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Ausgabe:

1925

Spalte:

491-492

Autor/Hrsg.:

O‘Sheridan, Paul

Titel/Untertitel:

Ce qui reste de la plus ancienne Vie de Ruysbroeck 1925

Rezensent:

Clemen, Otto

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491

zweckend auf das Endziel der Untersuchung. Hier
wird namentlich die Untersuchung von Vergils vierter
Ekloge Interesse erwecken, von der nachgewiesen wird,
daß sie nicht in satirischem Sinn verstanden werden darf.
Ihre Zurückführung auf weit entlegene Quellen der
Sibyllinenliteratur ist ebenso anziehend wie lehrreich.
Aber auch was die anderen Kapitel, 4: die Erretterweissagung
, 5: die Kaisersagen bringen, legt Zeugnis
ab von dem regen Forschergeist des Verfassers, der sich
ja von Jugend an mit derartigen Fragen beschäftigt hat
und nun die Früchte seiner mühsamen Arbeiten erntet,
die wohl allesamt hier aufgezählt und verwertet werden.
Besonderes Interesse hatte für mich die Untersuchung
der Sage vom Priesterkönige Johann und vom dürren
Baume, ihre Ableitung und Auswirkung.

Den Schluß bildet ein Exkurs über das Labarum
Konstantins, der mit zahlreichen Abbildungen ausgestattet
ist. Er verspricht Aufsehen zu machen. Denn er
kommt auf nichts anderes hinaus, als daß das Labarum das
Henkelkreuz ist: das Götter- und Ewigkeitssymbol des
Kreuzes vereinigt sich mit dem Sonnensymbole der
runden Scheibe; Konstantin setzt sich dem Sonnengotte
gleich; er entnahm das neue Zeichen seiner Macht
jener dem astralen Denken der Babylonier zuerst entsprossenen
prunkvollen Herrschaftssymbolik des Orients.
Zwischen dem Zeichen, das er am Himmel sah, und dem
Labarum, das jünger ist als das Zeichen, bestehen enge
Beziehungen. Konstantin kannte die symbolische Bedeutung
des persischen Reichsbanners; er wurde
durch das Zeichen, das er in den Lüften zu sehen
glaubte, durch das über ihm aufleuchtende Symbol des
Sol invictus, das im persischen Reichsbanner schon
längst plastische Gestalt angenommen hatte, dazu angeregt
, nunmehr als Konstantinos-Helios das Herrschaftszeichen
der von ihm beanspruchten Macht der
göttergleichen Könige des Ostens sich anzueignen. Wenn
ich den Verfasser recht verstehe, so hat das Labarum mit
dem Monogramm Christi im Grunde gar nichts zu tun,
und Konstantin ist auch vom Christentume gar nicht berührt
. Ich denke, man schätzt dabei Konstantin religiös
viel zu gering ein. Oder ist das Christentum der Kirche
Konstantins wirklich weiter nichts als eine „Verchristlich-
ung" alles überkommenen religiösen Bestandes, wobei
die Verchristlichung in weiter nichts bestand als in
einem neuen Firnis? Noch ein anderes ist mir bei der
Lektüre dieses Buches aufgefallen. Die „Kaisermystik"
entspricht in vielen Punkten der„Papstmystik". Könnte
man nicht einmal in ähnlicher Weise wie der Verf. vom
Werdegange der „Papstmystik" handeln?

Kiel. O. Ficker.

O'Sheridan, Paul: Ce qui reste de la plus ancienne Vie
de Ruysbroeck. Extrait de la Revue d'histoire ecclesiastique, Tome
XXI. Louvain: Bureau de la Revue 1925. (64 S.) gr. 8°.

Der Schwerpunkt dieser scharfsinnigen und glänzend
geschriebenen Abhandlung liegt in dem 2. Kap., in
dem der Verf. einen Aufsatz rekonstruiert, dessen Anfang
im 1. Heft der von ihm begründeten Revue beige
d'histoire (Jan.-März 1914) erschienen ist. Das 2. Heft
war bis auf den Umschlag fertig, als die deutschen
Truppen in Löwen einrückten, und ging bei dem Brande
mit zu Grunde. „Puts est venue, quatre ans apres, la
victoire (? ! ), avec son cortege de deceptions." Die
Revue beige ist bisher noch nicht wieder erstanden. So
hat sich der Verf. in die Revue d'histoire ecclesiastique
flüchten müssen. Er meint: Ruysbroeck sei wider
seinen Willen Mitbegründer des Augustinerklosters
Groenendaal und dessen 1. Prior geworden. Er habe
ursprünglich einen andern Plan gehabt: er habe den
zweiten der beiden von Joachim von Flore geweissagten
Orden gründen wollen, d. h. eine Gemeinschaft von Be-
garden-Klerikern mit vita communis, ohne Privat-, aber
mit Gesellschaftsvermögen. Er und zwei andere Weltpriester
von St. Gudula in Brüssel zogen sich 1343 in
das einsame Haus von Groenendaal zurück. Sie bauten

