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Ausgabe:

1925

Spalte:

343-344

Autor/Hrsg.:

Gemoll, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Apophthegma. Literarhistorische Studien 1925

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Seite 1

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343

344

Gern oll, Geh. Studienrat Dr. Wilhelm: Das Apophthegma.
Literarhistorische Studien. Wien: Hölder-Richter-Tempsky — Leipzig
: G. Freytag 1924. (VIII, 178 S.) gr. 8°. Rm. 5.60; geh. 6.60.
Das Buch behandelt den Begriff des Apophthegma,
seine Verbreitung und Verwendung besonders in der
griechischen und deutschen Literatur; es will zeigen, wie
aus dem Ap. alle möglichen anderen Literaturgattungen
entstanden sind, welche Rolle es in literarischen Kompositionen
verschiedener Art, besonders in Rahmenerzählungen
, spielt; es handelt schließlich von der Entstehung
und dem Wesen des Romans.

Das Gebiet, das die Belesenheit des Verf. umspannt
, ist außerordentlich, und die dargestellten Zusammenhänge
sind lehrreich: Antike, Mittelalter und
Neuzeit, Orient und Okzident, dazu fast alle Gattungen
der Literatur werden befragt und müssen die Unvergäng-
lichkeit und zugleich die Wandlungsfähigkeit des Ap.
illustrieren. Manches Material vermißt man dabei; so
sind die eigentlichen App. des N. T. sowenig berücksichtigt
wie die rabbinische Literatur; das biblische Material
wird auch sonst nur in geringem Umfang verwertet.
Von der altkirchlichen Ap.-Literatur ist nur ganz nebenbei
die Rede (S. 127 f.); Boussets nachgelassenes Werk
Apophthegmata ist dem Verf. offenbar noch nicht bekannt
. Natürlich wird jeder Leser die Lücken auf seinem
Fachgebiet besonders empfinden (z. B. für die Wundergeschichten
, die Visionen u. dgl.). Auch wird mancher
das Variantenmaterial zu einzelnen vom Verf. behandelten
Motiven sehr vermehren können. Schlimmer ist, daß die
zitierte Literatur entweder schon in neueren Auflagen
vorliegt oder durch neuere Forschungen längst überholt
ist. Bei der Fülle des vom Verf. behandelten Stoffes
müßten die Nachträge so umfassend sein, daß ich
darauf vezichte.

Wer die Grenzen so weit steckte, konnte natürlich
keine Vollständigkeit erreichen. Aber es wäre zu wünschen
, daß der Verf. in anderer Beziehung größere Beschränkung
geübt und auf eine Menge von Dingen verzichtet
hätte. So werden Themata wie Aberglaube,
Wundergeschichten, Zauberei doch nur ganz unzulänglich
behandelt, noch dazu untermischt mit höchst unnötigen
skeptischen Reflexionen über die Möglichkeit
von Wundern, Visionen und zweitem Gesicht. Das letzte
Kap. über den Roman hängt mit dem Ganzen überhaupt
nur insofern zusammen, als der Verf. zeigen will,
daß der Roman nicht aus dem Ap. entstanden ist wie
fast alle übrige Literatur der Weltgeschichte. Daß dabei
Rohdes Theorie über die Entstehung des Romans diskutiert
und über die verschiedenen Arten des antiken Romans
gehandelt wird, nimmt man gerne hin; daß aber
schließlich recht schulmeisterlich und mit guten Ratschlägen
für Schriftsteller das Wesen des Romans,
seine Motive, Darstellungsart, Stil u.dgl. behandelt werden
, ist des Guten zuviel. Zu loben ist gewiß, daß die Darstellung
durch reichliche Darbietung interessanter und
amüsanter Beispiele anschaulich gemacht ist, soweit es
sich wirklich um das Ap. handelt. Oft bringt der Verf.
freilich mehr Anekdoten. Und vollends Inhaltsangaben
von E. Th. Hoffmanns „Meister Martin", von Multatulis
„Saidjah und Adinda" oder Jobst Sackmanns
Leichenrede auf den Küster Michael Wichmann, — das
erscheint mir auch als des Guten zuviel.

