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Ausgabe:

1925 Nr. 2

Spalte:

596

Autor/Hrsg.:

Quervain, Alfred de

Titel/Untertitel:

Der Glaubenskampf der Hugenotten 1925

Rezensent:

Bossert, Gustav

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595

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 25.

Einzelheiten: die „gelehrte" Art der Behandlung des
Stoffes, das Eingehen auf dogmatische Fragen und
die Einzelauseinandersetzung mit protestantischen Argumenten
u. dergl. Aber wenn der Generalvikar Manareus
1580 dem Canisius die potestas gibt ejus (seil operis)
denuo reeognoscendi et, quae mutabuntur, cum tribus
istius provinoiae patribus conferendi, ac deinde ut sursurn
imprimatnr (VII, 582), ist's dann nicht etwas gar zu
erbaulich ausgedrückt, wenn Braunsberger in seiner
Biographie (S. 267) nur sagt, Canisius habe „die Erlaubnis
erlangt, neue Auflagen seiner Werke über Johannes
den Täufer und Maria besorgen zu dürfen". Auch
das ist zwar gewiß richtig, was Braunsberger
(VII, 785ff.) gegen Drews (S. 133) ausführt, daß, als
Canisius verhindert wurde, den dritten Band, über Petrus
und das Papsttum, zu schreiben, diese formalen Gründe
und andre äußerer Art dabei eine Rolle gespielt haben:
Canisius würde die Hilfe der Ordensbrüder zu stark in
Anspruch nehmen und doch nie fertig werden, der Rektor
in Ingolstadt wollte ihn in seinem Kollegium nicht haben
u. dergl. Aber wenn Paul Hoffaeus, der, damit Canisius
die Muße für sein großes Werk habe, 1569 an seiner
Statt Provinzial geworden war, meinte, de S. Petro jam
sexcentos absolutissime scripsisse nec Candsium quid-
quam novi afferre posse (VII, 788), ist damit nicht auch
ein deutliches Mißtrauen gegenüber dem, was Canisius
inhaltlich bringen werde, ausgesprochen? Bellarmin
hat schon 1586 im ersten Bande seiner Disputa-
tiones viel Neues über den Stoff zu bringen vermocht,
und derselbe Ordensgeneral Mercurian, der im Jahre
1578 den Canisius im Einverständnis mit Gregor XIII.
„in Rücksicht auf sein Alter" von dem Werk über Petrus
entband und ihm gestattete, se ad anirri et corporis quietem
et sanetum in Domino otium tradere (VII, 438), hatte
den Bellarmin schon 1576 an das Collegium Romanum
gezogen und wird schon 1578 gewußt haben, was von
diesem tüchtigen Ordensgenossen der jüngeren Generation
— er war 21 Jahre jünger als Canisius — erwartet
werden konnte; er brauchte die Feder des Canisius
nicht mehr. Daß das Verhältnis zwischen Hoffaeus
und Canisius keineswegs immer gut war, führt Braunsberger
selbst aus (VII, 843), und er fügt hinzu:
compluribus quoque aliis soeiis Canisii praesentia mo-
Iestior, quam gratior erat. Canisius ging auch zweifellos
ungern und nur der Gehorsamspflicht Folge gebend
nach Freiburg (vgl. VII, 591). Daß er grade dorthin
geschickt ward, dafür werden die „zufälligen" Gründe
entscheidend gewesen sein, auf die Braunsberger
hinweist. Mit der „Kaltstellung" kann es doch seine
Richtigkeit haben. Hätte sich nicht diese überaus
günstige Gelegenheit dargeboten, so hätte man wohl eine
andre gefunden. Ist es nicht auch noch in Freiburg dem
Canisius, noch ehe er altersschwach wurde, fortgehends
immer mehr „ermöglicht" worden, „se ad animi et corporis
quietem et sanetum in Domino otium tradere"?
Canisius hat sein 1595/96 geschriebenes „testamentum"
im Jahre 1596/97 (z. T. vielleicht auch gleich) durchkorrigiert
. Wenn er da dem ersten Satze die im Folgenden
eingeklammerten Worte hinzufügte: er fühle, annos
jam natus septuaginta quinque (vel sex), sich veranlaßt,
ut senex (imo senior inter nostros) sarninas, ut drei solet,
colligam etc. (I, 33), so sollte dies „immo senior inter
nostros" freilich zunächst wohl nur besagen, daß Canisius
jetzt an Lebens- oder Ordensalter der Senior unter seinen
Genossen war, doch hat mir, seit ich um 1885 durch
meinen Freund und späteren Fakultätsgenossen Paul
Drews (f 1912) diesen Zusatz kennen lernte, der
Komparativ „senior" stets einen Klang nach dem
„allzu alt" hin gehabt. Und die Erinnerung an dies
„immo senior inter nostros" hat sich mir mit dem Gedanken
an Canisius in Freiburg fest assoziiert. Ob das
richtig ist, mag dahin gestellt bleiben. Auch der Herausgeber
wird die von der seinigen abweichende Beurteilung
der Behandlung des Canisius durch seine Oberen
nicht als schmerzliche Folge protestantischer Ketzerei

