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Ausgabe:

1925 Nr. 19

Spalte:

452-454

Titel/Untertitel:

Anglican Essays 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 19.

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griffen und bezaubert haben; und etwas davon weiß er
dem Leser mitzuteilen. Die Darstellung dieses Kapitels
erst gibt die innere Rechtfertigung seines Urteils, daß
wir die Oxford-Bewegung vor allem als religiöse, nicht
bloß als kirchliche ansehen müssen, und daß sie das
Erbe des Evangelikaiismus vertritt. Ein neuer „Enthusiasmus
", geboren aus einem lively sense of the nearness
and majesty of God, welcher die awfulness, das rnyste-
rium tremendum auch in den allgemeinsten und bekanntesten
religiösen Wahrheiten, z. B. in dem einfachen
Artikel von der Unsterblichkeit der Seele, zur Geltung zu
bringen weiß, scheint ihm die allgemeine Note dieser
Frömmigkeit zu sein, und dieser Grundzug äußert sich
— gerade darin wirkt der Evangelikaiismus am stärksten
nach — so, daß heiliges Leben den führenden Männern
das A und O der Religion ist. Das ists, wonach sie
verlangen, von Gott durchheiligt zu werden; das ists,
was sie fordern, mit der christlichen Wahrheit in wirklicher
ganzer Hingabe ernst zu machen.

Wieweit läßt sich nun die ganze Bewegung mit
allen ihren Ideen und Zielen her von diesem Lebendigsten
in ihr verstehen? Die Frage ist von Br. so scharf
nicht gestellt, liegt aber den Ausführungen der übrigen
Kapitel des dritten Teils mehr oder weniger klar zu
gründe. Leicht ergeben sich die Übergänge zu Asketik und
Sakramentarismus. Wird die Kontemplation des gekreuzigten
üottmenschen her von diesem Verlangen, Gottes
Heiligkeit zu besitzen, im Sinne der alexandrinischen
Theologie weitergeführt, so ergibt sich ein durch eine
Inkarnationsmystik vertiefter Sakramentarismus. Am
schärfsten prägt sich der Zusammenhang in Newman
aus. Daß er von seiner evangelikalen Frömmigkeit her den
Übergang zur Lehre von der Taufwiedergeburt vollzog,
ist dabei der entscheidende Knotenpunkt, seine Doctrine
of lustification das mit Unrecht vernachlässigte klassische
Dokument anglokatholischer Theologie. Das Motiv
tritt bei ihm deutlich heraus: es soll eine übermenschliche
, göttliche Heiligkeit sein, und die läßt sich so nur
als sakramental gegebene finden; ein Zurücktreten des
Sakramentalen bringt die Gefahr pelagianisierenden Moralismus
nahe. Soweit findet Br. die inneren Zusammenhänge
leicht. Und auch den notwendigen Übergang von
diesem Standpunkt zur Theologie des späteren Anglo-
katholizismus kann er am Schluß des letzten Kapitels
sicher und behende skizzieren. Aber an einem Punkt
sieht er doch eine Spannung, gerade im entscheidenden:
in der Lehre von der Kirche. Er unterscheidet eine
statische und eine progressive Anschauung von der
Kirche. Die erste ist die traditionalistisch-hochkirchliche,
welche die ganze Lehre von der Kirche auf die apostolische
Sukzession stellt. Der andern, die von dem Lebendigsten
in der Bewegung gespeist ist, der ihr wahrhaft
eigentümlichen, ist Heiligkeit die entscheidende nota
ecclesiae. Sehr fein wird gezeigt, wie diese beiden Anschauungen
von der Kirche in Newman miteinander-
ringen und alle, aber auch alle, Widersprüche und Unklarheiten
der augustinischen Anschauung von der Kirche
sich bei ihm wiederholen. Aus der hier liegenden Unklarheit
erklärt Br. das Auseinanderfahren der Bewegung
nach zwei Seiten, ihre innere Katastrophe. Nur
wenn die Bewegung ihre sakramentale Anschauung von
der Kirche von dem statischen Element hätte lösen
können, nur dann wäre das Entweder-Oder, das vor der
ganzen Bewegung bis heute steht — entweder zum traditionellen
anglikanischen Hochkirchentum zurückzukehren
und so das Lebendigste in ihr zu verraten, oder
in die Arme Roms zu fallen — wirklich innerlich überwunden
worden. So springt aus dem Buche, auf den
beiden Schlußseiten taktvoll und zurückhaltend, aber mit
kaum verhüllter Deutlichkeit ausgesprochen, doch eine
alle Bewunderung überwindende Kritik als das entscheidende
letzte Wort des Verf.'s heraus.

