, und für die Gedanken
, um die in Deutschland gerungen wurde, nichts
übrig hatte. ,Für Italien kam die Reform mindestens um
ein Jahrhundert zu spät' (S. 192). Man könnte hier
auch an das Wort des vor einiger Zeit heilig gesprochenen
Klemens Maria Hoffbauer erinnern, daß die
Deutschen Reformation machten, weil sie religiös waren
und religiös bleiben wollten. Der Nationalstolz der
Italiener aber betrachtet den römischen Katholizismus
mit dem Papsttum als eine Schöpfung und darum als
einen Ruhmestitel Italiens, wie das alte römische Imperium
, wie die Göttliche Komödie Dantes und die
Renaissance. Daß endlich die Inquisition unter den
Hindernissen, die der Ausbreitung des Protestantismus
in Italien im Wege standen, .nicht das geringste' war,
leuchtet ebenfalls ein. Wie der Verf. mit Recht bemerkt,
harrt diese Seite noch der Erforschung und Darstellung.
Er selber weiß aus den Provinzialarchiven der alten
Republik Venedig (jetzt im Archiv Frari zu Venedig)
anzugeben, daß in ihrem Gebiet im 16. Jahrhundert
1562, im 17. Jahrh. 1469, im achtzehnten 541 Inquisitionsprozesse
wegen Glaubenssachen spielten (S. 196).
Freilich hütet das Archiv, das in erster Linie Aufschlüsse
geben könnte, das der Inquisition in Rom, seine Geheimnisse
aufs ängstlichste. Ist es doch sogar dem
Freiherrn von Pastor, dem sich sonst alle Türen öffneten
, trotz höchster Empfehlungen verschlossen geblieben
. Das .heilige Offizium' wird wissen warum.
Die Schlußsätze des Verfassers und des Herausgebers
zeigen, daß die italienischen Protestanten mit ihren
katholischen Volksgenossen im Stolz auf ihre .nazione
privilegiata' und in der Begeisterung für das .größere
Italien' durchaus einig sind. Es wäre nur zu wünschen,
daß hierin die Deutschen aller Bekenntnisse von Italien
lernten, damit sie dort nicht wieder, wie am Ausgang
des Mittelalters, als ,ruvidi e semplici tedeschi' (S. 78)
verlacht werden. Vorliegendes Buch ist das vorletzte
aus der Feder des inzwischen verstorbenen Verfassers.
Vorher veröffentlichte er an einschlägigen Werken: Bib-
liografia della Storia della Riforma in Italia 1921, La
Fortuna di Dante nella Christianitä Riformata 1921,
The Baptists in Italy 1924. Und druckreif hinterließ
er ein Werk: I manoscritti della Riforma italiana.
München. Hugo Koch.

Arseniew, Lektor Dr. phil. Nicolas v.: Ostkirche und Mystik.

'• Vom Geist der morgenländischen Kirche. II. Verklärung der Welt
und des Lebens in der christlichen Mystik. Mit einem Geleitwort
des Herausgebers. München: E. Reinhardt 1925. (X, 115 S.) 8°.
= Aus der Welt christl. Frömmigkeit, hrsg. von Friedr. Heiler,
Bd_.8- , Gm. 2.50.'

Ein schönes, inhaltreiches Büchlein. Ich habe es
mit vieler innerer Freude mitempfunden, was der

