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Ausgabe:

1925 Nr. 2

Spalte:

30-31

Autor/Hrsg.:

Bertholet, Alfred

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Religionsgeschichte, begründet v. Chantepie de la Saussaye. 4., vollst. neubearb. Aufl., 2 Bde. 1. Lfg 1925

Rezensent:

Clemen, Carl

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•2ii

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 2.

30

Luthers für seine Vorlesung — denn die Summarien
setzen solche voraus — eine entscheidende Bedeutung
hatten.

Schon E. Hirsch (a. a. O. 162 ff.) hatte unter Hinweis
auf die Rolle, die Ps. 30, 2 in Luthers Seelenkämpfen
gespielt hat, die Grenze des „Alten" und
„Neuen" zwischen den Scholien zu Ps. 30 und 31 finden
zu können gemeint. Das war zwar, wie auch ich meine,
ein Mißgriff, — ein Mißgriff, der sich vornehmlich
daraus erklärt, daß Hirsch die von uns bejahte
justitia vindicativa dei und die iustitia dei justificans in
einen Gegensatz stellte (vgl. Holl, Luther 2 194, Anm. 8,
uid schon meine Ausführungen ThStKr. 1917, 403 ff.,
und Boehmer, Studien z. Gesch. der Gesellschaft Jesu
I, 43 u.). Aber B. hätte bei Hirsch einen Ansatz zu einer
der seinigen verwandten Lösung aufweisen können.
Doch er erwähnt Hirsch nur bei kurzen Literaturangaben
(S. 10, Anm. 3). Tatsächlich kehrt sich aber
gegen ihn auch die Bemerkung am Schluß dieser Anmerkung
: „Die Meinung, daß man solche Hss. durch
Photographien richtig kennen lernen könne, ist ein Irrtum
, dem nicht kräftig genug entgegen getreten werden
kann." Das heißt: mit Kanonen ins Leere schießen!
Denn Hirsch hat sich des gekennzeichneten Irrtums
nicht schuldig gemacht. Aber er hat (vgl. oben die in
eckige Klammern eingeschlossenen Hinweise auf seine
Abhandlung) gezeigt, daß man, wenn nur Photographien
erreichbar sind, selbst mit diesen Wertvolles finden
kann, das nachfolgende Forschung nur zu bestätigen
vermag.

Scnlechter noch, als E. Hirsch, ist H. Thomas bei
B. gefahren. Und auch zu Unrecht. Denn sie hat (vgl.
oben die in eckige Klammern eingeschlossenen Hinweise
auf ihre Arbeit) eine ganze Reihe wertvoller Erkenntnisse
, die auch B. vertritt, vor ihm ausgesprochen
, ja auch vor E. Hirsch, dessen Abhandlung
freilich gänzlich unabhängig von ihr ist (vgl. ThStKr.
1919, 370 f. mit 372 a. EX Ihr (ihre Lic.-Dissertation
bietendes) Buch, das W. Köhler in dieser Zeitung (1922,
Sp. 87) als eine methodisch exakte, scharfsinnige und
lehrreiche Arbeit anerkannt hat, deckt sich nämlich, abgesehen
vom ersten Absatz der Einleitung, den letzten
1'/» Seiten des Schlusses und der Anmerkung 3 auf S. 4,
völlig mit der — in einem Durchschlag mir noch vorliegenden
— Ende Juli 1918 abgelieferten Bearbeitung
einer Aufgabe, die ich im November 1917 ihr für ihre
Oberlehrerprüfung gestellt hatte (vgl. ThStKr 1919,
370 f.). Sie hat auch erstmalig (allerdings durch meine
Thema-Formulierung genötigt) für eine ausgewählte
Reiht von Psalmenerklärungen die von Luther benutzten
Kommentare mit seinen Ausführungen verglichen. Daß
ihre theologischen Argumente gelegentlich den Anfänger
verraten (vgl. Holl, Luther 2 194, Anm.), ist begreiflich
. Und wenn sie (übrigens „mit größter Zurückhaltung
", vgl. S. 30 u. 28 f.) die Scholien zu Ps. 1
auf fol. 2—5 der Hs. für älter hielt, als die praefatio,
so war das ein Irrtum (vgl. oben). Aber läßt ihn der
Umstand, daß J. Ficker und ich (um von ähnlichen
Irrtümern andrer zu schweigen) ihn nicht gleich als
solchen erkannten, nicht entschuldbar erscheinen? Als
unzureichend erweist sich jetzt auch ihre Untersuchung
der Hs. am 9. 10. u. 11. Juli 1918 (nach einer Auskunft
der Staatsbibliothek in Dresden; — B. hat den
Benutzungseintrag von H. Thomas falsch abgeschrieben
oder S. 42 bei dem „Juli 1919" einen Druckfehler
stehen lassen, einen unschuldigen neben sehr vielen,
die in die Augen springen, vgl. z. B.'S. 24, Z. 2 v. u.
und S. 36, Z. 3 v. u.). Es ist dankenswert, daß B. die
Lagen richtiger abgrenzt (vgl. oben). Aber seine Polemik
(S. 42 f.) ist so unfreundlich, daß man fast meinen
könnte, es habe ihn verletzt, daß eine Dame seinen
weg kreuzte. Und wenn B. hier (S. 42) sagt: „In nur
4 Tagen kam sie zu dem erfreulichen Ergebnis, daß ihr
hochverehrter Lehrer (den Ausdruck entnimmt B. der
Widmung des Buches) auch in diesem Falle (B. denkt

