Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1925 Nr. 23 |
Spalte: | 547-548 |
Autor/Hrsg.: | Vierkandt, Alfred |
Titel/Untertitel: | Der Dualismus im modernen Weltbild 1925 |
Rezensent: | Thimme, Wilhelm |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
547
Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 23.
518
Vierkandt, Prof. Alfred: Der Dualismus im modernen Weltbild.
Berlin: Pan-Vlg. R. Heise 1923. (126 S.) 8°. Rm. 2—; geb. 3—.
Ein anregendes Buch. Am überzeugendsten und erfreulichsten
ist mir Kap. 3 und 4. Hier wird dargelegt,
daß Kultur nicht bloß Fortsetzung des animalisch-biologischen
Prozesses und von Anpassung und Nützlichkeit
beherrscht ist, sondern daß in ihr bestimmte Eigenwerte
aufsteigen, in denen Stil und Formgesetze walten.
Schon in der Sprache und primitiver Musik ist mehr als
bloß lebenfördernde Zweckmäßigkeit, vollends in Sittlichkeit
, Recht, Kunst, Wissenschaft, Religion. Nicht
bloß vitale Triebe, sondern Spiel und Ausdruckstätigkeit
stehen an der Schwelle der Kultur. Auch in ihren gegesellschaftlichen
Gebilden (Familie, Volk, Staat) beobachten
wir, wie biologische Förderung überbaut wird
von idealen Normen und Gütern, die ihre eigene Gesetzlichkeit
haben. Der Kapitalist vergißt persönlichen
Nutzen und ordnet sich seinem Unternehmen ein und
unter, der Sportsmann erstrebt nicht bloß Gesundheit
und Geschicklichkeit sondern Vollkommenheit der Leistung
usw., kurz, menschliche Kultur ist einmal auf
Nutzen, Selbsterhaltung, Steigerung des äußeren Daseins,
andrerseits aber auch auf inneren Reichtum und geistige
Ziele gerichtet, stellt ein Nebeneinander und einen
Durchdringungsprozeß einer Erhaltungs- und Entfaltungswelt
dar, ohne daß je von restloser Rationalisierung
und Ethisierung die Rede sein könnte.
Es ist dem Verf. zugegeben, daß diesem Tatbestand
weder ein einseitiger Naturalismus oder Spiritualismus
noch ein die Disharmonieen obenhin ausgleichender
pantheistischer Idealismus gerecht wird, daß ihm gegenüber
auch weder Optimismus noch Pessimismus am
Platze ist, daß das geistige Leben vorn animalischen
vielfach gehemmt, abgedrängt, verunreinigt wird, daß es
andrerseits den Dämonismus der naturhaften Leidenschaften
nicht entbehren kann, daß alles geistige Streben
mühselig, qualvoll und, weil immer wieder von den
Massen ins Utilitaristische verkehrt und stets von Erstarrung
bedroht, ungewiß in seinen Erfolgen ist, wofür
der Rationalismus der Großväterzeit kein Verständnis besaß
, während der Moderne, als deren Vertreter besonders
Bergson, Eucken, James genannt werden, hierfür die
Augen aufgegangen sind. Dagegen erscheinen mir die
metaphysischen Folgerungen, in denen V. zumal mit
dem Amerikaner James übereinkommt, Verzicht auf eine
letzte Welteinheit, Ersetzung des christlichen Glaubens
an einen zugleich allmächtigen und gütigen Gott durch
die Annahme eines guten geistigen Prinzips, das sich
mühsam emporringt und auf menschliche Mitarbeit angewiesen
ist, nichts weniger als einleuchtend. Hätte V.
den Tatbestand in seiner natürlichen großzügigen Gliederung
klarer herausgearbeitet, wie sich von dem Mechanismus
der Naturkausalität das biologische Werden, wo
sich bereits Zweck, Ganzheit, schöpferische Entwicklung
geltend macht, und von diesem wieder der Geist
und seine Wertbereiche abhebt, daß also füglich nicht
von einem Dualismus sondern einem Trialismus, und
zwar augenscheinlich von einer stufenförmigen Anordnung
der Wirklichkeit geredet werden muß, wäre ihm die
nach oben weisende Pfeilrichtung, ein einheitlicher Weltzielgedanke
wohl plausibler erschienen. Er würde dann
vielleicht auch zugeben, daß Kampf, Qual, Verirrung,
Tragik, Erliegen, der Wechsel von Rückschritt und bald
langsamem, bald pfeilgeschwindem Vorwärtsdringen
nur dem allzudreisten, um nicht zu sagen naseweisen Beurteiler
als Widerlegung dieses Weltsinnes erscheint, der
sich übrigens nicht etwa in gesicherten Erfolgen, die es
im Zeitstrom natürlich nirgends gibt, sondern schon im
fragmentarischen Emporstreben, im momentanen Aufleuchten
der Geistesflamme, worin wir Ewigkeitsgehalt
erblicken können, kund tut. Er würde endlich vielleicht
auch einräumen, daß nur der „Aktivismus", der nicht
aufs Ungewisse läuft, sondern weiß, daß er mit Gott
siegen wird — seis auch im Unterliegen — etwas Rechtes
leisten wird. Das mag nun freilich keine „moderne
Weltanschauung" mehr sein, deren Eigenart in der Tat
sein dürfte, daß sie im Problematischen, Zwiespalt und
Helldunkel befangen bleibt. So gilt es eben, über die
Halbheit und Schwäche dieser Weltanschauung hinaus-
zutrachten.
