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Ausgabe:

1925 Nr. 25

Spalte:

597-598

Autor/Hrsg.:

Kupffer, K. R.

Titel/Untertitel:

Materialismus, Vitalismus und Relativitätstheorie. Vortrag 1925

Rezensent:

Schrenck, Erich

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697

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 25.

698

L e i b n i z, G. W.: Philosophische Werke. IV. Bd.: Die Theodicee.

Neu übers u mit Einleitung, Anmerkungen und Register vers. v.

Artur Buchenau. Leipzig: F. Meiner 1925. (VIII, 510 S.) 8».

= Philos. Bibliothek, Bd. 71. Rm. 8—; geb. 10—.

Daß die Cassirer - Buchenau'schc Leibniz - Ausgabe der Philosophischen
Bibliothek nach den beiden Bänden der „Hauptschriften"
und dann den Nouveaux Essais sich nun auch für die Theodicee von
dem peinlichen Erbe v. Kirchmanns befreit hat, wird man begrüßen
. Obwohl das religiös-philosophische Grundbuch des achtzehnten
Jahrhunderts (oder wenigstens seiner ersten Zweidrittel) für
die heutige Leibniz-Auffassung nur noch subsidär von Bedeutung ist.
Das drückt sich auch in der vorliegenden Neuübersetzung aus: Cassirer
hat das Feld Buchenau allein überlassen, und dieser beschränkt seine
„Einleitung", von der das Titelblatt spricht, auf ein bloßes „Vorwort
" von 3*/| Seiten, dessen zweite Hälfte nur kurz von der äußeren
Entstehungsgeschichte des Buches handelt, und dessen erste, mehr
„sachliche" Hälfte es mit einigen sehr allgemeinen Bemerkungen
genug sein läßt (dabei ist Buchenau mit der Interpretation von
Leibniz' Begriff der „Kompossibilität" ein Irrtum passiert). Die „Anmerkungen
" sind zum weitaus größten Teil nur Übersetzungen der
fremdsprachlichen Zitate, die der Text im Wortlaut der Originale
stehen zu lassen für richtig gehalten hat.

Göttingen. Schmalenbach.

Stavenhagen, Kurt: Herder in Riga. Rede, geh. z. Festaktus
des Herder-Institutes am 4. Sept. 1922. - Kupffer, K. R- Materialismus
, Vitalismus und Relativitätstheorie. Vortrag, geh.
auf dem Jahrcsaktus d. Herder-Gesellschaft zu Riga am 7. Sept.
1924. Riga: G. Löffler 1925. (49 S.) 8°. im Abhdlgn. d. Herder-
Instituts zu Riga, t. Bd., Nr. 1. Rm. 1.85.
Der I. Band der Abhandlungen des Herder-Instituts
liegt nun vor, wir haben das 1. Heft zu besprechen. Der
Band wird trefflich eingeleitet durch Stavenhagens Rede
zum Festaktus des Herder-Institutes am 4. 9. 22, deren
Thema glücklich gewählt ist. Über Herder in Riga ist
manches geschrieben worden, aber St. hat Neues zu
sagen. Die beiden Fragen: Was hat Herder von Riga
aus der Welt Neues geboten? Und: hat Riga dazu beigetragen
? werden von ihm in einer knappen, aber zugleich
lichtvollen und überzeugenden Weise beantwortet.
Wenn Herder Shakespeare und das A. T., die Bedeutung
der Sprache und des Volksliedes neu entdeckt hat, so
sind das alles nur die Folgen dessen, daß er die Welt
neu gesehen hat. Er „sah den einheitlichen Geist,
aus dem ein Lebendiges hervorquillt", er hatte die Fühlung
mit dem „Unwillkürlich-Triebhaften" und erfaßte
es in seiner Eigenart, in seinem Sinne und seinem Zusammenhange
mit der ewig quellenden Natur. So gewann
er ein neues Verständnis des Dichters, des Volkes,
der Sprache, der Natur. Mit solchen Erkenntnissen
überflügelte er Wieland, Lessing, Kant, Rousseau, ward
der unmittelbare Lehrer Goethes und Bildner der Anschauung
, über die auch wir nicht hinausgekommen.
Gut, wenn wir sie erreicht haben.

Das alles aber schon von Riga aus. Ja, auch die
Frage, ob Riga dazu beigetragen, ist zu bejahen. Die
Atmosphäre eines fremden Volkstums, die in Riga gepflegte
Musik, die Schulpraxis und die ungeheure Erweiterung
seines Horizontes durch das Gemeinwesen
Rigas, wo Herder nicht der gedrückte Küsterssohn,
sondern der hochgeachtete Gast und Genosse der Regierenden
war, haben seine Blickstellung völlig verändert
. „Das Herdersche in Herder ist in Riga gewachsen
." In dieser Formulierung liegt schon angedeutet
, daß das Riga von 1764—69 nicht als Lehrmeisterin
zu betrachten ist, sondern als der günstige
Boden, auf dem der geniale junge Mann in den entscheidenden
Jahren seiner Entwicklung heranreifen
konnte. — Man wird durch Stavenhagens Rede wirklich
gefördert, sowohl in der Gesamtanschauung als in den
Einzelheiten.

