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Ausgabe:

1925

Spalte:

454-456

Autor/Hrsg.:

Wach, Joachim

Titel/Untertitel:

Religionswissenschaft. Prolegomena zu ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlegung 1925

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

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ist dabei bewußt; Clutlingworth wird zitiert. — ,,Tbe new Reformation"
kennt nur einen Oedanken: Das Ereriffenwerden lebendiger Menschen
vom Geiste Jesu Christi, in tathaftcr Nachfolge mit der ganzen Person,
und als bruderschaftstiftendes Einheitsband, das muß jetzt in der
Krise der Zeit eine neue tiefere Reformation heraufführen. Die Oedanken
werden ausgesprochen namens der durch den Krieg hinsichtlich
der großen Krise sehend gewordenen und an allen ererbten Institutionen
nicht ohne Grund rüttelnden Jugend; die Anklagen und
Klagen sind dieselben wie bei uns, auch die in Verwaltungsdingen erstickenden
Kirchenmiinner und die besinnungslos philologischen Theologieprofessoren
fehlen nicht. Aber schließlich wird dem Verf. diese
ganze Bewegung, der er selber zugehört, zu einer Verheißung für die
anglikanische Kirche. Diese Kirche, die den lebendigen Christus
und die Einheit betont, ist der religiös erfaßten Jugend wahlvcrwandt.
Nur freilich, sie muß die Zeichen der Zeit erkennen und auf die
Reformforderungen eingehen. Der Aufsatz hätte in Deutschland mu-
tatis mutandis auch geschrieben werden können; aber auch diesem
Verfasser läuft, obwohl er nicht ohne Zweifel und Bitterkeit redet,
alles auf die Kirche der via media hinaus.

in den übrigen Aufsätzen tritt mehr die zweite Seite, die antirömische
Tendenz hervor. Noch verhüllt in dem zweiten, The English
Reformation von R. H. Murrav. dem Verfasser eines Buchs über
„Erasmus and Luther: their attitude to Toleration". Der Aufsatz gibt
in lose nebeneinander gestellten kleinen Abschnitten ein Bild der
treibenden Kräfte des Reformationsjahrhuiidcrts in England. Dabei
werden die Einflüsse der festländischen Reformation (mit Ausnahme
von ein paar kleinen Notizen, die fast aus Verschen da stehen) wie absichtlich
verschwiegen, und auch der Puritanismus bleibt in ein paar
abstrakten Andeutungen, die nur der Kundige versteht, begraben. Es
ist alles national-englisch, und alles anglikanisch. Abgesehen von der
Engigkeit des Blicks fällt einem Deutschen auf, wie wenig Verlangen
der Verf. danach hat, tiefer greifende religiöse Motive nachzuweisen.
Die Trennung der Nationalkirche von dem sie ausbeutenden italienischen
Mittclmeerfürsten, der sich Papst nennt, ist ihm die Grundschönen
und reichhaltigen Materials — das schreckliche Ende anschaulich
zeigt, zu dem man auf diesem Wege schließlich dann hinkommt
: römische Mariolatrie mit allen ihren Auswüchsen.

Der siebente Aufsatz ist The Lambeth ,,Appeal" and ils rcsults
von H. L. Clarhc. Er gibt unter Beschränkung auf die englisch
sprechenden Kirchen, die schwedische Kirche, die lateinische Kommunion
und die morgenländische Kommunion (die evangelischen Kirchen
des europäischen Festlands außer der schwedischen sind einfach beschwiegen
) eine Darstellung des Stands der Vereinigungsfrage im
Sinne wirklicher dogmatischer und rechtlicher Union mit der oben
schon namhaft gemachten Tendenz zugunsten des Reformatorischen.

