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Ausgabe: | 1925 |
Spalte: | 341-342 |
Autor/Hrsg.: | Enelow, H. G. |
Titel/Untertitel: | The Jews and the World 1925 |
Rezensent: | Beer, Georg |
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haben. Sie hatten darum auch keinen Anlaß zu größeren
Umgestaltungen, brachten aber, wo es wünschenswert
erschien, kleine Änderungen, Besserungen und Zusätze
au. Auch ein Register ist jetzt beigegeben. Die
Zahl der — sehr glücklich ausgewählten — Abbildungen
ist von 118 auf 130 erhöht worden. Das Werk
kann in der Tat an seinem Teile dazu beitragen, daß
viele gerade in der quälenden Unruhe unserer Zeit die
stille, große Macht der antiken Kultur an sich erfahren
und erleben.'
München. Hugo Koch.
Enelow, Rabbi H. O., D. D.: Is the Jew a Menace to Western
Civilization ? Sermon Preached Saturday, November 9, 1912.
New York: Templc Emanu-EI. (8 S.) gr. 8°.
— The Synagogue in Modern Life. A series of seimoiis. New
York: Bloch Publishing Co. 1916. (94 S.) kl. 8°.
— The Allied Countries and the Jews. A Series of Addresses. New
York: Temple Emanu-E! 1918. (98 S.) kl. 8°.
— The Adequacy of Judaism. New York: Bloch Publishing Co.
1920. (91 S.) kl. 8°.
— The Jews and the World. Ebd. 1921. (116 S.) 8°.
Die 5 vorliegenden Publikationen Enelows haben
das gemeinsam, daß sie von einer freimütigen, hohen
Begeisterung für die Sache des Judentums, seine Bedeutung
für die antike und moderne Kulturgeschichte
und seine Mission an der Menschheit getragen sind.
Vgl. z. B. Nr. 4 S. 12: „The history of the jewish
people is the most wonderful of all histories. That is
conceded by all. The duration, the heroism, the mar-
tyrdom of the Jew is the marvel of mankind." Es
sind schwtmg- und stimmungsvolle Predigten, Aufsätze
und Ansprachen aus der Zeit vor, während und nach
dem Weltkrieg.
Arn charakteristischsten für die ganze Geistesart
des Verf.s ist Nr. 1: eine in der Form einer Predigt
über Gen. 26, 4 gebotene großzügige Apologie des
Judentums gegen den Vorwurf, daß das Judentum eine
Bedrohung für die westliche Kultur bedeute. Die
Leistungen der Juden liegen nach E. 1) auf intellektuellem
Gebiet: sie haben die Religion entmythisiert und
damit der Aufklärung Bahn geschaffen; 2) auf ethischem
(iebiet: sie haben zuerst und zumeist die innige
Verbindung von Religion und Ethik erkannt; 3) auf
praktischem Gebiet: Von den Juden stammt die Bibel,
der Sabbat (d. i. der heilige Tag im Grau der Woche)
und die Kirche. Wiederholt greifen die Juden in den
Gang der Weltgeschichte ein: 1) Sie haben die untergehende
alte Welt gerettet; 2) die Führer der Reformation
sind von der Bibel ausgegangen; 3) die moderne
Philosophie beginnt mit Spinoza (der freilich aus der
Synagoge exkommuniziert wurde!); 4) der Überwinder
der Aufklärung ist Mendelssohn (!); 5) der Begründer
der'ethischen Kultur war ein Jude (—es scheint hier S. 7
an Fritz Adler gedacht zu sein, der 1875 in New-York
die erste Gesellschaft für ethische Kultur gründete);
6) der eifrigste Gegner einer materialistischen Weltanschauung
ist der Philosoph Henri Bergson. — Merkwürdigerweise
sind unter den jüdischen Zelebritäten
und Schrittmachern moderner Kultur Marx und Lassalle
verschwiegen!
2) Nr. 2 ist eine Sammlung von 9 Predigten von
November 1915 bis Februar 1916 gehalten. Sie betreffen
die Stellung der Synagoge zu „Community",
„Layman", „Woman", „Child", „Social Service", „Re-
creation", „Health", „Citizenship"; zuletzt das Thema:
What can we do for the Synagogue. Ich greife hier
die 8. Predigt heraus: eine Erinnerungsfeier an den Geburtstag
Lincolns am 12. Februar. Aus dem Textwort
Jer. 29, 7 entwickelt E. die Eigenschaften des
guten Staatsbürgers (S. 85): Loyalty-righteousness-
service: diese sind die Kennzeichen des guten Staatsbürgers
. „They were the three foremost characteristics
of Lincoln. Loyalty: he was loyal, even into death.
