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Ausgabe:

1925 Nr. 14

Spalte:

327-329

Autor/Hrsg.:

Smith, Preserved

Titel/Untertitel:

Erasmus. A Study of His Life, Ideals and Place in History 1925

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 14.

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wenn der 28. September auf einen Sonntag fiel. Dieses
Fest der Engelweihe feierte man auch in Einsiedeln und
Andechs. Man nahm an, der Dom sei unter Mitwirkung
von Engeln geweiht worden. Schröder untersucht dann
die Entstehung und den Ort der zahlreichen Altäre des
Domes. In der Beilage gibt Schröder das Verzeichnis
der Ablässe der Domkirche um 1432, die viel Volk
nach Augsburg zur Domweihe zog.

Eine überaus gründliche Arbeit ist die Abhandlung
„Die deutsche Besiedlung des östlichen bayerischen
Mittelschwabens in ihren geschichtlichen Zügen" von
Rich.Dertsch, der genau die Einwanderung und Landnahme
der Alamannen unterscheidet von der Besiedlung
durch die Franken. Es ist schade, daß der Verfasser
nicht den Urpfarreien einen eigenen Abschnitt gewidmet
hat, wodurch die Christianisierung der Gegend von den
ersten Stationen der Missionare aus und die etwaige Beteiligung
des Bischofs und dann die Verzweigung und
Ausbreitung der kirchlichen Verbände recht klar gestellt
worden wäre.

Stuttgart. • O. Bossert.

Smith, Prof. Preserved, Ph. D., Litt D.: Erasmus. A. Study of
His Life, Ideals and Place in History. lllustrated. New York:
Harper & Brothers 1923. (XVI, 479 S.) 8°. $ 4—.

Wie alle Schriften des Historikers an der Cornell
Universität Preserved Smith, so zeichnet auch sein neuestes
Werk über Erasmus eine außergewöhnliche Belesenheit
aus, und der Amerikaner ist dabei in der beneidenswerten
Lage, auch die entlegenste Literatur sich
leicht verschaffen zu können. Soweit ich sehe, ist
Smith nichts von Bedeutung entgangen; in der sehr
dankenswerten Bibliographie am Schlüsse des Buches,
die aber nicht alle für den Text benutzten und hier auch
genannten Aufsätze bezeichnet, habe ich nur die Übersetzung
der Colloquien von Hans Trog (Jena, Diede-
richs) vermißt; da der Verfasser die Originale benutzt,
schadet diese kleine Lücke weiter nichts.

Wenn eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende
Erasmus-Biographie lange Zeit hindurch unmöglich
war, so lag das an der über seiner Korrespondenz
schwebenden Verworrenheit. Die ist nun dank Allens
mustergültiger Ausgabe zum guten Teil behoben; auf
ihr baut sich auch das Lebensbild von Smith auf, das im
Allgemeinen chronologisch angeordnet ist. Hin und wieder
schieben sich Kapitel ein, die mehr unter systematischem
Blickpunkt stehen, ohne doch den Lebenslauf
zu durchbrechen. Z. B. ist der Herausgabe des
Neuen Testamentes mit den anschließenden Streitigkeiten
eine Sonderbetrachtung gewidmet, oder die so bedeutsame
Wirksamkeit des Erasmus in den Jahren 1517
bis 1521 steht unter dem Gesichtspunkt: The Reformation
, the first Phase; dann wieder wird die Stellung
des Erasmus zur schweizerischen Reformation einheitlich
betrachtet, und selbstverständlich fehlt nicht das Kapitel:
the Genius of Erasmus and his place in history. Aber,
wie gesagt, wer über irgend eine Zeitspanne im Leben
des großen Gelehrten sich unterrichten will, findet
rasch das Wissenswerte. Bei einem Manne, der auch als
Stilkünstler und Journalist (so nannte ihn m. W. Hermelink
) genommen sein will, ist die reichliche Mitteilung
von Quellenstücken (Briefe, aus dem Enchiridion, den
Colloquia u. a.) selbstverständlich. Die Eigenart von
Smith, auf gewisse kulturelle Momente zu achten, die
anderweitig wenig beachtet werden, tritt auch in diesem
Werke wieder zutage; man findet in den Anmerkungen
manche wertvolle Notiz derart. Ich nenne etwa:

S. 44 Anin. 3. die Cornell University besitzt eine unbekannte
englische Übersetzung der Sileni Alcibiades, gedruckt in London durch
John Qough, zusammengebunden mit einer englischen Übersetzung
von Luthers „Worke made agaynst the false canonisacyon of Benno
the bysshoppe 1534" — S. 151 Anm. 2 über Dürers Porträt von
Thomas Morus — S. 182 Anm. 2 die Cornell University besitzt eine
Abschrift der ersten Ausgabe des Neuen Testamentes von 1516, bestimmt
für den aus dem Zvvinglibriefwechsel bekannten J. Salandro-
nius (Salzmann) in Chur — S. 237 Anm. 4 u. ö. wird hingewiesen

