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Ausgabe:

1925

Spalte:

433-439

Autor/Hrsg.:

Seeberg, Reinhold

Titel/Untertitel:

Christliche Dogmatik. 1. Bd 1925

Rezensent:

Althaus, Paul

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Sclfurer und Adolf von Harnack

Herausgegeben von Professor D. EfTianuel HlFSCh unter Mitwirkung von

Prof. D. Wilh. Heitmüller, Prof. D. Dr. G. Hölscher, Prof. D. Arthur Titius, Prof. D. Dr. G. Wobbermin

Mit Bibliographischem Beiblatt, bearbeitet von Priv.-Doz. Lic. theol. Kurt Dietrich Schmidt, Göttingen
Jährlich 26 Nrn. Bezugspreis: vierteljährlich Rm. 9.™. - Verlag: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.

Zft Lim, V- in Manuskripte und gelehrte Mitteilungen sind ausschließlich an Professor D. H irsch in Göltingen, IQ Centernher 1Q7C
tfU. Jahrg. INr. 19. Bauratgerberstr. Im, zu senden, Rezensionsexemplare ausschheülich an den Verlag. 'z. OCpiClllUCl lyLO.

Seeberg, Christliche Dogmatil: (Althaus).
Jensen, Geschichte der Schrift (Pick).

Gottdenoiiüh, The Useiido-Justiniiin „Oratio

ad Graecos" (v. Harnack).
Harnack, Die Mission und Ausbreitung; des

Christentum» in den ersten drei Jahrhunderten

(von der Goltz).
M ü 11 e r , KirchenKeschichte (Kohhneyer).
Briiioth, The AtiKlican Revival (Hirseh).
Atlgllcan Essays (Oers.).

Wach, Religionswissenschaft (Heinzelmann).
Die deutsche evangelische Meidenmission (Borne-
tuann).

G u t in a n n , Das Dschaggaland und seine

Christen (Richter).
Mitteilung.

Seeberg, Reinhold: Christliche Dogmatik. i. Bd. Leipzig;: Anthroposophie und „Christengemeinschaft" als Tat-
A. Deichert 1024. (XII, 580 s.) 8°. Rm. 15—; geb. 17—. j sachen bezeugen in ihrer Art und nach jeweils ver-
R. Sceberg hat sich von jeher an der dogmatischen | schiedener Richtung alle ein Versagen der Theologie.
Arbeit rege beteiligt, auch in den Jahrzehnten, in denen j Seebergs Dogmatik ist von vornherein universal
seine Kraft in erster Linie der Dogmengeschichte ge- | eingestellt. Innerhalb seiner Generation hat S. einen Vorhörte
. Man merkte es seinen geschichtlichen Werken , gänger und Genossen höchstens an A. Schlatter. S. weiß,

ängst an, daß hinter ihnen ein eigener starker syste
matischer Wille stand und daß dieser Historiker nie
dem „Historismus" verfiel, sondern um der theologischen
Gegenwartsaufgabe willen Historie trieb. In
seinen neutestamentlichen Studien und in seiner Luther-
Darstellung wurde die eigene Christologie, Trinitäts-
und Rechtfertigungslehre deutlich genug sichtbar, nicht
immer zum Vorteil der historischen Erfassung des Tatbestandes
. Die „Grundwahrheiten der christlichen Religion
" boten eine eindrucksvolle Skizze von Seebergs
zentralen theologischen Gedanken. Kleinere Abhandlungen
und Schriften, z. B. über das Wunder, Offenbarung
und Inspiration, das ewige Leben, die Nähe und
Allgegenwart Gottes, sowie die geschichtsphilosophi-
schen Studien und Reden vervollständigten das Bild der
systematischen Theologie Seebergs um charakteristische
Züge.

Indessen wirklich fruchtbar für seine Generation
wird ein Systematiker erst dann, wenn es ihm vergönnt
•st, seine Gedanken in einer Gesamtdarstellung der
christlichen Erkenntnis auszusprechen. Dann erst ist
die Auseinandersetzung möglich, in der das Fortschreiten
der Theologie sich vollzieht. Daher begrüßen wir das
Erscheinen der Dogmatik Seebergs mit Freude.