Russenflüchtling, offenbar in erster Linie sich selbst
zum Trost, zur Erhebung, aus der liturgischen und
asketischen Literatur seiner über alles geliebten Kirche
an Worten mystischen Jubels oder auch Demut uns, den
Leuten des Westens, mitteilt. Diese Literatur ist sehr
reich, sachlich wundersam einförmig, im Ausdruck unerschöpflich
vielfältig. Auch mancher Mystiker des
Westens wird von Arseniew herangezogen. Und ich
möchte den sehen, dem ein Franziskus von Assisi nicht
immer wieder das Herz abgewönne, wo er seiner Liebe
zu Gott und aller Kreatur in glaubhaften Worten und
Handlungen oder auch nur in Legenden von ihm begegnet
. Daß wir in der evangelischen Kirche auch
Mystik haben, reiche, feine, tiefe, weiß A. kaum; er
kennt nur Jakob Böhme, Georg Fox, auch Novalis: den
am reinsten evangelischen Mystiker, Ter-
Steegen, hat er noch nicht bemerkt. A. ist durch und
durch „Russe". Alle „Mystik" kreist für ihn um die
„Überwindung des Todes durch das Leben" in der leiblichen
Auferstehung Jesu. Er hat völlig recht: Die
alte Christenheit des Orients, die griechische (ägyptische
, syrische usw.) Kirche des Altertums hegte kaum
einen andern Gedanken über das, was Christus uns
„ist", was die &vav&Qtütrr]Oig rov Aöyov bedeutete
gebracht hat, als diesen. Ich habe schon vor mehr
als dreißig Jahren in der „Vergleichenden Konfessions-
kunde" I, Die orthodoxe anabolische Kirche, 1892, den
Traktat des Athanasius darüber als gewissermaßen die
dogmatische Fanfare dieser Kirche hingestellt. A. zeigt,
und indem er das betont, weist er an der Mystik seiner
Kirche auch solches auf, was noch nicht genug beachtet
worden, daß jener Gedanke auch Welt- und Lebens-
verklärung enthält. Freilich, die Durchleuchtung
der „Natur", des Leibes (Fleisches), die dabei zum
Teil erreicht wird, ist doch nur eine Reinigung der
Phantasie und wirkt sich wesentlich auch nur aus als
Askese in freudevoller Vorwegnahme des Lebens
der Engel. Der Mystiker sieht schon mit deren
Augen, sieht den Widerschein des Himmels in den „Gestalten
" der Erde. Das ist platonisches Erbe des Griechentums
. A. hat in Detailstudien sich mannigfach
umgesehen; er fußt durchaus auf gelehrter Arbeit, aber
offenbar ohne Kenntnis der großen Züge der historischen
Forschung. So kommt manches verzettelt heraus.
Er ist in der neueren theologischen Literatur des
Westens noch wenig belesen; von deutschen Dogmen
h i s t o r i k e r n kennt er nur R. S e e b e r g, anscheinend
Harnack nicht (in den 421 Anmerkungen
begegnet man seinem Namen nicht); daß W. G a ß der
Mystik seiner Kirche spezielle Schriften gewidmet hat,
weiß er nicht. Er soll darüber nicht gescholten
werden, ich möchte nur feststellen, daß das Büchlein
uns, den Theologen, nicht gerade viel Neuland erschließe
. Aber für viele unserer Laien ist es gewiß eine
Art von Offenbarung. Und es ist eine Blütenlese, die
ich gern empfehle, weil wir noch keine solche
haben. Wem Andacht mit zum Christentum gehört
— wir Evangelischen stehen in dem Verständnis dafür
zurück hinter den andern Konfessionen! — der kann
von Mystik nicht gering denken und abschätzig reden,
mag sie auch als „Erlebnis" individuell bleiben. Wem
es klar ist, daß die Auferstehung Christi letztlich
wirklich das Maßgebende am Evangelium ist, weiß auch
innerlich teilzunehmen an der spezifischen Osterfreude
und dem eucharistischen Jubel darüber, daß die feiernde
Kirche ihren Herrn lebendig-persönlich in ihrer Mitte
wisse. Dennoch muß betont werden, daß Mystik nicht
das Höchste für einen Christen, die größte Gnade für
ihn, sei. Vollends gilt, daß sie unmöglich so Ein und
Alles sein könne und dürfe, als A. sich vorstellt. Wir
wollen dem Geist der Ostkirche nicht wehren bei
uns. Aber wir sollen nicht vergessen, daß der Glaube
eines Paulus, Augustin, Luther mehr bedeutete und
verlangte als Andachtsfreude. Das Alltagsleben, die
Arbeit der Liebe, das sittliche Aufmerken auf