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Ausgabe:

1925 Nr. 18

Spalte:

421-423

Autor/Hrsg.:

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

Titel/Untertitel:

Begriff der Religion. Hrsg. v. Georg Lasson 1925

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 18.

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geben". Dieser Standpunkt wird mit Besonnenheit und mit Beherrschung
des gesamten, umfangreichen wissenschaftlichen Materials
aller Richtungen in ruhig sachlicher Darlegung vertreten, aber ohne daß
wesentliche neue Momente in positivem Sinne in die Wagschalc geworfen
wurden. Die zweite Auflage zieht das seit 1008 erschienene Material
hervor. Aber Spittas bekannte Schrift (Gießen 1009) und allenfalls
Bornhäusers' neueres Werk: „Das Wirken des Christus" sind wohl die
einzigen erheblicheren Beiträge zu dieser seit 1908 fast ruhenden
Frage, die uns auch durch Meinertz eine befriedigende Antwort nicht
gefunden zu haben scheint.

Berlin. J. Richter.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Begriff der Religion. Nach
den vorhandenen Manuskripten vollständig neu hrsg. v. Georg
Lasson. (= Hegels sämtliche Werke Bd. XII: Vorlesungen über
die Philosophie der Religion, I.Teil.) Leipzig: F. Meiner 1925.
(XIII, 326 S.) 8°. = Philos. Bibliothek Bd. 59.

Rm. 10—; geb. 12—.

Von Hegels Religionsphilosophie ist vorhanden:
1) ein vollständiges, in sich verständliches Manuskript
Hegels, 104 Blätter in Großquart, Hegels eigenes
Kollegheft, nach Lasson's Urteil, das als das eines
Kenners zu gelten hat, das einzige, das sich von Hegels
Hand erhalten hat; 2) eine Reihe von Kollegnachschriften
aus verschiedenen Jahren, nicht mehr alle, die
den einstigen Redaktoren vorgelegen haben, dafür aber
wieder andre, die ihnen unzugänglich geblieben; 3) die
beiden gedruckten Redaktionen der sämtlichen Werke
erster und zweiter Auflage, von Marheineke und Marhei-
neke-Bauer. Manuskript und Nachschriften verhalten
sich spröd gegeneinander. Nicht nur, daß Hegel in der
Gestaltung und Anordnung bei jeder Wiederholung des
Kollegs variiert hat; sondern auch, daß die literarische
Form der Nachschriften mit der des Manuskripts offenbar
nicht gar zu häufig genau sich deckt. Dabei haben
die Nachschriften den Vorzug, daß sie ausführlicher
sind, teils weil Hegel umschreibend verdeutlicht hat,
teils weil er neue Materien in den Gang des Kollegs
hineingezogen hat. Die alten Redaktoren haben aus
diesem Material ein in sich geschlossenes Buch aus
einem Guß zu machen gesucht. Das Ergebnis ist bekannt
: das Ganze ist sprachlich geschlossen, eine ästhetische
Einheit, aber im einzelnen doch ermüdend und
nicht überall, vor allem nicht in Einleitung und
erstem Teil, durchsichtig in der Anordnung. Der
Wortlaut von Hegels Manuskript aber ist naturgemäß
untergegangen.

Daß eine Neugestaltung Hegels Manuskript im
Wortlaut enthalten muß, versteht sich von selbst. Es ist
das Verdienst der Lasson'schen Neubearbeitung, deren
ersten Band ich hier anzuzeigen habe, daß sie dieser Bedingung
insofern genügt, als der einige Mühsal nicht
scheuende Benutzer Hegels Manuskript in ihr hintereinander
lesen kann. Alle Zutaten, sei es aus den Nachschriften
, sei es von Lassons Hand, sind als solche
kenntlich gemacht und sind so gehalten, daß sie dem
Wortlaut des Manuskripts im allgemeinen untergeordnet
sind; wo aber diese Unterordnung dem Herausgeber
unmöglich schien und er am Manuskript änderte, ist
doch durch Zeichen, Verweise und Anmerkungen dafür
gesorgt, daß man den Wortlaut und Zusammenhang des
Manuskriptes sich herstellen kann, und nur an ganz
wenigen Stellen braucht man Feder und Papier, um den
mit diesen Hilfen herausschälbaren Text Hegels sich
klar vor Augen zu stellen. Was nun bei Lasson aber
völlig verloren ging, verloren gehen mußte, das ist der
geschlossene Guß. Nicht daß Lasson nicht auch in der
Hinsicht sein Bestes versucht hätte. Er hat sogar ein
wahres Wunderwerk von zierlicher Gliederung gegeben,
nicht aus dem Manuskript, nicht aus den Nachschriften,
sondern ganz aus dem Eigenen; und das allein beweist
schon, daß ers an Mühe, Fleiß und Nachdenken nicht
hat fehlen lassen. Aber ein Ganzes ist so nicht entstanden
.

