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Ausgabe:

1925 Nr. 2

Spalte:

468-469

Autor/Hrsg.:

Engel-Jánosi, Friedrich

Titel/Untertitel:

Soziale Probleme der Renaissance 1925

Rezensent:

Zickendraht, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 20.

KW

zuziehen ist, nehmen die beiden Depositionslisten des
Chronographen von 354 den weitaus wichtigsten Platz
ein. Im 1. Teil seiner Untersuchung behandelt Kirsch
dementsprechend die Märtyrerfeste, die der depositio
martyrum und dem Hier, gemeinsam sind. Das Ergebnis
ist die Beobachtung, daß sich der erste Bearbeiter des
Hier, bei der Eintragung der römischen Märtyrer in
seine Liste an eine ganz feste Regel bindet: Sie stehen
immer an erster Stelle vor den Heiligen anderer Städte
und sind ganz wie im Chronographen mit einer genauen
Angabe des Ortes, wo ihr Gedächtnis begangen wurde,
d. h. gewöhnlich ihres Grabes verbunden. Es liegt auf
der Hand, welche Bedeutung dieser damit gewonnene
Maßstab für die Beurteilung aller Märtyrerangaben des
Hier, besitzt, die über die dep. mart. hinausgehen. Alle
Notizen, bei denen sich die gleiche Form der Eintragung
feststellen läßt, werden mit höchster Wahrscheinlichkeit
dem römischen Kalender zugewiesen werden können.
Es sind im ganzen 28 (nicht 29, wie Kirsch S. 95 zählt,
denn Nr. 46 ist als späterer Zusatz auszuschließen), die
sich im 2. Abschnitt gesammelt finden.

Da die topographischen Angaben, die für die Charakterisierung
der römischen Quelle eine so wichtige Rolle spielen, größtenteils nur
in einer und nicht einmal der ältesten Handschrift, dem Codex Ber-
nensis, überliefert sind, so wäre es an sich möglich, in ihnen die
Frucht der Studien eines späten Schreibers zu sehen (so Erbes in
Ztschr. f. Kirchengesch. 43 [1924] S. 41). Damit hätten sie natürlich
jeden kritischen Wert verloren. Es ist ein Verdienst des Verfassers,
diese Auffassung durch seine sorgfältige Analyse des handschriftlichen
Befundes unmöglich gemacht zu haben. Die Entwicklung des
Martyrologs in Gallien verlief vielmehr in der Weise, daß die Mehrzahl
der Handschriften die ursprünglich allen gemeinsamen Angaben
über die lokalrömischen Kultstätten vernachlässigte und sie nur' in
wenigen Fällen vollständig, häufig nur fragmentarisch oder unter
Mißdeutung der Katakombenbezeichnung als Heiligennamen beibehielt
(vgl. z. B. Nr. 1, 6, 9, 11, 19, 29, 33, 34, 36, 39, 50).

Im 3. Abschnitt behandelt K. die römische Bischofsliste
des Hier, unter enger Heranziehung der depositio
episcoporum des Chronographen. Aus seinem Ergebnis
gewinnt man den Eindruck, daß hier sowohl das
Material, als auch das Interesse des Martyrologs im
Vergleich zu den Märtyrernotizen geringer ist. Das letztere
scheint mir wenigstens die einzige Erklärung dafür
zu sein, daß vier von den zwölf mit der dep. ep. übereinstimmenden
Bischofsnamen in der Tagesliste hinter
Märtyrern zurückstehen, die in drei Fällen sogar nicht
einmal nach Rom gehören. Es finden sich ferner zuverlässige
Eintragungen nach der Form, die K. als Merkmal
der Ursprünglichkeit herausgestellt hat, nur für
die Päpste von Lucius bis Liberius. Das heißt also: Um
die Mitte des 5. Jahrhunderts lag dem ersten Bearbeiter
des Hier, eine Beisetzungsliste der Päpste vor, die bei
gleichem Anfang nur um den einen Liberius weiter
nach unten reicht als die des Chronographen von 354!
Man würde sie am liebsten mit der dep. ep., die dann
wie schon in früheren Fällen durch einen Nachtrag ergänzt
sein müßte, unmittelbar gleichsetzen. Doch dagegen
sprechen die kleinen Varianten im Hier. (Verschiedenheit
im Datum: Nr. 51, 52, 55, 56, in der Katakombenbezeichnung
: Nr. 57). Aber daß seine Vorlage
als eine Art Neuherausgabe von der dep. ep. hergeleitet
werden muß, ist wohl sicher. Eine weitere Fortführung
hat das Werk des Chronographen nicht mehr gefunden,
denn die Päpste vor Lucius und nach Liberius sind im
Hier. z. T. schon vom ersten Bearbeiter nach andern
römischen Quellen eingetragen. Leider ist die untere
Grenze der Bischofsliste in der ersten Redaktion des
Hier, so unsicher, daß sich auf grund derselben schwerlich
etwas Bestimmtes über seine Datierung sagen läßt.