Iburg. W. Thirame.
Bleuler, E.: Ethik, Glauben, Wissen. Eestrede. Zürich: Art.
Inst. Grell Füßli 1925. (22 S.) S°. Fr. 1.50.
Der Redner wertet das sittliche Tun und den religiösen
Glauben unter biologischem Gesichtspunkt. Das
Handeln, so kann man seinen Standpunkt wiedergeben,
das das Leben fördert, natürlich nicht bloß das des Einzelnen
, sondern vorab das der Gattung, ist sittlich gut,
j die Glaubensvorstellung, die diesen Erfolg hat, ist, sofern
sie nicht etwa gesichertem Wissen widerstreitet, damit
zwar nicht verifiziert, aber justifiziert. Er ist gescheit
genug, sich klar zu machen, daß die „biische" Funktion
des Glaubens sich nicht in allen Fällen nachweisen läßt,
daß also mit andern Worten der Instinkt hellsichtiger
sein kann als der prüfende Verstand, er vermißt sich ins-
I besondere nicht, „den Gottesglauben biisch vollständig
j zu verstehen", S. 12., aber er bleibt überzeugt, in der
biologischen Betrachtungsweise einen mit Behutsamkeit
j nützlich zu handhabenden Maßstab zu besitzen. So erweist
sich ihm der Alkoholglaube, gegen den er zum
Schluß eine scharfe Attaque reitet, durch seine biolo-
logische Schädlichkeit als Aberglaube. — Ich meine,
man muß es billigen, ja begrüßen, wenn der Arzt und
Naturforscher von dieser Seite her, wo er zuständig ist,
an das Problem der Ethik und Religion herantritt. Doch
kann er so nur einen — gewiß nicht wertlosen — Beitrag
liefern, nicht das entscheidende Wort sprechen. Man
muß ihn daran erinnern, daß der Begriff des Lebens,
wie er ihn gebraucht, einerlei ob an Einzel- oder Gattungsleben
gedacht wird, allzu unbestimmt bleibt, um als
Norm für die Ethik und Grundlage der Religion dienen
zu können, und ihn etwa hinweisen auf das was die
Bibel „Leben" nennt. Damit ist nicht an physische Gesundheit
, psychische Vitalität, geistige Klarheit und
Willenskraft gedacht, sondern an ein Leben, das „dem
Höchsten" geweiht ist. Was aber ist dies Höchste? Das
biologisch Nützliche? So hätten wir uns im Kreise gedreht
. Der Biolog mag als solcher immerhin Pragmatiker
sein, aher er soll nicht bloß Biologe sein.
Iburg. W. Thimtne.
Katzer, weil. Dr. phil. et tlieol., Kirchenr. Ernst: Reines Christentum.
Die Religion d. Zukunft als religionsgeschichtl. Ertrag d. Weltkrieges
. Gießen: A.Töpelmann 1925. (VIII, 75 S.) gr. 8°. Rm.2—.
Der Verf., dessen nachgelassenes Werk von befreundeter
Seite 3 Jahre nach seinem Tode in Druck gegeben
wurde, setzt hier seinen bereits im Jahre 1893 (in
seinem Buche, das Judenchristentum in der religiösen
Volkserziehung des deutschen Protestantismus) begonnenen
Kampf fort. Er fordert die radikale Reinigung des
Christentums von jüdischen Elementen und die Uber-
lassung des Alten Testaments an das Judentum, dein es
allein von Rechts wegen gehöre. Judentum und Christentum
sind ihm 2 durchaus verschiedene Religionen.
Verschieden ist der Gottesglaube — dort reime Transzendenz
, hier lebensvolle Durchdringung von Transzendenz
und Immanenz —, verschieden die Auffassung von
Sünde und Erlösung — dort Sünde Übertretung einzelner
Gebote, Selbsterlösung, hier Sünde seelenknechtende
Macht, Erlösung durch Gottes Gnade und Geist —, verschieden
die Sittlichkeit — dort Heteronomie, hier Autonomie
—, verschieden der letzte Zielgedanke — dort
diesseitiges Glück, Reichtum, Herrschaft des auserwählten
Volkes, hier das jenseitige, alle danach Strebenden
brüderlich verbindende Gottesrefch. Ferner dort Moses
als Gesetzeslehrer, hier Christus, dessen Leben auf die
Seinen überfließt, dort rechnender Verstand, hier mystische
Gottinnigkeit, dort — dies die letzte und prägnanteste
Zusammenfassung des Gegensatzes — Theo-
kratismus, hier Theantropismus. K. will das Judentum