Soll ich von dem so lehrreichen Werke mit einigen Desideraten Abschied
nehmen, so möchte ich sagen: Erstens, das Werk würde
als historische Leistung größeren Stils gewinnen, wenn der Verf. am

Schlüsse seiner Betrachtung die Geschichte der Insel in die allgemeine
evangeiische Kirchengeschichte hineingestellt hatte. Ein letztes historisches
Urteil läßt sich doch nur gewinnen, wenn man die gleichzeitige
deutsche Kirchengeschichte mit ihren Ähnlichkeiten und ihren
Abweichungen vergleichend herangezogen hätte. Das hätte dem
Gegenstand gegenüber noch mehr Distanz verliehen. Zweitens, es
scheint mir in der Bewegung, vor allem in Newman selbst, trotz gelegentlicher
dahingehender Bemerkungen, der intellektualistische, durch
Reflexion vermittelte und nicht auf ursprünglicher Kraft des Erlebens
weisende Hintergrund der ganzen Frömmigkeit nicht genügend herausgearbeitet
. Keinem der Männer der Bewegung eignet die „Vollmacht",
die Führern echter religiöser Bewegungen eigen zu sein pflegt. So
möchte ich auch hinter die breite Wirkung auf das Kirchenvolk ein Fragezeichen
setzen. Endlich, für mich ist die so geistvoll herausgearbeitete
Unklarheit in der Anschauung von der Kirche ein Hinweis, daß in
der von diesen Männern vollzogenen Verknüpfung von Heiligkeit und Sakrament
ein Fehler steckt, den Br. nicht aufgedeckt hat, und zwar der
tiefste. Heiliges Leben in seinem ganzen Ernst und seiner ganzen
Tiefe wird aus Rechtfertigungsfrömmigkeit geboren und ist dem
Sakramentarismus wesensfremd. Erst mit dieser Aussage trifft man
den Nerv der Bewegung. Ist Newman's Doctrine of lustification das
entscheidende theologische Dokument, so entscheidet sich an der
überwindenden inneren Auseinandersetzung mit ihm das letzte Urteil
über die Bewegung. Und die hat Kap. XIV nicht unternommen.

Doch diese kritischen Bemerkungen dürfen nicht mein
letztes Wort sein. Br. hat mit seinem Werke sich in
die Reihe derjenigen Kirchenhistoriker gestellt, auf die
wir zu achten haben. Er wird uns noch mit manchem
Werke beschenken, aus dem wir vielseitige und reiche
Belehrung schöpfen.
Göttingen. E. Hirsch.

Angiican Essays. A collective review of the principles and special
opportunities of the Angiican Communion as Catholic and Reformcd
by the Archbishop of Armagh, Rev. R. H. Alurray, G. G.
Coutton u. a. London: Macmi.llan and Co. 1923. (X, 337 S.) 8U.

geb. sh. 12/6.

Via media, das ist auch für die Verfasser dieser
Essays das die Eigenart und die Kraft der anglikanischen
Kirche ausdrückende Wort. Eine Bewährung dieses
Charakters sehen sie in dem Beschluß der Lambeth-
Konferenz von 1920, welcher die bekannten vier Bedingungen
kirchlicher Vereinigung festlegt (vgl. über ihn
die Notizen bei Wallau, die Einigung der Kirche S.
61 f.). Die anglikanische Kirche ist ihnen der lebendige
Mittelpunkt aller kirchlichen Einigungsarbeit. In diesen
allgemeinen Rahmen aber legen sie doch ihre besondere
Tendenz hinein. Einmal, sie nehmen die Freiheit und
Mannigfaltigkeit, wie sie die Lambeth-Bedingungen faktisch
offen lassen, sehr stark in Anspruch zugunsten
eines auch moderner Wissenschaft gegenüber unbefangenen
, in allem nicht Wesentlichen die Privatüberzeugung
gelten lassenden Christentums. Das Lambeth-
Bekenntnis zum sog. Nicaenum wird ihnen zu der Aussage
, daß Jesus Christus als der göttliche Logos die der
Kirche und Bibel überlegene persönliche Autorität sei.
Sodann, der natürliche Weg der Einigung ist ihnen
das Zusammenfinden aller Reformationskirchen (wenigstens
aller irgendwie aus der Reformation entsprungenen
Kirchen englischer Zunge). Um dieser Einigung willen
machen sie gegen die „nicht reformierte" römische
Kirche scharf Front. Schon die Vorrede deutet es als
eine der Aufgaben des Buchs an, die in den letzten
dreißig Jahren aus dem Unterricht der Kirche von England
verschwundenen antirömischen Unterscheidungslehren
durch Darlegung der treibenden Kräfte anglikanischer
Reformation und Kirchenwesens wieder in Erinnerung
zu bringen.

Die erste Tendenz tritt hervor in dem ersten Aufsatz Christian
Liberty von CA. F. d'Arcy, Erzbischof v. Armagh, und im sechsten
The new Reformation von CA. E. Raven. „Christian Liberty" nimmt
(als einziger Aufsatz eines Buchs, dessen Horizont trotz des angeblichen
Universalismus über das Gebiet der englischen Nationalität
nirgends hinausreicht) auf Luther Bezug, erkennt dessen Freiheit eines
Christenmenschen zugespitzt auf das Right of private jugdment, an und
findet das die Ordnung herstellende Gegengewicht in der lebendigen
Autorität der Person Jesu Christi. Das wird dann für das Verhältnis der
Kirchen untereinander fruchtbar gemacht. Die lose Anknüpfung an das
christliche Einheitsbekenntnis der großen Anglikaner des 17. Jahrb.