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Ausgabe: | 1925 |
Spalte: | 494-496 |
Autor/Hrsg.: | Huizinga , J. |
Titel/Untertitel: | Herfsttij der MIddeleeuwen 1925 |
Rezensent: | Bauke, Hermann |
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sich aufgezwungen hatte, nötigte den Verfasser dazu,
seinem nur zu leicht ins Breite gehenden Redestrom
Schranken aufzuerlegen und dafür die Sprache um so
kräftiger, freilich auch derber zu handhaben. Murner
hält wirklich nicht zurück mit seiner verdammenden
Schilderung (an Besserung glaubt er selbst nicht) der
„nassen Knaben" und alles anderen Lumpengesindels
seiner Zeit. Er spart die Schimpfworte nicht, mit denen
er sie belegt; seine Sprache ist wirklich „wie zu Wurfgeschossen
geballt". Nicht zum wenigsten richtet sich
sein Haß gegen die „bubelierenden" Studenten, die mit
dem fahrenden Volk der Landstraße nur zu oft gemeine
Sache machten. Das Zunftmotiv vom „Bubenorden" mit
parodistischen Zunftgesetzen usw. lag in der Zeit; Murner
hat dies Motiv nicht eben zu Tode gehetzt, sieht
sich aber als Zunftschreiber der bösen Schar an. Zu den
Angegriffenen aber gehören u. A. die Geistlichen.
Wegen ihrer Schilderungen religiöser Mißstände ihrer
Zeit wird die Dichtung in der neuen, kommentierten
Ausgabe auch in theologischen Kreisen dankbar begrüßt
werden. Von der Kanzel erschallen neue Mären statt der
Auslegung der Schrift, wegen geringer Vergehen wird
der Bann verhängt. Die Unwissenheit und Unsittlichkeit
der Klosterinsassen werden ebenso scharf mitgenommen,
wie die Betrügereien der Juristen und der Kaufleute, die
Verrottung der Familien usw. Soweit die erste Ausgabe,
Frankfurt 1512. Die zweite (Straßburg 1512 oder 13)
rügt noch die ketzerischen Irrlehren, das weltliche 1 reiben
(z. B. die Jagdlust) der hohen Geistlichkeit usw.
Spanier verfolgt die ganze Reihe der Drucke, von
denen nur die beiden eben genannten durch Munter
selbst veröffentlicht wurden, die aber durchweg ihre
kulturgeschichtliche Bedeutung haben, ebenso wie die
lateinische, nachmals wieder sehr frei ins Deutsche übertragene
Bearbeitung der „Schelmenzunft" durch Joh.
Flitner. Seine Ausgabe gibt einen genauen, für die Geschichte
der Druckersprache ergiebigen Abdruck der
1. Ausgabe mit den Lesarten der zweiten. Die Varianten
eines Neudruckes der 2. Ausgabe hat Dr. Lefftz
beigesteuert. In der Frage, ob die Holzschnitte der
alten Ausgaben von Murner selbst herrühren, verhält
sich Spanier, nicht ohne gute Gründe, skeptischer als
seine Vorgänger. Die reichen Anmerkungen des Bandes
bringen eine Fülle von sprachlicher und kulturgeschichtlicher
Belehrung.
Hamburg. Robert Petsch.
Liber beneficlorum domus corone Marie prope Rugenwold
1406—1528. Hrsg. v. d. Oeselisch, f. Pommenche Geschichte lt.
Altertumskunde. Bearb. v. Hugo Le.nicke. Stettin: L. Saunier
1919. (XXXIV, 256 S. m. Abb.) 4°. = Quellen /. Pommerschen
Geschichte, Bd. 5. Rm 10—.
Die Gesellschaft für Pommersche Geschichte bietet
ein sehr schön gedrucktes unbekanntes Werk aus dem
Karthäuserkloster, das erst von der Herzogin Adelheid
1406 in Lanzig, dann in Schlawc und schließlich in der
Umgebung der Stadt Rügenwald errichtet wurde. Das
Manuskript verzeichnet die dem Kloster erzeigten Wohltaten
von 1206—1528, um den Sinn für Dankbarkeit
hei den Klosterleuten zu erwecken und zu stärken. Warum
das Verzeichnis der Wohltäter 1528 nach wenigen
Einträgen aufhört, ist nicht verständlich, da ja erst 1534
Pommern durch Bugenhagen reformiert wurde und die
Reformation in den Klöstern Widerstand fand. Sollte
schon 1528 die Wohltätigkeit gegen das Kloster so
stark nachgelassen haben, daß sich die Verzeichnung
der Wohltäter nicht mehr lohnte und die Leistungen des
Klosters für seine Wohltäter in Messen und Fürbitten
und Anteil an allen Verdiensten des Klosters beim Volk
schon ganz gering geschätzt wurden?
Wir tun einen Blick in das Leben im Kloster, das
neben Mönchen noch Laienbrüder, conversi, und dona-
ti und oblati zählte. Küche und Keller sind wohlbestellt
. Man staunt über den Reichtum an Fischen und
wertvollen Gewürzen und die große Menge von Bier,
welche dem Kloster geschenkt werden. Doch hören die
Schenkungen an Gewürzen in den späteren Jahren auf.