*

Kupffer präzisiert in seiner ebenso scharfsinnigen
wie anregenden Abhandlung den Hauptunterschied zwischen
materialistischer und vitalistischcr Weltbetrachtung
dahin, daß nach der ersten sämtliche Naturvorgänge
nach mechanischen Gesetzen rein kausal ablaufen, während
der Vitalismus Vorgänge anerkennt, in denen diese

Betrachtungsart versagt und finale Zusammenhänge anzunehmen
sind. Das ist die Schwierigkeit des Vitalismus,
daß er Vorgänge annimmt, in denen das Zukünftige dem
Gegenwärtigen und Vergangenen vorangeht, ja es hervorruft
. Diese Schwierigkeit dauert aber nur solange,
als man den Zeitablauf, wie er uns erseneint, als „objektive
Wirklichkeit" auffaßt. Berücksichtigt man aber die
Möglichkeit, daß die Zeit gar nicht eine veränderliche,
sondern eine unveränderliche Größe ist, die uns nur als
ablaufend erscheint, weil wir uns durch sie hindurchbewegen
, so schwindet die Schwierigkeit einer vitalistischen
Weltanschauung. Diese Erwägungen werden
durch Einsteins Relativitätstheorie gestutzt, deren Bedeutung
mit darin besteht, daß eine Umkehrung des
scheinbaren Zeitablaufs, wenn auch unvorstellbar, so doch
nicht undenkbar ist. Somit fällt die scheinbare Unmöglichkeit
einer Weltbetrachtung, die .neben dem Kausalen
auch dem Finalen ihr Recht zugesteht. „In der Erkenntnis
, daß wir den eigentlichen letzten und tiefsten Zusammenhang
zwischen Ursache und Wirkung bei
natürlichen Vorgängen ebensowenig erfassen können,
wie denjenigen zwischen Verlauf und Ziel zweckmäßigen
Geschehens, werden wir anerkennen können,
daß in der Natur neben kausalen auch finale Zusammenhänge
vorkommen mögen, die wir mit gleichem Recht
oder Unrecht als Gesetze bezeichnen dürferl."

Die durch interessante Beispiele veranschaulichte
Theorie K.'s sollte gerade auch von theologischer Seite
Beachtung finden.

Riga. Erich v. Schrenck.

A r p e r, D. Karl, n. Alfred Z i 11 e s s e n: Evangelisches Kirchenbuch
. I. Bd.: Der Gottesdienst. 4., neu bearb. u. venn. Aufl.
Güttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1925. (16'u.404S.) gr. 8°. •*>
Praktisch-theologische Handbibl., 1. Sonderband. geb.Rm.14—.

Dieses Kirchenbuch hat viele Freunde gefunden und
wird Sonntag für Sonntag in zahllosen Gottesdiensten
gebraucht. Unerwartet schnell sind die Auflagen gefolgt,
so schnell, daß es den Verfassern nicht möglich war,
den längst angekündigten Schlußband des ganzen Werkes
, die „übrigen Handlungen" außer Bestattung (bereits
1923 gedruckt) enthaltend, erscheinen zu lassen.
Nur vier Jahre liegen zwischen der 3. und 4. Aufl., die
Friedrich Niebergall, dem „unermüdlichen, verständnisvollen
Förderer dieses Kirchenbuches" in herzlichster
Dankbarkeit und Freundschaft gewidmet ist.

Es ist in der Tat eise neubearbeitete und vermehrte
Auflage. Die Seitenzahl stieg von 348 der 3. auf 464 der 4.
Die Verfasser haben ihre Hauptaufgabe außer in einer
sorgfältigen Nachprüfung des Ganzen in zweierlei gesehen
: den Stoff von Sprüchen, Gebeten und Schriftverlesungen
ganz wesentlich zu vermehren und sodann
die Gebete umzuarbeiten. Wie sie hier vorgegangen sind,
ergibt sich schon daraus, daß die ersten 24 Ordnungen,
Advent—Osterzeit 112S. umfassen statt 88 in der 3. Aufl.

Die Grundform des Kirchenbuches im ganzen, wie
in den einzelnen Ordnungen ist durchaus die gleiche, nur
überall eine starke Vermehrung des Stoffes bemerkbar;
außerdem sind einige Liturgien hinzugefügt: 41 Kirchengesangfest
, 43 Gottes Majestät, 73 Nachfolge Jesu, 87 zukünftige
Herrlichkeit, umgestellt ist 52, jetzt 71, 63
Heiligung und Edelsinn heißt in der 4. Erneuerung des
Herzens, 81 jetzt auch für Synodalgottesdienst geeignet,
die Einschaltungen (Fürbitten nach der Predigt) sind
wieder aufgenommen. Die Vorlagen für den Kindergottesdienst
, die in der 2. Aufl. noch ganz fehlten, sind
erweitert. Neu ist auch ein sehr brauchbares Stellen-
register, eine längere Einführung und ein zu kurzes
Quellenverzeichnis, das nur Smend berücksichtigt.

Es war wohl zu allen Zeiten so, besonders aber
in unserer „kultischen", daß den Herausgebern eines
Kirchenbuches oder Gesangbuches unzählige Wünsche,
darunter solche kleinlichster Art, vorgetragen werden oft
nur ein Zeichen liturgischer Planlosigkeit und mangelnder
Grundsätzlichkeit. Die Verfasser haben gut getan,