Der erste starke Eindruck, den man von dieser
Dogmatik gewinnt, ist der ihrer umfassenden Weite.
Man muß Seeberg nur vergleichen mit der Eigenart der
beiden theologischen Schulen, die Einfluß auf ihn gehabt
haben, der Erlanger und der Göttinger, um die
Bedeutung seines Buches zu würdigen. Dort hielt sich
die Theologie ganz überwiegend in Isoliertheit gegenüber
dem allgemeinen Geistesleben; unter der Hoheit
des Christentums verstand man nur seine „Selbständigkeit
" und Sturmfreiheit, aber nicht ebenso ernst seinen
alles Erkennen und Leben durchdringenden Wahrheitsanspruch
; die „natürliche Theologie", d. h. die
Gottesbezeugung in der Natur, Geschichte, Religionsgeschichte
wurde meist gering geachtet und es schien
vielfach so, als wisse man erst durch Christus von Gott.
Die Aufgaben christlicher Natur- und Geschichtsdeutung
Heß man liegen. Diese Isolierung und Beschränkung
der theologischen Arbeit hat die Kirche in der Erfüllung
ihres Berufes schlimm gelähmt. Die unerfüllten Aufgaben
aber — das war auch ein geschichtliches Gericht
! — machten sich nun ohne und gegen die Theologie
geltend: der religionsgeschichtliche Relativismus
/ySßiserer Bildungswelt, der religiöse Sozialismus, die

ß

daß die Gotteswirklichkeit das Ganze des Lebens
und der Welt betrifft, daß der Theologe die Naturphilosophie
, die Sozial- und Geschichtsphilosophie
nicht einfach ihrer Wege gehen lassen kann. So gibt
er eine eingehende „Phänomenologie der Religionen der
nichtchristlichen Welt" (S. 15—70), er erörtert lehrreich
die Beziehungen von Religion und Kultur (111
bis 129). Vor allein bietet er in der Lehre vom
Menschen einen Grundriß christlicher Schöpfungsphilosophie
, Sozial- und Geschichtsphilosophie (460 ff. 505
bis 563). Man spürt an dieser Art, die Aufgabe der
Theologie zu stellen, daß S. von dem spekulativen Idealismus
, insbesondere von Hegel gelernt hat. Und wie
immer man über die Ausführung urteilen möge —
S. hat der Theologie aufs Neue wichtige Gebiete gezeigt,
die sie nicht wieder brach liegen lassen darf. Der Wille
zur Weite und zur Einheit der Erkenntnis stellt S.s
Buch mitten in die Gegenwart und ihr besonderes
geistiges Anliegen hinein. Wir Jüngeren wollen hier
durchaus den gleichen Weg gehen.

Steht uns so S.s Dogmatik nach ihrem Wollen
nahe, so ist nun doch zu fragen, ob das Buch als Ganzes
in unserer gegenwärtigen Lage den Dienst tun kann,
den wir bedürfen. Darin liegt ein doppeltes: ob es das
Evangelium so stark und rein wie nur möglich zum
Ausdruck bringt und ob es in seiner Vertretung des
Evangeliums der geistigen Lage der Gegenwart, insonderheit
ihrer philosophischen Fragestellung, ganz
gerecht wird. In beiderlei Beziehung habe ich große
Bedenken, wie im Einzelnen sogleich zu entfalten ist.
Bei aller Gegenwartsnähe seiner Zielsetzung mutet Seebergs
System in der Ausführung oft seltsam fern und
gegenwartsfremd an. Seiner Dogmatik ist ein stark
spekulatives Element eigen. Hier hat sie vielfach den
Stil der Vermittlungstheologie des 19. Jahrhunderts bewahrt
— es sei nur ari die trinitarische Spekulation
oder an die Erörterungen über die Inspiration und das
Wunder erinnert. Anderswo, z. B. bei der Wahrheits-
begründung, wirken die Erlanger Traditionen ungünstig
nach. Dagegen hat die starke theologische Bewegung
des letzten Jahrzehnts auf die Gestaltung der Dogmatik
S.s keinen wesentlichen Einfluß geübt, weder positiv
noch antithetisch. Das Buch ist in diesem Sinne älter
als die neuen religionsphilosophischen und dogmatischen
Fragestellungen. Es geht, ohne Auseinandersetzung seinen
eigenen Weg. So wirkt es, trotz seiner vorwärtsweisenden
Tendenzen, im Ganzen stärker als impo-

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