hier eine Kapelle, die die Generalvikare des Bischofs
von Cambrai in eine Pfarrkirche umwandelten und an
der sie Francon von Coudenberg zum Pfarrer bestellten.
Ihm leisteten die drei Priester und die zwei ihnen als Konversen
dienenden Begarden-Laien Gehorsam. So lebten
sie „absolument comme des religieux, mais sans suivre la
regle d'aucun saint et sans faire des voeux." Der von den
Bettelmönchen mobil gemachte neue Bischof von Cambrai
machte ihnen aber einen Strich durch die Rechnung,
er verlangte Annahme einer bestimmten, von der Kirche
approbierten Regel. Coudenberg entschloß sich zur Annahme
der Augustinerchorherrenregel, worauf die Pfarrkirche
von Gr. in eine Propstei umgewandelt und
Cond, zum Propst ernannt wurde (11. März 1350).
Ruysbroeck stellte sich auf den Boden der Tatsachen
und wurde der 1. Prior des nunmehrigen Augustinerklosters
. 1366 mußten die Insassen förmlich die Mönchsgelübde
, auch das der Keuschheit, ablegen. R. hat sich
bis zu seinem Tode im Kloster nicht heimisch und wohl
gefühlt. Auch ein 2. und 3. Versuch, solche Begarden-
Klerikervereinigungen, wie sie ihm vorschwebten, zu
gründen, mißlang; auch Rouge-Cloitre und Sept-Fon-
| taines wurden in Augustiuerkloster umgewandelt. Erst
i ein 4. Versuch gelang: durch den energischen Gerh.
Groot in Deventer 1381 oder 1382 kurz vor oder nach
dem Tode Ruysbroecks. „L'ordre des Freres de la Vie
Commune est ne des efforts combines de Ruysbroeck
et de Gerard Groot. Dans cette collaboration sainte
Ruysbroeck a ete la perisee directrice, Groot la force
agissante: l'Ordre leur doit la vie, ä tous deux." Dieser
Verein ist der von Joachim von Flore geweissagte zweite
Orden.

Das zweite Hauptergebnis der Forschungen
I O'Sheridan's ist die Entdeckung, daß in der 2. Vita
! Ruysbroecks von Pomerius (= Analecta Bollandiana
4, 257 ff.) sehr beträchtliche Fragmente einer 1. Vita
erhalten sind, die von Joh. Theoderici (Dierckx, Diercx-
sens), gewöhnlich nach seiner Geburtsstadt Joh. von
Schoonhoven genannt, verfaßt und zwischen 5. Jan. 1409
und 6. Dez.1410 vollendet worden ist. Joh. v. Seh. war
ein unmittelbarer Schüler Ruysbroecks, ist freilich nur
■ während dessen letzter vier Lebensjahre mit dem damals
84—88jährigen (R. f 2. Dez. 1381) in Groenendaal
zusammengewesen. Er hat mit schlichtem Wahrheitssinn
geschrieben, während Pomerius (eig. Uten Bo-
j gaerde), der seine Vita als Prior von Groenendaal
1431—32 auf Befehl des Priors von Windsheim, des
Vorstehers der Kongregation, verfaßte, eine wunderhafte
hleiligenlegende geliefert hat. Freilich schweigt Joh.
von Sch. gerade über das, was uns im Zusammenhang
interessiert, nämlich, über den ursprünglichen Plan
Ruysbroecks. Aber das ist ganz natürlich: er hätte ja
sonst zugeben müssen, daß die Fratres de vita communi,
nicht die Mönche von Groenendaal die ersten Jünger
Ruysbroecks waren, und er schrieb doch in maiorem
gloriam seines Klosters. Außerdem hätte er den Nachruf
Ruysbroecks gefährdet, da die Fratres gerade damals
von verschiedenen Seiten angefeindet wurden.
Zwickau i. S. O. Giemen.

Murner, Thomas: Deutsche Schriften mit den Holzschnitten
der Erstdrucke, hrsg. v. Franz Schultz. Bd. 3: Die Schcluien-

zunft. Hrsg. v. M. Spanier. (VII, 228 S.) gr. 8°. = Kritische
Gesamtausgaben Elsäss. Schriftsteller d. Mittelalters u. d. Refor-
mations/eit. Rm. 10—.

Die klassische Ausgabe der Werke von Luthers
großem Gegner verspricht eine besonders ergiebige
Quelle für die Literatur-, Kultur- und Sprachgeschichte
des Reformationszeitalters zu werden. Der neue Band,
von einem bewährten Kenner Murners aufs sorgfältigste
bearbeitet, wird auf besondere Teilnahme breiter wissenschaftlicher
Kreise stoßen. Die „Schelmenzunft" ist das
knappste und wohl auch das wirksamste unter den
Schelmenbüchern Thomas Murners: das Werk erscheint
fast wie eine Zusammenstellung fliegender Blätter mit
je einem Bilde und vierzig Versen. Diese Form, die er