empfinden; denn er weiß ja, daß facta aliqua huic
opinioni speciem veritatis praebent. Doch es bleiben
zwischen ihm und seinen protestantischen Lesern manche
andre Urteilsdifferenzen, die tiefere Wurzeln haben.
Über die Frage z. B„ was an Canisius aufrichtige Hochschätzung
verdient, werden evangelische und katholische
Christen stets verschieden denken. „Die Wahrheit" ist
freilich nur eine; aber der „Wahrheiten", der subjektiven
Erfassungen der Wahrheit, sind viele. Terrestribus
multae linguae, coelestibus una. Des aber kann der
Herausgeber dieser „Epistulae et acta Petri Canisii"
sicher sein, daß der Dank für seine mühevolle, verdienstliche
Arbeit jetzt und noch lange nach seinen
Lebenstagen von Katholiken und Protestanten ohne Mißton
zweistimmig gesungen werden kann.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Quervain, Pfarrer Alfred: Der Glaubenskampf der Hugenotten.

3 Vorträge, geh. in der franz.-ref. Kirche zu Frankfurt a. Main.
1. Tradition u. Gegenwartsaufgabe. 2. Lehre u. Leben d. Hugenotten
. 3. Die Kirchenfrage. Elberfeld: Buchh. d. Erziehungs-
Vereins 1924. (48 S.) 8". = Geschichtsblätter d. Dtschn. Hugenottenvereins
, N. F., Heft 1. Rm. 1.50.
Statt etwas Neues zu bieten für die Geschichte der deutschen
Hugenotten, sucht das erste Heft der Geschichtsblätter des Deutschen
Hugenottenvereins unter dem Titel „Der Glaubenskampf der Hugenotten
" mit großem Wortschwall, aus dem sich die Grundgedanken
Quervains nicht ganz einfach erheben lassen, eine Brücke vom Calvinismus
und der Confession de foi der alten Hugenotten zu moderner
Weltanschauung und vorwiegend zu der Theologie E. Troeltschs zuschlagen
. Man wird stark bezweifeln dürfen, ob der Verfasser etwa
in dem von ihm persönlich beeinflußten Frankfurt Anklang finden
wird.

Stuttgart. G. Bosser t.

Spinoza: Von den festen und ewigen Dingen. Uebertragen
u. eingeleitet v. Carl Gebhardt. Heidelberg: C. Winter 1925.
(XL1X, 594 S.) kl. 8°. geb. Rm. 9.50.

Ein neuer Versuch, Spinoza in einer Übertragung
allgemein zugänglich zu machen. Kein Zweifel, daß
Carl Gebhardt wie wenige berufen war, diesen Versuch
zu wagen. Er schlägt ganz neue Wege ein. In der Erkenntnis
, daß die mathematische Form uns fremd geworden
ist und zurückschreckt, will er die Ethik „bei der
sorgsamsten Treue gegen den Bestand und die innere
Form der überlieferten Sätze" in eine sprachliche Form
bringen, die der des Theologisch-Politischen Traktats
verwandt ist. Damit war zweierlei gegeben. Die mathematische
Form der Darstellung mußte in eine nicht
mathematische Form umgesetzt werden, d. h. Lehrsatz
und Beweis mußten sich in der Darstellung eines Gedankens
verbinden. Sodann mußten auch die Verweisungen
(wo erforderlich) dem Text eingefügt werden.
In der Tat ist auf diese Weise die Ethik vollständig übersetzt
, ihr Aufbau unangetastet geblieben und doch ein
lesbarer Text zustande gebracht. Ja selbst der mathematische
Charakter der Darstellung schimmert auch
ohne die Worte Beweis, Lehrsatz usw. deutlich durch die
Übertragung hindurch. Überdies sind zur Abrundung
auch Stellen aus anderen Schriften und den Briefen an
passender Stelle eingefügt. Zu Grunde liegt der revidierte
Text der kritischen Ausgabe des Übersetzers selbst.
Die Übertragung will durch einheitliche Verdeutschung
der Termini und durch genaue Beachtung des Stils und
(romanischen) Rhythmus genau die Diktion Spinozas
wiedergeben. Eine aufschlußreiche Einleitung, die den
Spinozismus als Religion der Immanenz deutet und seine
vierfache Wurzel Mythos, Logos, Ethos, Eros daraufhin
näher untersucht, ihn als Ausdruck des Barock begreift
und als große Synthese wertet, sucht die weltgeschichtliche
Stellung des Spinozismus und seine Bedeutung für
die Gegenwart zu bestimmen.

Ich stehe nicht an, diese Übertragung des Spinoza
als die Übertragung zu bezeichnen. Sie ist für die geschichtliche
Wirkung des Spinozismus zweifelsohne von
epochemachender Bedeutung.

Bremen. Bruno Jordan.