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Ausgabe:

1925

Spalte:

398-400

Autor/Hrsg.:

Gundolf, Friedrich

Titel/Untertitel:

Martin Opitz 1925

Rezensent:

Petsch, Robert

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in dieser Beleuchtung gewinnt für das vorliegende Problem
das Zugeständnis Bauers (S. 39) doch erhebliches
Gewicht: ,Da Poullain anfangs Bedenken trug, sich mit
der Augustana einverstanden zu erklären und sie nur annehmen
wollte, wie er sie verstanden, so erschien er dem
Frankfurter Luthertum in Sachen der Lehre schon bald
verdächtig.'

Ob man die Stellung des Rates 152S, 1340 und 1561 ohne
Weiteres in Parallele setzen kann (S. 11), ob man 1542 von einem
„offiziellen Frankfurter Bekenntnisstand" sprechen darf (S. 28), ob
damals von dem Rechte des Gottesdienstes das Bleiben in der Stadt
abhängig war (S. 28), ist doch zweifelhaft. Daß Bauers Urteil
über Poullain (S. 47 ff.) sich durchsetzen wird, glaube ich nicht;
aber endgültig wird sich das wohl erst auf Grund der versprochenen
Biographie entscheiden. Ein Mangel der Darstellung besteht darin,
daß Bauer hinter den Quellen oft mehr sucht, als sie selbst sagen,
z. B. bei der Grabschrift Adolfs von Glauburg (S. 16) oder bei
dem Hinweis auf Conf. Aug. VII., wo doch von der Gleichförmigkeit
der Zeremonien in der ganzen Christenheit, aber nicht in den einzelnen
Kirchengebieten die Rede ist (S. 44). Ganz schlecht kommen bei der
Beurteilung — im Gegensatz zu den meisten andern Personen — die
Frankfurter Lutherischen Prediger weg. Gewiß, sie haben keine besondere
Rolle gespielt und nur wenige bedeutende Männer unter sich
gehabt, aber sie haben doch in Wahrung berechtigter Interessen und
nicht bloß in der Sorge um den Ruf ihrer Orthodoxie (S. 40) gehandelt
. Ich verstehe nicht, wie Bauer bei Erwähnung eines an den
Rat gerichteten Schreibens des Lullius die beißende Bemerkung hinzufügen
kann: ,die Prädikanten haben es ratsam befunden, sein Schreiben
nie aus dem Dunkel ihrer Akten an das Licht der Geschichte
zu bringen' (S. 27), oder weshalb Bauer deshalb Hartmann
Beyer als gegenüber Poullains Angriffen unfähig hinstellt, weil er sich
vor seiner Antwort erst mit auswärtigen Freunden beriet (S. 35). Auch
was Bauer über die Einführung des Lutherischen Katechismus in
Frankfurt bemerkt (S. 39f.), ist nicht unanfechtbar. Höhnisch klingt
die Bemerkung über die theologische Bildung der Prädikanten
S. 37 f., die Unterstellung, daß es sich bei Brenz' Gutachten 1555
um .bestellte Arbeit' gehandelt habe (S. 40), und die nicht erwiesene
Vermutung;, daß der Ursprung einer Verleumdung bei der lutherischen
l'artci zu suchen sei (S. 77). Daß die Prediger nach einer halbjährigen
Vacanz auf Wiederbesetzung einer Pfarrstelle drängen, ist
doch ganz, begreiflich (S. 71), und wenn Joachim Westphal auch
einen sehr engherzigen Standpunkt vertrat, so hat er doch ein gutes
Recht gehabt zu betonen, daß sein Appell an die Obrigkeit nicht etwa
die Tötung der Ketzer gemeint hatte (S. 41). Auch die Anmerkungen
117 und 137 über Steitz' Biographie Beyers und über
Reinius sind abwegig. Ohne solche Schönheitsfehler wäre die inhaltsreiche
Arbeit noch angenehmer zu lesen.

Frankfurt a. M. W. Bornemann.

Veit, Pfarrer, Dr. phil. et theol. Andreas Ludwig: Mainzer Domherren
vom Ende des 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts
in Leben, Haus und Habe. Ein Beitrag zur Geschichte
der Kultur der Geistlichkeit. Mit 23 Kunstdrucktafeln.
Mainz: Kirchheim fv. Co. 1924. (XVIII, 223 S.) gr. 8". Rm. 7—; geb.8 —.

Diese Schrift ist einem apologetischen Interesse
entsprungen. Veit will dem Institut der adeligen Domherren
im heiligen römischen Reich zu einer besseren
Würdigung verhelfen, als es sie bisher gefunden hat.
Wie geht er zu Wege? Im Herbste 1923 fand er im
Würzburger Staatsarchiv in dreißig starken Bänden einen
Teil des angeblich eingestampften Testamentariatarchivs
des Mainzer Domstifts. Ihm, der da lebt in hoher Bewunderung
des Glanzes des alten Mainz und seiner ehemaligen
Herrlichkeit (S. 13. 202), traten auf einmal die
Gestalten der längst entschlafenen Domherren lebendig
vor die Seele und er beschloß auf Grund der Nachlaßakten
ein Bild von ihnen und ihrer Tätigkeit von der
Reformation bis zur Auflösung des Domstifts zu entwerfen
. So verlockend die Aufgabe ist, die hier gestellt
wurde, so schwere Bedenken erheben sich doch gegen
die Prinzipien, die der Verfasser befolgt. Es ist wohl
wahr, was wir auf S. 53 lesen: „Der Domherr, der in
stillen Stunden seine Wünsche und Absichten überdachte
und, ehe er dieselben schriftlich niederlegte, an dem
Werturteil der Ewigkeit abwog, schrieb sicher keine
Unwahrheiten". Aber bis es zu diesem letzten Willensausdruck
kam, lagen da nicht manche Jahrzehnte, die
auch in der geistlichen Entwicklung nicljt unbemerkt
bleiben konnten, umsomehr, als man schon mit 24 Jahren
aus dem Stand der Domizellaren in den des Kapitulars