Righteousness: he was a pattern of devotion to the
right. And Service: His whole life was one of service".
3) Vielleicht am interessantesten für den Politiker
ist Nr. 3. Sie behandelt Geschichte und Lage der
Juden in Frankreich, England, Rußland, Italien, Palästina
und Amerika zuletzt: The war, the Jew and the
future. Kurz und geschickt wird die Geschichte der
Juden in den Ländern der Kriegs-Alliierten hervorgehoben
. S. 32 stimmt E. dem Urteil zu, wonach England
„the Israel of Europe" ist. „There is no modern
country that has been saturated more thoroughly with
the spirit of Israel than England" — das wird gar
mancher Engländer nicht gern Wort haben wollen!
Die ganze Schrift ist das Hohelied der Demokratie, zu
deren Verteidigung Amerika in den Weltkrieg eingetreten
sein soll und unter deren Schutz Israel entsprechend
seiner Mentalität nach E. sich am meisten
wohl fühlt.
4/5) Nr. 4 und 5 betreffen ganz moderne Fragen.
Nr. 4 z. B. die moderne Unzufriedenheit mit dem
Judentum. Müssen die Juden Christen werden? Warum
sollen die Juden Juden bleiben? Nr. 5 z. B.: die
Charaktereigenschaften der Juden. Israels Dienst an
der Welt. Ist Jesus das Licht der Welt? (Eine Weihnachtspredigt
auf Grund von Jes. 48, 17/18). Die universale
Bedeutung Ibn Gebirols (eine besonders gelungene
populäre Darstellung der Verdienste I. Gebirols
als Dichter, Philosoph und Ethiker). Das jüdische
Interesse an Dante. Adolf Jellinek oder das Ideal eines
modernen Rabbiners. Ich berücksichtige hier nur die
j Predigt über Jesus und über die Frage: müssen die
| Juden Christen werden? „As Jews" — sagt E. Nr. 5
I S. 49 — we may well be proud of the homage the
world pays to Jesus". War doch dieser Jesus (nach E.
Nr. 4 S. 24) „a Jew, from birth to death". Und was
seine religiösen und ethischen Lehren anbetrifft, „there
is nothing in them but a confirmation of Jewish idea-
lism, and no one needs turn Christian in order to under-
stand them or to reiterate them". Im Gegenteil es wäre
weit besser, die Christen würden Juden — they might
be more likely then to penetrate the spirit of Jesus's
teaching and to put it into effect in socalled
Christian civilization" (S. 25). Wer, wie E. meint, Jesus
sei einfach mit den Propheten des A. T. in eine Linie
zu stellen, versteht allerdings vom Christentum nicht
allzu viel. Selbst für den Historiker wird Jesus als
Religionsstifer die Propheten überragen!
Damit komme ich zu einem kurzen Gesamturteil
über Enelows Arbeiten.
Ich kann mich herzlich freuen über die literarischen
Darbietungen dieses Vertreters eines modernen jüdischen
Idealismus amerikanischer Färbung. Aber ich wünschte
doch eine gerechtere Verteilung von Licht und Schatten
in der Würdigung des eignen Volkes. Die Geistesfreiheit
der modernen Juden ist ein Kind der umgebenden
christlichen Geisteskultur (zu der das Judentum freilich
auch beigetragen hat) — das sollte auch von einem liberalen
modernen Juden dankbar anerkannt werden. Enelow
kann es nicht unterlassen, miteinzustimmen in das
auf die Dauer auch langweilige Gezeter über die Unterdrückung
der Juden durch die christlichen Wirtsvölker
und in die Verherrlichung des eignen Volkes als unschuldig
leidenden Lammes. Gewiß sind die Juden
vielfach von ihrer nichtjüdischen Umgebung brutal behandelt
worden — aber war es immer unverdient? Nach
E. scheint es so. Was sagt E. z. B. zu den Schädlingen, die
während und nach dem Krieg aus dem Ostjudentum,
dem durch westliche Kultur noch nicht veredelten Bekenner
eines kräftigen Talmudglaubens, hervorgegangen
sind und die westliche, namentlich auch unsere deutsche
Kultur verseucht haben? Wie wird's mit der Religionsfreiheit
und der allgemeinen Rassenduldung in dem
palästinischen Zionistenstaat aussehen? Werden dort
auch Nichtjuden Minister und Staatsleiter werden
können? Vorab bezweifle ich es.
Heidelberg. Q. Beer.