auf das Buch von Schlottmann: Erasmus redivivus 2 Bde. 1883, 89
mit der Bemerkung: an able work anticipating many of Kalkoff's
positions (ob das richtig ist, kann ich nicht nachprüfen). — S. 289
Anm. 2 dazu den Nachtrag S.467 den Nachweis, daß Erasmus für die
Colloquien die Hrotsvita von Gandersheim benutzte, oder daß hinter
dem Glaukoplutus der Colloquieen sich Huldrych (Zwingli) verbirgt
(S. 294). — S. 335 Anm. 6 die Cornell University besitzt die Erstausgabe
der Spongia mit dem Autograph: Mathias Heros, philo-
sophiae professor 1523 (= der spätere Kanzler Held) — S. 398
Anm. 2 wird hingewiesen auf eine römische Ausgabe 1526 der par-
aenetica Alberti Pii ad Erasmi expostulationem. — S. 406 Anm. 1
hören wir, daß über Gilbert Cousin, den Sekretär des Erasmus eine
Dissertation von E. V. Moffett mit unbekannten Briefen Cousins des
Druckes harrt. — S. 421 Anm. 1. die wertvollen Nachrichten über
das Verbot der Celloquia in verschiedenen Ländern, vgl. S. 425
Anm. 1. — Auch der Notiz ließe sich vielleicht nachgehen (S. 428
Anm. 2), daß Kardinal Bembo Gemälde von Luther und Erasmus im
Schlosse der Isabella d'Este in Mantua sah. — Im Anhang sind unbekannte
Briefe des Jean de Pins, Bischof von Rieux, an Erasmus aus.
der Stadthibliothek zu Nimes mitgeteilt.

Inden Formulierungen ist Smith oft glücklich und zum
Nachdenken anregend. Etwa S. 23: Erasmus never got
over his contempt for Scotist subtleties. Oder die hübsche
Durchführung des Vergleiches mit Sokrates. Auch
das dürfte richtig sein: His work centers around a few
ideas (S. 35), like the leitmotif of a symphony. S. 49
der Nachweis, daß der große Gelehrte vom Hebräischen
nicht allzu viel verstand, S. 92 ff. ein guter Vergleich
zwischen Morus und Erasmus, S. 117 das Encomion
Morias „a joke with an ethical purpose", S. 196 die
Kennzeichnung der Institutio prineipis Christiani als
Glied des auf Aristoteles, Plato und Thomas ruhenden
Typs: making politics a branch of ethics, im Gegensatz zu
Machiavell, S. 332 Hutten als „the brilliant but unstable
Alcibiades hitherto sitting at the feet of the Dutch
Socrates in an attitude of worshipful respect. The cha-
racter and fate of this wandering knight make the sub-
ject of a Shakespearean tragedy". Natürlich findet man
sich auch zum Widerspruch gereizt, oder wenigstens
zu starken Fragezeichen. Z. B. vermisse ich den Beweis
für die schwerwiegende Behauptung S. 58: Luther knew
it (das Enchiridion des Erasmus) through and through.
Denn Luthers Äußerungen über die Heiligenverehrung,
die von dort herstammen sollen, auf die verwiesen wird,
erklären sich auch anders. Und daß Luthers „Freiheit
eines Christenmenschen" has a striking resemblance to
the Enchiridion, ist mir einfach unfaßlich. — S. 152 hätte
unter den Ausgaben des Encomion Morias auch die von
Benedetto Croce zitiert werden können. — S. 374
Zwingli suchte Erasmus nicht nur nach Zürich einzuladen
, sondern ihm das Zürcher Bürgerrecht zu verschaffen
, wie W. Kaegi jüngst in der Histor. Vierteljahrsschrift
1925 zeigte. Zur „göttlichen Mühle" (ebenda
), die mit Utz Eckstein nichts zu tun hat, vgl.
Zwingliana II 363 ff. (Martin Seger ist der Verfasser).

Am wenigsten befreunden kann ich mich mit Smiths
Synthese. Sie tritt überhaupt schon neben der Detailfülle
zurück. Und so gewiß man Erasmus „in bis re-
presentative fonetion" erfassen muß (S. 320), die Art der
Repräsentation dürfte nicht richtig bestimmt sein.
„J discovered in Erasmus the champion, in his own
day, of that ,undogmatic Christianity', now first Coming
to its own four hundred years after he proclaimed it",
heißt es im Vorwort, und das Kapitel „The Genius of
Erasmus and his place in History" führt das weiter aus.
Er erscheint als Versöhner der Ansprüche von piety and
reason, also durchaus unter aufklärerischem Blickpunkt.
Dabei kommt aber zweifellos die piety zu kurz, und
daß Erasmus einer der geistigen Väter des Täufertums
ist, tritt nicht heraus. Smith hat einen sehr lehrreichen
Überblick über die verschiedenartige Beurteilung des
Erasmus im Laufe der Zeiten gegeben; ist es Zufall,
daß der „moderate Voltaire" erst bei S. Beuve auftaucht,
aber nicht bei den französischen Aufklärern selbst, die,
wie Bayle beweist, den Geistesverwandten hier überhaupt
nicht spürten? Daß Erasmus eine aufklärerische
Seite hat, wird man nicht bestreiten wollen, aber sie ist