Das ganze Buch aber ist lehrreich, sofern es zeigt,
was an geistigen und religiösen Kräften innerhalb der
anglikanischen Kirche selbst dein Anglokatholizismus
entgegensteht. Großen Optimismus kann das in ihm
versammelte Aufgebot wohl für die Sache des Evangeliums
in der anglikanischen Kirche nicht wecken.
Denn das Beste in diesen Männern, ihr Christusglaube,
ist doch in einer Unbestimmtheit gehalten, die römischer
Ausprägung mit religiösen Gründen nicht entgegenzutreten
vermag. Daß sich zu Christus bekennen heißt,
den paulinisch-lutherischen Gegensatz des Evangeliums
von Christus gegen das Gesetz bejahen, das wissen sie
nicht. Das dürfen sie auch nicht wissen, denn dann
wäre es ja aus mit der via media.

Im einzelnen sind aus dem Buche natürlich eine Reihe wertvoller
Notizen zur englischen Kirchenkunde, vor allem der Gegenwart, zu
entnehmen. Aus Wallau's oben angeführtem Bericht z. B. wird ja
wohl niemand sonderlich über den Lambeth-Beschluß v. 1920 klug
werden, wie es denn allen historischen Analysen Wallau's an
der festen klaren Linie gebricht; hier dagegen findet man alles nur
Gewünschte darüher. Auch über den Anglokatholizismus gibt das Buch

tatsache, und sie dünkt ihm,zumal in die Wandlungen des Schauplatzes : Einzelnachrichtcn. — Aber auch eine reformationsgeschichtliche Tat-
vkw Weltgeschichte und Englands Gewinn dabei hineingestellt, groß | sachc, die in unsre Kirchcngcschichten aufgenommen zu werden ver-
und herrlich. Aber im einzelnen werden doch dann die Hauptpunkte ! diente, ist, und zwar gerade aus Murrays Aufsatz, zu entnehmen (S. 73).

der Veränderungen hervorgehoben, die Bibelübersetzung, die Beseiti
gung von Meßopfer und Transsubstantiation, die Kultusreform, das
Laienpriestcrtum, die Bejahung des weltlichen Staates. In alledem hat
die anglikanische Kirche sich reformiert und ist doch die alte Kirche
geblieben, ohne geschichtlichen Bruch, welch letzteres an der ununterbrochenen
Reihe der Register im Lambcth-Archiv belegt wird.

Ich gebe als Beispiel der Darstellungskünste Murrays etwas aus
dem Inhalt des Abschnitts über die Bibelübersetzung. Als Vorbereitung
der englischen Bibelübersetzung von 1539 erscheinen garu allein
Erasmus lateinische Paraphrasen zum neuen Testament; die Bibelübersetzung
vollendet, was diese angefangen. Dann gehts nach einigen
Bemerkungen über die antirömische Bedeutung der Bibelübersetzung
zu der englischen Übersetzung von 1611 über, wobei der Verf. (S.78) in
folgenden Hymnus ausbricht: As we read it, we are apt to forget
»hat it is only in mir tongue that itholdsthis pride of place. A French-
man does not usually look at his Biblc and cannot buy his Vulgate
m reasonably as we do our Version. A German is apt to treat his
Lutheran Version as a tlocumenf in philology, not the model of
style our own is. — Erstaunlich!