Jedoch ist das Buch interessant und lehrreich. Seine
Mängel beruhen letztlich darauf, daß der Begriff des
Ap. nicht scharf gefaßt ist. Die S. 6 gegebene Definition
: „das Ap. ist eine kurze, ernste oder witzige, auf
jeden Fall treffende Streitrede. Eine entsprechende Tat
kann sie begleiten oder zum Ausdruck bringen", — ist
weder ganz richtig (was das „ernst oder witzig" betrifft
), noch präzis genug. Denn in ihr kommt die S. 2
ganz richtig gegebene Bestimmung nicht zum Ausdruck,
daß zum Ap. gewöhnlich zwei Personen gehören, eine
die fragt und eine die gereizt erwidert. Dies für das Ap.
konstitutive Moment wird außer acht gelassen, und ebenso
wird das in der Bezeichnung „Streitrede" wenigstens

angedeutete Moment nicht festgehalten, nämlich die Beziehung
auf die Situation (der „Sitz im Leben"), die für
die Gattung des Ap. charakteristisch ist. Deshalb wird
der Unterschied zwischen Ap., Gnome, Sprichwort, Sinngedicht
, Anekdote, Schwank, Märchen u. a. verwischt.
Wohl gibt der Verf. einige richtige Beobachtungen, wie
ein Ap. wachsen kann, wie sich seine Glieder verschieben,
seine Motivierung verfeinert wird u. a. Aber da das
eigentlich dem Ap. zu gründe liegende Motiv nicht klar
erkannt, bzw. festgehalten wird, überrascht es nicht,
wenn schließlich Fabel und Epigramm, Ballade und
Novelle, Diatribe und Geschichtsschreibung aus dem
Ap. entstanden sein sollen. Alle diese Gattungen können
zwar wohl Motive des Ap. übernehmen, aber damit
sind ihre eigenen Strukturen noch nicht erkannt
und ihre Entstehung nicht erklärt, ganz abgesehen davon
, daß der Nachweis ja gar nicht möglich ist, daß
diese Gattungen nicht schon vor dem Ap. existiert
haben. Wie ist z. B. die Diatribe verständlich zu machen,
ohne an den platonischen Dialog zu erinnern? Wie
kann Eckeharts Waltharius auf das Ap. zurückgeführt
werden! Welche eigentümliche Vorstellung von Entstehung
muß man haben, wenn man die Geschichtschreibung
aus dem Ap. „entstanden" sein läßt! Da
die eigentliche Struktur des Ap. nicht erkannt ist, kommt
es auch zu keiner rechten Gliederung der Arten des Ap.;
statt dessen wird eine Übersicht über seine inhaltlichen
Motive gegeben, die fast ebenso für Märchen, Fabeln,
Wundergeschichten, Legenden u. ä. gilt.

Sehr nützlich sind dagegen die Kapp, über die
Ap.-Sammlungen in der Antike und dem Mittelalter.
Es werden unterschieden: Sammlungen, die sich an
eine bekannte Persönlichkeit heften, solche, die eine
Stadt, ein Volk, ein Geschlecht, einen Stand zum Thema
haben. Hierbei ist das Wandern der Motive und die
Übertragung einzelner App. bzw. Anekdoten vom einen
auf den andern interessant zu beobachten. Das Weiterwirken
des Traditionsstoffes wird auch illustriert durch
den Einfluß allgemeiner Ap.-Sammlungen auf die Sammlungen
des Mittelalters wie die Legenda aurea, die Gesta
Romanorum, Boccacios Decamerone u. a.

Gänzlich fragwürdig sind dann wieder die Partien,
in denen über den Zusammenschluß mehrerer (poetischer
oder) prosaischer Schöpfungen zu einer Einheit gehandelt
wird. Mögen die Sammlungen von Wundergeschichten
(Metamorphosen) noch in einem losen Zusammenhang
zum Thema stehen als Analogie zu Ap.-
Sammlungen. Aber was sollen hier Xenophons Memo-
rabilien und die deutsche Memoirenliteratur bis auf Bismarck
, Hindenburg und Ludendorff oder Augustins
Werk de civitate dei (weil hier disparate Stoffe zu
einer Einheit zusammengefaßt seien!) und gar Goethes
Trilogie der Leidenschaft! Das Kap. über die Rahmenerzählungen
enthält dann wieder nützliches Material, ist
aber viel zu dürftig, weil der Verf. neuste Literatur (wie
z. B. Hertels Pantschatantra-Forschungen) nicht kennt.
Im ganzen liegen hier also Studien vor, aus denen allerlei
zu lernen ist, die aber bei dem Mangel an Konzen-
triertheit sich in einzelnen Anregungen erschöpfen.
Äußerlich ist ein großer Mangel das Fehlen eines Registers
.

Marburg. R- Bult mann.

Windisch, Prof. Dr. H., De tegenwerdige stand van het
Christusprobleem. Tweede omgewcrkte en sterk vermeerderde
druk. Assen: van Gorcum & Co. 1925. (75 S.) 8°.

Anknüpfend an Rud. Paulus' Christusproblem der
Gegenwart, formuliert Verf. das Problem seiner Studie
in den zwei Fragen: 1) wie lautet das Urteil der
Wissenschaft über den Anteil Jesu an der Entwicklung
der Christusfigur? und 2) welche Konsequenzen ergeben
sich daraus für Dogmatik und praktische Verkündigung
? Nach einer Übersicht über die gegenwärtigen
Strömungen, vorzüglich in der deutschen und holländischen
neutestamentlichen Wissenschaft entwickelt