an ThStKr 1917, 416, Anm. 4) den Nagel auf den Kopf
getroffen habe", so ist das — auch ganz abgesehen davon
, daß H. Thomas bei den doppelten Scholien zu
Ps. 115 meine Vermutung nicht bestätigt fand (S. 48f.;
vgl. B. 24 f.) — ebenso völlig freie Dichtung, wie die
Mitteilung (S. 42), Frl. Thomas sei auf meine Veranlassung
nach Dresden gereist. Denn nirgends in
ihrem Buche hat H. Thomas dergleichen gesagt; und
hätte in der Dissertation etwas derart gestanden, so
hätte ich es gestrichen. B. sagt, er sei „außerstande,
Frl. Thomas auch nur in einem Punkte zuzustimmen"
(S. 43). Er denkt dabei — vergessend, wie oft er in
Abschnitt 3 und 4 tatsächlich mit ihr übereinstimmte,
ohne es zu sagen, — an ihre Ausführungen über das
zeitliche Verhältnis des „Alten" und des „Neuen" und
das der Adnotationen, Glossen und Scholien zu einander;
und vieles in diesen Ausführungen hat seine verdienstvolle
Arbeit in der Tat ins Unrecht gesetzt. Aher wirklich
alles? Ich habe im Obigen mehrfach zu zeigen versucht
, daß seine (mit einer längeren Vorarbeit Luthers
auf seine Vorlesung nicht rechnende) Antwort auf diese
Fragen vielleicht doch nicht die endgültige sein wird.
Halle a. S. Friedrich Loofs.

Lehrbuch der Religionsgeschichte begründet v. Chantepie de la
Saussaye. 4., vollst, neubearb. Aufl. In 2 Bänden. 1. Lfg. (II. Bd.,
Bgn. 1—8.) In Verbindung mit anderen hrsg. v. Alfred Bertholet
u. Edvard Lehmann. Tübingen: J.C.B. Mohr 1<J24. (128S.)
4°. Subskr.-Preis Gm. 3—.

Von wenigen Büchern wird man mit größerem
Rechte sagen können, daß sie eine wirkliche Lücke ausfüllen
, als von dieser neuen Auflage des zweifellos
besten Lehrbuchs der Religionsgeschichte in deutscher
Sprache. War es doch seit zehn Jahren vergriffen und
haben in Folge davon neuere Bücher über dasselbe Gebiet
eine Verbreitung gefunden, die sie eigentlich nicht
verdient hätten. Nun sollen wir spätestens nächsten
Herbst wieder ein Werk haben, das sich nicht nur mit
Ehren neben den Lehrbüchern der Religionsgeschichte
in andern Sprachen sehen lassen kann, sondern zugleich
im Ausland die beste Grundlage für religionsgeschichtliche
Studien bilden wird.

Die neue Auflage wird von A. Bertholet in Verbindung
mit Edv. Lehmann herausgegeben und ist größtenteils
von andern Gelehrten, als den an der 3. Auflage beteiligt
gewesenen geschrieben. Nur Frdr. Jeremias hat
wieder die vorderasiatischen Religionen (zu denen aber
die israelitische nicht mehr gehört), H. O. Lange die
ägyptische und Lehmann selbst die persische, außerdem
aber die manichäische Religion bearbeitet; die primitive
behandelt B. Ankermann, die chinesische O. Franke,
i die japanische K. Florenz, den Islam Chr. Snouck-
j Hurgronje, die indische St. Konow, die griechische M.

P. Nilsson, die römische L. Deubner, die slavische A.
I Brückner und die germanische V. Grönbech — also
durchweg erste Spezialisten für das betreffende Gebiet
und neben Deutschen ein Holländer, ein Norweger, zwei
Dänen und zwei Schweden. Lehmann hat außerdem einen
Abschnitt: Zur Geschichte der Religionsgeschichte und
einen andern: Erscheinungswelt und Ideenwelt der Religionen
beigesteuert, die dem später weggefallenen
ersten Paragraphen des allgemeinen und dem phänomenologischen
Teil in der ersten Auflage entsprechen werden
. Ob freilich der letztere wirklich in eine Religionsgeschichte
gehört, kann man wohl bezweifeln, und erst
recht versteht man nicht recht, weshalb die keltische
Religion nach wie vor nur als Anhang zu der germanischen
behandelt werden zu sollen scheint. Mancher
wird vielleicht auch zweifeln, ob sich die nicht primitiven
vorindogermanischen und die weniger wichtigen
indogermanischen Religionen bei den allein mit besondern
Kapiteln bedachten wichtigeren mit abmachen
lassen, und namentlich eine Darstellung der prähistorischen
Religion vermissen; denn wenn all das auch in
den andern Lehrbüchern der Religionsgeschichte fehlt,
so gehört es doch eigentlich in ein solches.