Das ist näher zu begründen. Was a) die Texlgestaltung angeht,
so erläutere ich zunächst Lassons Verfahren, indem ich in einem
Beispiel (S. 7) Hegels Manuskript (H.), mit den nötigen grammatischen
Ergänzungen und das, was Lasson (L.) durch Einfügung eines Vorlesungssatzes
und dadurch nötig werdende weitere Einflickungen gemacht
hat, gegeneinander stelle. Das Mehr Lassons ist kursiv gedruckt
; soweit es von ihm selbst, nicht aus einer Vorlesung ist, steht
es in Klammerzeichen.

H.

Die nähere Einleitung aber zu
dem, was ich mir in diesen Vorlesungen
vorgesetzt habe, (werde
ich) dadurch nehmen, dal! ich zuerst
im allgemeinen die Stellung der
Philosophie der Religion zur Religion
berühre, und zwar, soweit
dies vorläufig geschehen kann, zuallererst
(den) bestimmten Zweck
der Religionsphilosophic fassen.

L.

„Die nähere Einleitung aber zu
dem. was ich mir in diesen Vorlesungen
vorgesetzt habe, (werde
ich) dadurch nehmen, daß ich zuerst
im allgemeinen die Stellung der
Philosophie der Religion zur Religion
{selbst) berühre, und zwar, soweit
dies vorläufig geschehen kann."
Es sind erst diese nilgemeinen die Vorstellung
betreffenden Verhältnisse der
Religionswissenschaft zu berücksichtigen.
„Zuallererst {ist nötig, dass wir den)
bestimmten Zweck der Religionsphilosophie
fassen."
Man wird gestehen, daß Lasson Hegels Aussage verdunkelt, ja
etwas verschoben hat.

Ebenso merkwürdig ist es ferner, wenn Lasson den Stil Hegels
verbessert und z. B. S. 12 ein wiederholendes zweites „zunächst" im
Satze in ein „vorerst" umschreibt. Gelten lassen kann man von
Lasson's Stilverbesserungen allein die Ersetzung der Pronomina durch
die Hauptwörter; nur hätte ich auch hier die Pronomina stehen lassen
und in Klammern oder unter dem Text das verdeutlichende Hauptwort
gegeben, statt die eigene Fassung in den Text und Hegels in die Anmerkung
zu setzen. Von dem Mangel an Stilgefühl, von dem einzelne
der unentbehrlichen grammatischen Ergänzungen zeugen, will ich
schweigen.

Was nun ß) die Anordnung betrifft, so möge mir
Lasson verzeihen, daß ich es offen ausspreche: in diesem
Buch ist Herakles-Hegel in den Frauenrock gesteckt
und muß in Omphales Dienst künstliche Muster weben.
Daß Lassons Gliederung sowohl dem Manuskript wie
jeder der Nachschriften Gewalt antut, geht ja schon
daraus hervor, daß keines von ihnen sämtliche Teile der
Gliederung aus eigenen Mitteln bestreiten könnte, daß
Umstellungen im Manuskript zu seiner Einfügung in
das Schema notwendig waren, daß im Manuskript wie in
den Vorlesungen sich Gliederungen finden, die zu denen
Lassons nicht passen. Ich gebe ein besonders auffälliges
Beispiel. S. 152 kündigt Hegel im nachgeschriebenen Text
einen dreiteiligen Gang an, am Schluß des allgemeinen
Teils eines Abschnittes, den Lasson mit „I" bezeichnet
und dann S. 153—164 in drei arabische Ziffern zerlegt
weiter fortführt. Aber diese drei arabischen Ziffern
Lasson's stimmen mit denen der Einteilung S. 152 nicht
zusammen. Das ganze fast ausschließend aus dem Manuskript
genommene Stück S. 153—164 hat mit dem S.
152 angegebenen Thema der Nachschrift nichts zu tun.
S. 164 unten gehts dann unter „II" wieder in den nachgeschriebenen
Text und das Thema von S. 152 wird
weiter gesponnen; aber die Dreiteilung von II ist wieder
nicht ganz mit der von S. 152 zusammenfallend. Ein
anderes Beispiel: aus dem Dithyrambus, mit dem Hegel
sein Kolleg eröffnete, ist ganz willkürlich ein Stück
herausgerissen und an eine andre Stelle gepflanzt, um
einem nur aus Nachschriften stammenden Abschnitt ein
wenig aus dem Manuskript zu verleihen.

Kurzum, als ein Ganzes genommen ist diese Ausgabe
mißglückt. Nicht mißglückt aus Mangel an Gewissenhaftigkeit
, sondern weil der Herausgeber Unmöglichem
nachjagte und von allen guten Geistern
des Geschmacks verlassen war bei dieser Jagd. Die
wahre Methode einer Edition, die nicht das Manuskript
und alle anderen Quellen in einem ganz neugeschriebenen
Ganzen untergehen lassen will, war dabei
gar nicht so schwer zu finden. Es hätte zunächst in einem
ersten Teil das Manuskript selbst tale quäle mit (gekennzeichneten
) Satzergänzungen und in sinnvoller Zeichensetzung
abgedruckt werden sollen. Dabei waren unter
dem Strich, allein durch Angabe der Zeilenziffern an das
Manuskript angeschlossen und mit Jahreszahlen und
Siglen kenntlich gemacht, die kleineren Ergänzungen
und die Parallelen aus den Nachschriften zu drucken. In
einem zweiten Teil waren ebenso gekennzeichnet die-