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Ausgabe:

1925 Nr. 22

Spalte:

526-527

Autor/Hrsg.:

Stange, Carl (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Bd. 1 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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625

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 22.

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rischeu Methode prinzipiell (daß es ansatzweise
gelegentlich geschieht, soll nicht verschwiegen werden)
auch auf die soziologische anwenden wird, von der er
jetzt viel zu viel Heil erwartet, als daß nicht das Anliegen
der Theologie darunter leiden müßte. „Eine"
Theologie kann man so einleiten.- D i c Theologie, um
die es dem Verfasser sichtlich zu tun ist, müßte es
wagen, auf eigenen Füßen zu gehen, — N.B. schon in
der „Einleitung".

Schriftstellerisch bedenklich ist der historische Abschnitt S. Ifi
bis 11(>. Warum der Verf. gerade diese Theologen (TroeHsch,
Schleiermacher, die Erlanger, Jhmels, Kahler, Schlattcr, Sclneder,
Hehn, den Unterzeichneten, Brunner, Oogartcn, Stange, Althaus —
von Kitschl und den Seinen fehlt jede Spur) in welcher Absicht,
unter welchen Gesichtspunkten und mit welchem Ertrag für die systematischen
Abschnitte er sie darstellt und beurteilt, ist sehr undeutlich
. Von dem Aufsatz über Schlatter S. 33—51 habe ich Mühe, zu
glauben, daß er nicht ursprünglich zu irgend einem andern Zweck
verfaßt worden sei. Ahnlich angeleimt wirkt leider auch die nach
dem Vorwort schon früher gedruckte Schlußabhandlung „Es steht geschrieben
", wegen der Wichtigkeit ihres Gegenstandes für das Ganze
gewiß ein fataler Umstand.

Münster i. W. Karl Barth.

Keller, Martin: Ethik als Wissenschaft. Ein mcthodolog. Versuch
. Zürich: Orell Füßli 1025. (VII, 148 S.) gr. 8».

Fr. 5.50; geb. 8—.

Der Verf. beklagt in der Einleitung, daß es bisher
eine Ethik als Wissenschaft nicht gegeben habe, und
stellt sich die Aufgabe diesem Mangel abzuhelfen, oder
vielmehr durch Aufweisung der rechten Methode den
Bau eines wissenschaftlichen Systems der Ethik zu ermöglichen
. Zu dem Zwecke grenzt er die Ethik zunächst
gegen die Logik ab und behauptet, daß das sittlich Gute
mit dem logisch Wahren nichts zu tun habe, oder um
seine Meinung noch unmißverständlicher auszudrücken,
daß auf dem Gebiet des sittlichen Wertens die Begriffe
wahr und falsch nicht anwendbar seien. Seine Beweise
sind folgende: 1. Der Satz, daß es keine objektive
Sittlichkeit gebe, bedeute keinen Selbstwiderspruch wie
der andere, daß es keine objektive Wahrheit gebe, 2. sittliche
Urteile seien nicht wie logische erzwingbar, 3. sittliche
Urteile gelten nicht kategorisch (ja oder nein) sondern
graduell (mehr oder weniger). Ich muß gestehen,
daß mir diese Gründe nicht imponieren. Der erste beweist
nur, daß das sittliche Urteil nicht formallogisch
ist, und die beiden folgenden dürften Fehlargumente
sein. Sittliche Urteilsfähigkeit vorausgesetzt — die freilich
häufiger getrübt ist als logische Urteilsfähigkeit —
sind auch sittliche Einzelurteile durchaus erzwinghar,
und das sittliche Urteil büßt an exklusiver Bestimmtheit
nichts dadurch ein, daß die sittlichen Tatbestände oft
verwickelt sind (es ist uneingeschränkt Pflicht, nicht nur
das rund und glatt Gute, sondern auch das bloß Bessere,
also graduell höher als etwas anderes Stehende zu tun).
Einige Seiten später fügt K. einen vierten Grund hinzu.
In allen echten Urteilen (also S. ist P.) seien sowohl das
Subjekt als auch das Prädikat etwas Gegenständliches,
während dies auf auf das Prädikat des fälschlich sogenannten
sittlichen Urteils nicht zutreffe. Die Begriffe
gut und böse seien nicht objektive Eigenschaften oder
Relationen eines sittlich zu wertenden Tatbestandes,
sondern nichts weiter als subjektives Erleben des sittlich
Wertenden, also mit andern Worten subjektive Gefühlsund
Willensreaktionen auf Vorstellungen wie Ehrlichkeit
, Wahrhaftigkeit, Diebstahl, Lüge. Wir können die
Frage, ob hier (und dann natürlich auch in Beispielen
wie „die Rose ist schön", „die Wunde schmerzt" etc.)
ein eigentliches Urteil vorliegt, den Logikern überlassen.
Alles hängt an der Frage, ob sittliches Werten lediglich
"ut K. als Sache subjektiven Fühlens und Wollens, oder
auch als eine Art des Erkennens (natürlich nicht im
Sinne formaler Logik) zu beurteilen ist. Und zwar
kommt es hier natürlich nicht auf die abgeleiteten
(„technischen") sondern die ursprünglichen irreduziblen
Wertungen an. Ich kann mich in dieser in der Tat
grundlegenden Frage mit K. nicht einverstanden erklären
, glaube auch nicht, daß er bei weiterem ruhigen
Nachdenken seinen Standpunkt wird aufrecht erhalten
können.