Wie man erwarten muß, beschäftigt sich K. im 4.
Abschnitt unter dem Titel „die übrigen stadtrömischen
Heiligenfeste" im Unterschied vom 2. hauptsächlich
mit solchen Notizen, die nicht in der regelrechten Form
gebucht, also auch nicht der ersten Fassung zuzuschreiben
sind. Wenn er daneben auch hier eine ganze
Reihe von ursprünglichen Eintragungen abhandelt, so

sind das solche, die zwar in ihrem heutigen Zustande der
regelmäßigen Form nicht mehr voll entsprechen, dies
aber einst getan haben müssen, wie K. im einzelnen mit
mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit nachweist.

Es handelt sich dabei sechsmal um Heilige, deren Gräbstätte
genau angegeben wird, während ihre Stellung an der Spitze der
Tagesliste erst von K. erschlossen werden muß (Nr. 83, 90, 97, 98,
110, 119). Dreimal fehlt die topographische Bestimmung, während
die Stellung in Ordnung ist (Nr. 81, 94, 98 a); Nr. 94 ist so fragmentarisch
überliefert, daß das Fehlen des Katakombcnnamens nichts besagt
. Nur eine Notiz stellt zweifelsfrei an dritter Stelle, hat aber das
Grab (Nr. 96).

Auch hier bleibt K. seiner Methode, auf textkritischer
Grundlage aufzubauen, treu und zieht immer
erst in zweiter Linie die übrige hagiographische Überlieferung
heran. Es ist nicht seine Schuld, sondern liegt
am Material, daß die Entscheidung für oder wider
manchmal einen etwas subjektiven Einschlag bekommt.
Das gilt auch für die oft recht schwierige Beurteilung
jener topographisch gut unterrichteten Notizen, die von
K. als Zusätze nach andern römischen Quellen angesehen
werden. So ist in vielen Fällen eine gewisse Unsicherheit
unvermeidlich, und die Grenzen des Kalenders
sind gleichsam fließende, wie dies K. auch in der Tabelle
am Schluß des Buches durch Klammern und Anmerkungen
angedeutet hat. Zu diesem Mangel tritt ein
zweiter ebenfalls sachlich bedingter: Außer den unmittelbar
nach Rom gehörigen Märtyrern finden sich
bei K. nur noch Heilige aus der Umgebung Roms (Abschnitt
5), wie ja auch die dep. mart. Namen aus
Albano, Ostia und Porto kennt. Im übrigen fehlen auswärtige
Märtyrer vollständig. Das gibt aber nicht den
ursprünglichen Zustand wieder, sondern liegt an der
Eintragungsmethode des ersten Bearbeiters, die in
diesem Falle unserer Erkenntnis ungünstig ist. Nachweislich
wurden in das Hier. Heilige anderer Kirchenprovinzen
, die man auch in Rom feierte, nicht nach dem
römischen, sondern nach dem betreffenden Provinzial-
kalender aufgenommen. Das hat K. an den Beispielen
der Perpetua und Felicitas und des Cyprian, wo wir den
Vorgang auf Grund der dep. mart. kontrollieren können,
unwiderleglich gezeigt (S. 39 f.), nur wundert man sich,
daß er bei der Zusammenfassung seiner Ergebnisse
(S. 218 ff.) diese Tatsache nicht der Erwähnung wert
rindet. Ich meine, es liegt hier eine wenn auch nicht
große, so doch recht empfindliche Lücke vor, da es
uns nun unmöglich ist, die Kircheupolitik Roms an
seinem Heiligenkalender zu studieren.

Man wird in Einzelheiten von K. abweichen können
, aber auf das Ganze gesehen hat seine Untersuchung
den Kalender Roms am Beginn des 5. Jahrhunderts
in den für uns gezogenen Grenzen verläßlich hergestellt
. Nicht nur das: K. hat auch die Entwicklung
und Weiterbildung des Hier, auf italischem und gallischem
Boden an seinem Material gründlich erläutert und
damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Martyrologs
geschaffen. Endlich dürfen die liturgiegeschichtlichen
Anregungen nicht vergessen werden, die
er S. 238 ff. an seine Arbeit anknüpft, um das Wachstum
der Heiligenverehrung zu beleuchten.

Berlin. W. Eltester.

Engel-Jänosi, Friedrich : Soziale Probleme der Renaissance.

Stuttgart: W. Kahlhammer 1924. (VII, 126 S.) gr. 8°. Beihefte
zur Vierteljahrsschrift f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Heft 4.

Rm. 4.25.

Der Verfasser dieser Schrift will die Ideen der einzelnen
Lebenskreise über das soziale Gebäude, Wirtschaft
, Gewinn, Beruf usw. im wesentlichen nur schildern
und so den reinen Wissenstrieb befriedigen. Er
zieht nicht die ganze Renaissance heran, sondern nur
ausgewählte kirchliche, häretische, pädagogische und
humanistische Autoren, in besonderen Exkursen Savona-
rola, Petrarka und Macchiavelli. Man kann an der
Schrift viel vorsichtig abwägendes Bemühen und feines
Durchdenken loben. Leider ist aber durch zuviel Ge-