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Ausgabe:

1925 Nr. 25

Spalte:

588-589

Autor/Hrsg.:

Schubert, Hans von

Titel/Untertitel:

Die Reichsstadt Nürnberg und die Reformation 1925

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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687

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 25.

588

Herz; v. W. druckt fälschlich: Er) meinet nicht anders,
es sei eitel ,Nein' da, und ist doch nicht wahr; darum
muß sichs von solchem Fühlen kehren und das tiefe
heimliche ,Ja' unter und über dem ,Nein' mit festem
Glauben auf Gottes Wort fassen und halten, wie dies
Weiblin tat, und Gott Recht geben in seinem
Urteil wider uns" (vgl. S. 126 den Absatz: „Denn
das bringt uns alle Ungnade, daß wir Gottes Urteil nicht
leiden noch Ja dazu sagen können, wenn er uns für Sünder
hält" usw.). Von meinem Programm sehe ich also
gern ab. Das aber bedauere ich, daß v. W. eine These
nicht berücksichtigt, die ich in meiner Dogmengeschichte
seit ihrer ersten Auflage vertreten habe, und die mit
stärkerem Nachdruck und größerer systematischer Klarheit
auch von Scheel und Holl zur Würdigung des
Neuen bei Luther geltend gemacht worden ist. Es ist
mir eine neue und für mein Verständnis Luthers grundlegende
Erkenntnis gewesen, zu sehen, daß Luther mit
dem seit den apostolischen Vätern herrschenden, auch
von Augustin nicht überwundenen Gedanken einer
Lohnordnung zwischen den Menschen und Gott
gebrochen und die Vorstellung einer Gnadenordnung
an deren Stelle gesetzt hat. Ob diese Erkenntnis
(bezw. Formulierung) wirklich neu war, will ich nicht
untersuchen — die lutherische Kirche hatte sie unter dem
Einfluß der Melanchthonischen Gesetzeslehre vergessen,
und bei vielen Neueren, bei denen ich sie nachträglich
gesucht habe, ist sie nicht anzutreffen —; aber daß sie
erst Luthers Rechtfertigungslehre in das rechte Licht
setzt, ist mir noch heute nicht zweifelhaft. Es ist mir
deshalb eine Freude gewesen, daß Scheel wie Holl,
von der Gotteslehre ausgehend, denselben Gedanken
wirksamer vertreten haben. Das „Turmerlebnis" bringt
diese Gedanken zum Durchbruch; insofern wird da
Luthers Rechtfertigungslehre. Das wird besonders deutlich
, wenn man die justitia dei passiva nach dem eng
verwandten Begriff der justificatio dei passiva erklärt,
wie ich es noch heute und mit nur gewachsener Entschiedenheit
für das Richtige halte (vgl. auch das obige
Zitat aus der Kirchenpostille und die Glossen zu Matth.
3, 15 und Rom. 3, 7f„ E. A. 64, 187 u. 219). Doch ist
die Frage nach dem ursprünglichen Sinne dieses Terminus
von untergeordneter Bedeutung. Denn Scheel
und Holl sind darüber mit mir einer Meinung, daß
Luthers neue Erkenntnis darin bestand, im Evangelium
handle es sich nicht um die (für den Gottesbegriff bisher
konstitutive) justitia distributiva Gottes, die der Lohnordnung
gemäß merita von uns fordert, sondern darum, daß
wir Gott, der, wie der Vater in Luc. 15, 22ff., Sünder
in seine Gemeinschaft aufnehmen will (damit und weil
sie dann anders werden), „Recht geben müssen in seinem
Urteil wider uns" (Rom. 3, 23) und so gerechtfertigt
werden auf dem Wege, den er, Christum in den
Tod gebend, geordnet hat (Rom. 3, 24). Hätte v. W.
sich mit diesen Gedanken auseinandergesetzt, so würde
es ihm nicht so leicht gefallen sein, in dem „Turmerlebnis
" nur den gelehrt-exegetischen Abschluß der neuen
Erkenntnis Luthers zu sehen, dem die Entstehung der
Rechtfertigungslehre vorausging. Handelt es sich bei
Luthers neuem Verständnis von Rom. 1, 17 nur um den
Ciegensatz von geforderter (eigner) und geschenkter
Gerechtigkeit (v. W. S. 16 u. 28), was ist
dann da neu gegenüber Augustin? Hat Denifle die
zweite Abteilung seines Luther Bd. I (1905) umsonst
geschrieben? Hat nicht Luther selbst schon 1513 (WA.
3, 31, 13 ff.) den profundissimus theologus Paulus anders
und in einer Weise verstanden, die alle Gelehrsamkeit
Denifle's in I2, 1 nicht ins Unrecht setzt?
J. v. W. versucht (S. 18; vgl. ZsystTh. 1, 414) seine
Annahme, daß Luther seinen Rechtfertigungsglauben
schon vor dem „Turmerlebnis" gehabt habe, mit der
Stelle der praefatio von 1545 zu begründen: primitias
cognitionis et fidei Christi hauseram (lange vor dem
Turmerlebnis!), scilicet non operitus sed fide Christi
nos justos et salvos fieri (E. A. var. arg. I, 20). Allein