Der zweite Hauptteil bringt eine methodologische
Untersuchung darüber, wie man durch eine Analyse des
empirischen Wertens zu jenen letzten subjektiven Wertungen
gelangen kann, von denen zunächst noch dahin gestellt
bleiben muß, ob sie objektive Geltung besitzen und
ob und inwieweit sie sich zu einem Wertsystem zusammenfassen
lassen.

Doch enthält die Ethik nach dem Verf. mehr als
bloß subjektive Stellungnahmen und eine Summe sittlich
genannter Geschmacksurteile. Sie gewinnt Objektivität
und Allgemeingiltigkeit durch Anlehnung an die
Metaphysik. Davon handelt der dritte Hauptteil, den
ich als eine ungewöhnlich tüchtige Leistung bezeichnen
möchte. Nach einer geschichtlichen Einleitung, die darlegt
, wie seit Laotse, den Upanischaden und Heraklit
alle Ethik in der Metaphysik wurzelt, greift K. unverzagt
das Problem der Möglichkeit einer Metaphysik
an und beantwortet es in kurzer aber einsichtiger Begründung
bejahend zugunsten einer induktiven, auf den
Erfahrungswissenschaften hypothetisch aufbauenden Metaphysik
. Nicht minder großzügig und überzeugend verficht
er sodann die für die Ethik entscheidende metaphysische
Hauptthese der teleologischen Struktur des
Kosmos, worauf sich als höchster metaphysischer Wert
der religiöse Wert des „Heiligen" ergibt, der auch dann,
wenn man sich vor anthropozentrischer Betrachtungsweise
hütet, irgendwie im Sinn des Geistes und der
Liebe näher bestimmt werden kann. Damit aber
empfängt unser subjektives Werten nicht nur die erforderliche
Fundierung, sondern kann nun auch auf
ein einheitliches höchstes Ziel bezogen — eine konkret
menschliche Fassung des kosmischen Telos — und
als geschlossenes Wertsystem ausgebaut werden. Hierzu
wäre zu sagen, daß wenn vorhin ein alogisches Werten
beanstandet wurde, so jetzt die Möglichkeit eines
von Werturteilen freien Spekulierens bezweifelt werden
könnte, und die Frage aufzuwerfen ist, ob nicht das
gleiche hellsichtige Werten wie die Grundprinzipien der
Ethik so auch der Metaphysik zu begründen im Stande
sein möchte. Zum Schluß noch die Bemerkung, die auf
der Linie der angedeuteten Kritik liegt, daß sich in der
wissenschaftlichen Ethik schwerlich, wie K. vorschlägt,
die ethische Theorie und die ethische Wcrtlehre werden
auseinanderhalten lassen.

Aufs Ganze gesehen empfängt man von diesem
Buche den Eindruck einer zwar augenscheinlich jugendlichen
, aber scharfsinnigen und beachtenswerten, Besseres
verheißenden Arbeit.

Iburg. W. Thimmc.

Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen.
Hrsg. v. Lic. Erich Stange. Bd. I. Mit Beitr. v. A. Brown,
A. Deißmann, L llimcls u. a. Leipzig: F. Meiner 1925. (VIII,
248 S. m. 8 Bildn.) gr. 8«. geb. Rtn, M2—.

W. M. Adams Brown / Adolf Deißmann I Ludwig Ulmets /
Rudolf Kittel / lAdolf Schlatter / Reinhold Seeberg / J. R. Slote-
macher de Bruine / Theodor Zahn.

Art und Einrichtung dieser Bände sind bekannt. Es entspricht
der Sache, daß nun auch die Theologie zu ihrem Rechte kommt.
Nicht leicht freilich begreift man, warum sie ihren ehrlichen Namen
verleugnen und in der charakterlosen Maske der Religionswissenschaft
auftreten mußte, tun neben Philosophie, Geschichte, Medizin
usw. sich stellen zu dürfen. Bei einem großen Teil der in diesem
Bande von ihrer Lebensarbeit erzählenden Männer tut es einem weh,
daß sie sich das haben gefallen lassen und um diesen Preis nicht
lieber nein gesagt. Vielleicht hätten sie so, als es noch an der Zeit
war, den rechten Namen erzwingen können

Was es bedeutet, von einer Reihe namhafter ' Theologen einen
zusammenfassenden Überblick über ihre Lebensarbeit zu bekommen,
versteht sich von selbst. Der Zufall der Auswahl hat es mit sich
gebracht, daß in diesem ersten Baude (dem noch weitere folgen
sollen) unter acht Theologen fünf Systematiker zum Worte kommen.
Sie haben alle die Aufgabe so angefaßt, daß sie die Anekdote aus
dem Bericht ganz ausgeschieden, das eigentlich Biographische sehr
knapp gehalten und den Ton auf die Entstehung und den inneru