Im dritten Aufsatz, Roms as unreformsd von O. O. Coulton,
vv'rd ein schneidiger Ritt unternommen gegen die Knechtung der
freien Forschung und die Erziehung zur Unwahrhaftigkeit, die im
römischen Unfehlbarkeitsdogma beschlossen liegen. Der Verf. erweist
sich als erfahrener Kämpe auf diesem Gebiet. Aus diesem Aufsatz
sei unsem Konfessionsstatistikern S. 132. 137 f. zum Studium empfohlen
. Coulton teilt dort mit,"' daß alle Evangelischen und alle
Katholiken der ganzen Welt je für sich zusammengenommen die
Katholiken 65,1 •/„-, die Evangelischen dagegen nur 74,8 "/,,„ uneheliche
Geburten unmittelbar vor dem Kriege gehabt haben, und
erzählt mit Behagen, w/ie er einst Monsignore /. S. Vaaghan, der
das Gegenteil herausgerechnet, der bewußten Fälschung überführt
habe. — Der vierte Aufsatz, Communion or Mass von W. f.. Paifre.
und der fünfte, St. Mary the Virzin von /. //. Thnrpc, sind gegen
die Anglo-Katholiken gerichtet. Beide vertreten die echt evangelische Lehre
im Anschluß an Bekenntnis und Gebetbuch der englischen Kirche des
16. Jahrhunderts. Schwach aber ist bei beiden die innere Begründung der
Ablehnung des Katholischen. PaJge sieht die Rettung vor dem zähen
Andringen der Anglo-Katholiken, welche aller Ordnung und allen
Gründen zum Trotz eben einfach Messe halten, in der Wieder-
helebung der Kommunionsgemeinschaft nach urchristlicher Art; leider
Passiert es ihm ,als er (Geistlicher einer Mittelstadt) den erbaulichen
Eindruck einer großstädtischen Massenkommunion auf sich als
Zuschauer schildert, daß er hinzufügt: the beautiful piecc of sculpture
a» the East End helped much towards the reaüsation of the Lord's
own presence as the Dispenser of the Sacred Feast (S. 170). Thorpe
sucht sich gegen das tückische Einschmuggeln des Maricnkults durch
die Anglokatholiken zu helfen, indem er — unter Ausbreitung eines

Das „weiße Roß" In Cambridge ist 1521 Mittelpunkt eines Kreises englischer
Lutheraner gewesen, zu denen u. a. Latimer, Coverdalc und
Tyndale gehörten. Es hatte (in Universitätskreisen?) darum den Spitznamen
„Das deutsche Reich", und seine Besucher hießen „Die
Deutschen".

Göttingen. E. Hirsch.

Wach, Priv.-Doz. Joachim: Religionswissenschaft. Prolegomena
zu ihrer wissenschaftstheoretrschen Grundlegung. Leipzig: J. C.
Hiurichs 1924. (VI, 209 S.) 4". =± Vcröffentl. d. Forschgs.-Inst.
f. vgl. Rel.-Gesch. an d. Univ. Leipzig, Nr. 10.

Rm. 6.75; geb. 8.25.
Die wissenschaftstheoretische Bearbeitung einer
Einzelwissenschaft setzt eine doppelte Eignung des Autors
voraus: er muß selbst praktisch an der Forschung
sich beteiligt haben und fähig zum systematischen
Denken sein. Man wird dem Verf. unserer Schrift das
Zeugnis ausstellen dürfen, daß er in beiderlei Hinsicht
wertvolle Voraussetzungen für seine schwierige Aufgabe
mitbringt. Er steht in konkreter religionswissenschaftlicher
Arbeit (vgl. seine Veröffentlichung: der Erlösungsgedanke
und seine Deutung, Leipzig 1022) und
beherrscht in glänzender Weise die Literatur der philosophischen
Untersuchungen zur Geisteswissenschaft
überhaupt. Sein Ziel ist dies: die Aufgabe der Religionswissenschaft
im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit
an der Religion so zu bestimmen, daß falsche Vermengungen
mit grundsätzlich anders eingestellten Disziplinen
(Dogmatik, Religionsphilosophie) aufgehoben
werden und die Übereinstimmung der Methode der
Religionswissenschaft mit derjenigen anderer Disziplinen
der Geisteswissenschaft (Rechtsgeschichte und allgemeine
Rechtslehre oder Kunstgeschichte und Kunstlehre
— nicht Rechts- und Kunst t h e o r i e) heraustreten
Das Resultat, zu dem die methodisch sorgfältige
Arbeit gelangt, ist das folgende: die Religionswissenschaft
hat den Charakter einer rein empirischen
Wissenschaft. „Die Fragen nach dem Wesen, Ursprung
und Zweck der Religion gehen die Religionswissenschaft
als solche nicht an, sondern müssen der religionsphilosophischen
(bezw. — psychologischen) Bearbeitung
überlassen werden" (S. 59 f.) Die Religionswissenschaft
versieht die ganze Wesens- und Wahrneits-