übertreten konnte (S. 201). Aber abgesehen davon,
j lassen doch diese Testamente und Inventare mehr einen
Schluß auf die äußere Gestaltung und Haltung als auf
das innere Leben zu. Die einzelnen Kapitelsüberschriften
: Standesfragen und Standessorgen im Mainzer
Dornkapitel vom Ende des 16. bis zum Ausgang des
18. Jahrh., der Domherr als Kavalier, der Domherr als
Kleriker, die Wohnung des Domherren, Kunstsammlungen
in Domherrenhöfen sind davon Zeugnis. Auf
ihre Tätigkeit im Dienste der Kirche fällt nicht allzuviel
Licht. Und gerade diese ist es doch gewesen, die den
Anstoß zur Kritik immer wieder gegeben hat.

Bei diesen grundsätzlichen Bedenken bleibe ganz
dahingestellt die Frage, ob nicht die liebende Versenkung
in die alten Akten manche Farben doch in
einem gar zu hellen Lichte erstrahlen ließ. Auch die Domherren
waren Menschen und damit der Fehlsamkeit
unterworfen.

Nach diesen Vorbemerkungen stehe ich nicht an,
zu erklären, daß der Verfasser einen wertvollen Beitrag
zur Kulturgeschichte seines -„goldenen" Mainz geleistet
hat. Bei seiner umfassenden Kenntnis der Literatur hat
er es verstanden, die einzelnen Angaben der Testamente
zu lebensvollen Bildern zu gestalten. Besonders die Aüs-

i führungen über die Wohnungen des Domherren und die
Kunstsammlungen werden weithin Beachtung finden und
zu immer neuem Forschen anregen. Es war gut, daß so
eingehende Angaben über die Kunstsammlungen — der
Domsänger Franz Philipp Freiherr von Frankenstein

: f '774 besaß auch ein Porträt Luthers und der Katha-

; rina von Bora in schwarzem Rahmen von Lucas Gro-
nacher (S. 138) — gemacht wurden; gerade von hier
aus fällt das meiste Licht in das Kunstleben Mainz in
jener Zeit. Aber auch von einem andern Gesichtspunkt

I möchte ich diese Studie warm begrüßt haben. Das
Bild, das der Verfasser von dem Domstift am Rhein
entwirft, wird mehr oder minder an den anderen Bischofssitzen
sich wieder finden. Das Mainzer Domstift wird
typisch gewesen sein für die andern. Bei der geringen
Kenntnis, die wir darüber haben, sind wir dankbar für
jede Förderung nnsers Wissens.

Roth bei Nürnberg. Karl Schornbau m.

Gundolf, Friedrich : Martin Opitz. München : Dnncker & Htttnblot
1923. (52 S.) 8°. Rm. 1.80.

Die deutsche Dichtung entwickelt sich in der Geschichte
in einem eigentümlichen Rhythmus, Ln einem
Pendeln zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite sucht
sie dem Leben seinen innersten Gehalt, seine tiefsten
Fragen, seine letzten Offenbarungen abzufangen und
das'Erlebnis in einer immer feiner abgetönten, persönlichen
Darstellung noch stetig zu vertiefen; die Folge
ist eine immer stärkere Entstofflichung, ja „Entwer-
dung" des Gedichts, das zuletzt dem Boden der poetischen
Anschauung sich zu entwinden droht. Alsbald
setzt die andere Richtung ein, die neben der früheren
hohen Kunst banausisch, neben ihren letzten Aus-
i Wirkungen aber als eine Rückkehr zum lebendigen Leben
I erscheint. Ärmlich genug nehmen sich die Anfänge des
I deutschen Prosaromans aus, die am Ende unsers lvittel-
alters die höfischen Romane ablösen: in scheinbarer
Formlosigkeit (in Wahrheit um neue Formen ringend),
fast ganz der stofflichen Wirkung, dem bunten Abenteuer
, der aufregenden Szene, der „frappierenden" Charakteristik
hingegeben, wirken sie fast wie Afterkunst
neben den innerlichen Werken eines Wolfram und Gottfried
. Aber verglichen mit den Machwerken der höfischen
Epigonen nehmen sich diese noch so bescheidenen
Leistungen aus wie ein frisches Bauernmädel neben
einer verzärtelten Zimmerpflanze aus einem verstaubten
Salon. Dieser Wechsel wiederholt sich ständig in unsrer
I Dichtung. Aber einmal wird er von einer ganz andern
I Einstellung durchbrochen, von einer dichterischen Ziel-
I Setzung, die sonst mehr in den romanischen Ländern ge-
i pflegt wird und dort zuhause ist: im 17. Jahrhundert