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Ausgabe: | 1925 |
Spalte: | 415-417 |
Autor/Hrsg.: | Bornkamm, Heinrich |
Titel/Untertitel: | Luther und Böhme 1925 |
Rezensent: | Ritschl, Otto |
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Theologische Literaturzeihmg 1925 Nr. 18.
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Aus diesem Grunde wird eine Zusammenstellung und Übersetzung der
in dieser Beziehung wichtigen Stellen seiner Werke vielen erwünscht
sein, besonders denen, die sich zwar für diese Seite der thomistischen
Philosophie interessieren, jedoch nicht in der Lage sind, sich durch
sämtliche hierfür in Betracht kommenden Werke (S. Theol.; S. c.
gent.; Comm. in Arist. pol.; De reg. princ. u. a.) hindurchzuarbeiten.
— Der Herausgeber gliedert seinen Stoff in folgende Abschnitte: Gemeinschaft
; Friede und Liebe; Gesetz; Volk, Staat, Bürger; Lohn und
Arbeit; Handel und Wandel, Geschäftsleben; Vom Darlehen und von
Zinsnehmen; Besitz und Armut.
Die Auswahl ist gut getroffen, wenn auch Einzelnes fehlt, was
unseres Erachtens ebenfalls der Aufnahme wert gewesen wäre wie z. B.
die Ausführungen über die verschiedenen Staatsformen und ihre Bewertung
, über das Verhältnis der geistlichen zur weltlichen Gewalt
u. a. Die Übersetzung ist sinngetreu und angenehm zu lesen. —
Möge das Bändchen viele zu weiterer Beschäftigung mit den Gedanken
des „Doctor communis" anregen!
Rinderfeld b. Bad Mergentheim. Walter Be t z e n d ö r f e r.
Bornkamm, Priv.-Doz. Lic. Heinrich: Luther und Böhme.
Bonn: A. Marcus fv E. Weber 1925. (VIII, 300 S.) gr. 8°. = Arbeiten
zur Kirchengeschichte, 2. Rm. 11—,
Die vorliegende Schrift ist das Erstlingswerk eines
begabten, fleißigen, im ganzen auch gut unterrichteten
und in jedem Falle viel versprechenden jungen Theologen
, der mit großer Energie ein schwieriges Thema
ergriffen und nach manchen Seiten hin auch mit Erfolg
bewältigt hat. Immerhin ist trotz der rühmenswerten
Kenntnis der Böhmeschen Schriften und der Böhme-
Literatur seine Leistung von gewissen Mängeln nicht
frei, von denen sie vielleicht verschont geblieben wäre,
wenn der Verf. erst in reiferen Jahren sich der von ihm
mit kühnem Mut schon jetzt in Angriff genommenen
Aufgabe zugewendet hätte.
Weniger Anlaß zur Kritik würde das Buch darbieten
, wenn ihm der Verf. nicht gerade den Titel
Luther und Böhme gegeben, sondern es als eine Untersuchung
der Oedankenwelt Böhmes und ihrer ideengeschichtlichen
Voraussetzungen bezeichnet hätte. Denn
einmal liegt in ihm tatsächlich eine über die Beziehungen
Böhmes zu Luther weit hinausgreifende Arbeit vor.
Andererseits aber ist Luthers Einfluß auf Böhme, soweit
davon überhaupt die Rede sein kann, nur eine neben
sehr verschiedenartigen Einwirkungen, die Böhme außerdem
erfahren hat. Auch diesen ist der Verf. gewissenhaft
nachgegangen. So hat er insbesondere die Grenzen des
Einflusses, den Eckharts Mystik und Weigels Spekulationen
auf Böhmes Denken gehabt haben, zu bestimmen
gesucht, höher aber als diese Einwirkungen
die der deutschen Theologie, die von Paracelsus und die
von Schwenckfeld angeschlagen. Zuvor jedoch hat er
auf Grund seiner eindringlichen und scharfsinnigen
Forschungen von Böhmes spekulativem System in' seiner
geschichtlichen Entwicklung sowohl wie in seinem Innern
Zusammenhang ein Bild gegeben, durch das dessen
abstruse Phantastik doch einen einigermaßen verständlichen
Sinn gewinnt.
Die Einteilung in die beiden Teile über Luthers
Einwirkung auf Böhmes System und über lutherische
und mystische Züge in Böhmes Frömmigkeit ist nicht
glücklich. Jedenfalls gehört mindestens noch der Inhalt
des ersten Abschnitts des zweiten Teils über die
Christologie zu Böhmes spekulativem System. Doch
auch die folgenden Abschnitte stehen zu dessen Frömmigkeit
überwiegend nur in mittelbarer Beziehung. Oberhaupt
aber erscheint mir, so beliebt auch zur Zeit bei
manchen dieses Verfahren ist, die Einstellung der ideengeschichtlichen
Untersuchung auf die „Frömmigkeit"
der Personen, über die man handelt, höchst fragwürdig.