Wohltäter des Klosters sind Fürsten und Bettler, auch
einer mit einem hinkenden Fuß, reiche Handelsherrn und
Arme aus dem Spital, Edelleute, wie die Below, Bonin,
Levctzow, Manteufel, welchen das Buch für ihre Familiengeschichte
willkommen sein wird, Künstler und
Handwerker. Einer der größten Wohltäter ist Walter
i Oldach aus Danzig. Ein Mönch Egghard flieht aus dem
Kloster mit den von ihm gesammelten Gaben. Wir
hören auch von Rompilgern. Eine Witwe stiftet dem
I Kloster etwas, ehe sie auf die Wallfahrt nach Wilsnack,
Aachen und Rom sich begibt. Social zu beachten sind
I die Stiftungen für Knechte und Mägde, für ertrunkene
Seeleute eines untergegangenen Schiffes, auch für einen,
den das Meer ans Land geworfen hatte. Groß ist die
Zahl der Seelenmessen, mit welchen das Kloster Wohltaten
vergilt, bis zu 48, ja 54 neben einer großen Zahl
• von Gebeten. Es sind dies nur einige Seiten aus dem
für die Kenntnis des ausgehenden Mittelalters wert-
I vollen Inhalt des Buches.
Der Text ist Hugo Lemcke zu verdanken, der
1874—77 das Manuskript abschrieb und nach 40 Jahren
sich noch einmal daran machte. Freilich ist der dargebotene
Text wenig befriedigend, und es ist ein großes
Verdienst von Dr. Grotefend, daß er (S. XV—XXXV und
auf der Schlußseite 256 noch einmal) Verbesserungen
und Ergänzungen des Textes bietet. Aber sie sind nicht
vollständig. Z. B. S. 8 Nr. 96 ist vxor statt xvor, S.
142 Nr. 2375 compleuimus statt complenius zu lesen.
Dr. Grotefend verdankt man die sehr wertvollen Orts-,
; Personen- und Sachregister mit Erklärungen. Freilich
' bleibt noch mancher Ausdruck unverständlich, wie z. B.
S. 148 Nr. 2487 neben casei casei ouorum. Manchfach
muß man für unverständliche Worte, wie z. B. pori salsi
erst die Textverbesserungen nachsehen, um zu erfahren,
daß poci Dorsche gemeint sind. So auch S. 8 Nr. 87
scopa für stopa; S. 9 Nr. 111 und öfter redditus für
reddituarius; S. 9 Nr. 113 foeratam für fotratam.
Beachtenswert scheint, daß 1436 der Verkäufer eines
Stücks von den Werken eines Thomas von Aquino verlangte
, daß das Buch nicht in die Hände von Mönchen
gelange. (S. 58 Nr. 817). 1457 macht König Erich von
Schweden und Dänemark eine Stiftung zu Gunsten des
Bischofs Gozrain von Skälholt (S. 98 Nr. 1593).
Stuttgart. O. Bosse r t.
Huizinga, Prof. J.: Herfsttij der Middeleeuwen. Studie over
levens-cu gedachtenvormen der veertiendc cn vijftiendc ceuw in
Frankrijk en de Niederlanden, door . . . Tweede herziene drnk.
Haarlem: H. I). Tjcenk Willink & Zoon 1921. (XII, 596 S.)
Das vorliegende Werk gehört zweifellos zu den bedeutendsten
und fruchtbarsten Erscheinungen der Geschichtsforschung
und -darstellung in der Nachkriegszeit
. Sein Wert ist auch dadurch zum Ausdruck gekommen
, daß kürzlich nach dieser zweiten Auflage eine
deutsche Übersetzung hergestellt worden ist.1 Der Ein-
I) J. Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien
über Lebens- und Geistesformen des 14. u. 15. Jahrhunderts in Frankreich
und in den Niederlanden. Deutseh von T.-Jolles Möncke-
berg. (VIII, 522 Seiten.) Mit 14 Tafeln. München, Drei Masken-
Verlag 1924. Preis geh. Mk. 9,— ; geb. Mk. 11,—. Die Übersetzung
ist im allgemeinen sehr gut und glatt lesbar, wenn auch über Einzelnes
wohl diskutiert werden müllte. So wäre gleich die Überschrift des
1. Kapitels: s'levens felheid anstatt mit „Die Spannung des Lebens''
richtiger „Die gewaltige Intensität des Lebens" oder, wenn man das
Fremdwort vermeiden will, „Die innere Wucht, das Ungestüm des
Lebens" zu übersetzen. Dankenswerterweise ist der deutschen Aus-
I gäbe eine Übersetzung der Zitate, vor allem aus den alten franzö-
| sischen Autoren, beigegeben, die die Benutzung erleichtert und das
Lesen auch dem gebildeten Laien ermöglicht. Ferner bietet sie noch
auf 14 Tafeln recht gute Reproduktionen wichtiger Kunstwerke des
14. u. 15. Jahrhunderts, vor allem von niederländischen Meistern. Die
Auswahl ist gewiß gut, aber man kann freilich fragen, ob sie not
wendig ist, da das gebotene Material doch für den von dem Verf ge-
I steckten Rahmen nicht ausreicht und auch gar nicht soweit ausgedehnt
werden konnte. Es werden doch jedenfalls kunstgeschichtliche Werke
hinzugezogen werden müssen.