hatte diese primitias nicht auch Augustin? Und wenn
dies Argument nicht verfängt, dann doch wohl das andere
, daß mit dieser Stelle auch bewiesen werden könnte,
Luther hätte schon vor dem „Turmerlebnis" eingesehen
papam non esse jure divino Caput ecclesiae. Daß Luther,
wie v. W. anerkennt, in der praefatio das Turmerlebnis
6 Jahre zu spät ansetzt, verbietet auch aus formalen
Gründen eine solche Argumentation mit dieser Vorrede.
— Vor dem Finden seiner Rechtfertigungslehre und dem
ihm folgenden „Turmerlebnis" unterscheidet v. W. in
der dritten Veröffentlichung (S. 23 ff.) bei Luther vier

: Vorstufen seiner neuen Erkenntnis: die „drei großen
Grundgedanken, die ihm während des Klosterkampfes
aufgegangen waren, nämlich 1.) das göttliche Gesetz ist
für jeden ohne Ausnahme schlechthin verpflichtend,
2.) eine Handlung ist nur dann als sittlich gut zu bewerten
, wenn sie aus der Freude am Guten entspringt,

| und 3.) die Lehre der Kirche, daß die Heiligkeit der
Seele durch das Sakrament in metaphysisch-magischer
Weise erfolgt, ist ein seelengefährlicher Irrwahn", und

4. ) — das ist S. 24 nicht besonders gezählt, aber un-
! mittelbar vorher behandelt — daß L. unter Staupitz.'
i Hilfe die aus der Prädestinationslehre stammenden Anfechtungen
überwand. Daß in der vorangehenden Aus-

! führung (S. 7—23) die Reihenfolge eine andre ist —
Nr. 3 wird zunächst behandelt —, ist ohne Bedeutung,
denn v. W. lehnt es (S. 13) ausdrücklich ab, die zeitliche
Folge der neuen Erkenntnisse zu bestimmen. Auch das
will ich nicht weiter kritisieren, daß S. 24, unvorbereitet

| durch S. 9 ff., neben Nr. 2 die Nr. 1 tritt, — wohl unter
Einfluß H o 11' s , der aber in zweckmäßiger und ganz

j einwandfreier Weise 1 u. 2 zusammenbehandelt und die
nomistische Färbung der v. Walterschen Formulierung
gewiß nicht als ein Kennzeichen der neuen Erkenntnis
Luthers gelten ließe. Zweierlei aber muß hier
bemerkt werden. Erstens: wenn v. W. (S. 12) Nr. 3 mit
der schon in den Glossen zum Lombarden hervortretenden
Ablehnung der Habitus-Lehre verknüpft, so hätte er
zuvor Scheel widerlegen müssen, der (sehr mit Recht,
wie ich meine) in dieser Polemik nur Occamismus sieht.
Und zweitens: inbezug auf die aus der Prädestinations-

j lehre stammenden Anfechtungen, über die sich viel sagen
ließe, möchte ich nur bemerken, daß sie zeitlich nicht
zu fixieren sind, und daß die strengste Prädestinationslehre
sich, wie Augustin zeigt, mit der Lohnordnung und,
wie wir in Luthers de servo arbitrio sehen, auch mit
Luthers ausgereifter Rechtfertigungslehre verträgt. Es

j scheint mir deshalb nicht wahrscheinlich, daß die Über-

' windung der aus der Prädestinationslehre stammenden

i Anfechtungen für die Entstehung der neuen Erkenntnis
Luthers die Bedeutung hat, die v. W. ihr zuschreibt.
Die Überwindung, die in der Römerbriefvorlesung sich
zeigt, ist die schärfste Anwendung des Gedankens, daß
wir „Gott Recht geben müssen in seinem Urteil wider
uns", eine Folge des Turmerlebnisses, wie mir scheint,
aber nichts, das ihm vorhergeht. — Auf Einzelheiten
(wie die m. E. sehr anfechtbare Deutung des Begriffs
justitiarius, S. 24, und die verschiedene Stellung v. W.s
zur Frage der Heilsgewißheit bei dem jungen Luther

5. 28 und NkZ. XXV, 73) will ich nicht eingehen. Die
Anzeige ist so schon allzu lang geworden. Aber sie
konnte nicht kurz sein, weil mein Urteil, daß die drei
Veröffentlichungen v. W.s eine wirkliche Förderung
unsers Wissens über Luthers Frühentwicklung nicht
darstellen, ohne dies als Unfreundlichkeit erscheinen
müßte.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Schubert, Hans v.: Die Reichsstadt Nürnberg und die
Reformation. (Aus: „Zeitwende", Jahre 1, Heft 6. Juni 1925.
München: C. H. Beck. (S. 577—594.) gr. 8°.

Das selten geübte Verfahren, aus einer Zeitschrift
einen einzelnen Aufsatz herauszugreifen und hier darauf
hinzuweisen, bedarf bei dieser reifen Frucht gründlicher,
ausgebreiteter Forscherarbeit und großer geschichtlicher