Denn was in jemandem wirklich fromm ist, läßt sich
niemals bestimmt und sicher greifen. Und was als mitteilbarer
Ausdruck der Frömmigkeit anderer Menschen
allenfalls gelten kann, ist immer schon Gedankengut
und als solches der spekulativen Gedankenbildung gar
nicht mehr vorherrschend ungleichartig.
Methodisch anfechtbar ferner ist es, wenn es der
Verf. wiederholt als ein anscheinend wichtiges Ergebnis
seiner Untersuchungen feststellt, daß Böhme „echtes Gut
Luthers" oder wie er dasselbe mit anderen Wendungen
ausdrückt, übernommen habe. Denn man hat doch
vielmehr davon auszugehen, daß Böhme von Haus aus
dem lutherischen Kirchentum angehört hat und daher
auch in der lutherischen Gedankenwelt von vorn herein
mehr oder weniger heimisch gewesen sein wird. Worin
er also mit dieser übereinstimmt, das ist eine Überkommenschaft
, die er nur nicht auch verloren oder preisgegeben
hat, wie so vieles andere, worin er von dem
Luthertum abgewichen und anderen geistigen Führern
oder seinen eignen Einfällen gefolgt ist. Dann aber ist
auch nicht sein Festhalten an einigen von Luther herrührenden
Ansichten problematisch und erklärungs-
: bedürftig, sondern sein Übergang zur Mystik, zur naturphilosophischen
Phantastik und zu seinen übrigen spekulativen
Interessen.
Vergleicht man aber mit dieser Gedankenwelt Böhmes
diejenige Luthers, so ist jener jedenfalls ein sehr
aus der Art geschlagener Lutheraner gewesen. Zwar
hebt auch der Verf. immer wieder, wenn auch bei weitem
nicht vollständig genug, die Unterschiede zwischen
j Böhme und Luther hervor, indem er sich insbesondere
[ bemüht zu zeigen, an welchen Punkten die Umbildung
i lutherischer zu andersartigen Annahmen einsetzt. Gleich-
I wohl hat er, wenn ich einmal so sagen darf, Böhme stark
] überluthert. Denn im Grunde sind es doch nicht eben
i viele durchschlagende Gedanken Luthers, die sich bei
| Böhme noch als maßgeblich feststellen lassen. Zum
Teil trifft dies auf die Fassung des Glaubensbegriffs
und auf einiges andere damit zusammenhängende zu.
Dagegen erscheint die Übereinstimmung mit Luthers
Ansicht von Gottes Allwirksamkeit, auf die der Verf.
großes Gewicht legt, durch Böhmes resolute Behauptung
der Willensfreiheit sofort schon gebrochen. Mit anderen
scheinbar gemeinsamen Annahmen, wie mit der Lehre
von der Kirche und der von Christus verhält es sich
ähnlich. Vor allem aber hat der Verf. nicht Luthers
Biblizismus und seinen Grundsatz von der fides ex
auditu genügend in Anschlag gebracht, während er
andererseits doch feststellt, daß Böhme sich für inspiriert
gehalten und Visionen und ekstatische Erlebnisse gehabt
hat. Dieser Unterschied ist jedoch von grundlegender
Bedeutung und läßt von vorn herein die Übereinstimmungen
Böhmes mit Luther als etwas erscheinen, worauf
das Wort zutrifft: Duo cum dicunt idem, non est idem.
Daß nun der Verf. die Verschiedenartigkeit der
beiden Denker weniger stark empfunden hat, erklärt sich
daraus, daß ihm Luthers Gedankenwelt als Ganzes noch
nicht so vertraut ist, wie diejenige Böhmes. Wohl hat
j er auch in Luthers Werken sich fleißig umgesehen. Doch
scheint er deren Studium bisher noch mehr ad hoc getrieben
, als ihm um seiner selbst willen obgelegen, zu
haben. Auch die Literatur über Luther hat er nur in
einer Auswahl benutzt, die ihm durch die vorherrschenden
Interessen seines Lehrers Holl nahe gelegt war.
Diesem folgt er auch in der Auffassung von Luthers
| Rechtfertigungslehre und in der Ablehnung von deren
vermeintlich erst von Melanchthon vertretenen imputativen
Ausprägung. Aber es genügt nicht, sich, wie es der
Verf. S. 238 Anm. 1 tut, über die von ihm zum „Gegensatz
" aufgebauschte Verschiedenheit der manchmal in
einem weitern und ungenauem Sinne bei Luther, in
einem engern und strengern Sinne bei Melanchthon vorliegenden
Bestimmung ihres im Grunde doch gleichartigen
Rechtfertigungsbegriffs aus ihrer beider gemeinsamem
kurzen Schreiben an Brenz ein vorschnelles Urteil
zu bilden und die Stelle der Konkordienformel S. D.
3, 54 in voreingenommener Weise geringschätzig ab-
zutun. Vielmehr bedarf der Verf., bevor auch er in
diesen Fragen gehört zu werden begehrt, zunächst einmal
eines ihm noch fehlenden selbständigen Studiums
der Theologie Melanchthons. Ihm ist auch meine Dogmengeschichte
des Protestantismus, auf deren eingehende
Behandlung aller dieser schwierigen Fragen zu verweisen