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Ausgabe:

1925

Spalte:

301-302

Autor/Hrsg.:

Kalkoff, Paul

Titel/Untertitel:

Huttens Vagantenzeit und Untergang. Der geschichtliche Ulrich von Hutten und seine Umwelt 1925

Rezensent:

Clemen, Otto

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301

302

gäbe von Bertholds Predigten angereiht. Herausgeber ist Otto H.
Brandt, der auch schon die Limburger Chronik im gleichen Verlag
ediert hat. Er hat die Ausgabe der deutschen Predigten Bertholds

stolicum und der Wurzel Angelica" von Lazarus Spengler
verfaßt sei, ist eine Hypothese Kalkoff's, die er
noch wird beweisen müssen (S. 410), daß der

von Franz Pfeiffer und Joseph Strobl (2 Bände Wien 1862 und < uijus Dialogus von Oirolamo Rorario herstamme, ein

1880) zu Grunde gelegt, da ja die lateinischen Predigten noch nicht
herausgegeben sind. Er hat in seiner Übertragung „den sprachlichen
Rhythmus Bertholds festzuhalten" gesucht. Ich habe Vergleiche angestellt
mit der Ausgabe von Franz Göbcl (1. Aufl. 1849), die von
der 2. ab (1857) — die 3. und die zuletzt erschienene 4. (1904)
stimmen mit ihr wesentlich iiberein — außer den 36 Predigten der
Heidelberger Hs. von 1370 5 aus der Heidelberger Hs. von 1439 und
Parallelen bringt, und muß sagen, daß diese lesbarer ist, jene mehr
den Reiz des Altertümlichen und Originalen hat. In der Einleitung
unterrichtet Brandt über Zeit und Leben Bertholds und Inhalt und
Form seiner Predigten.

Zwickau i. S. O. Giemen.

Kalkoff, Paul: Huttens Vagantenzeit und Untergang.

Der geschichtliche Ulrich von Hutten und seine Umwelt. Weimar:
H. Böhlaus Nachf. 1925. (XII, 423 S.) gr. 8°. Rm. 12-.

Seinem i. J. 1920 erschienenen Werke „Ulrich von
Hutten und die Reformation" läßt Kalkoff den vorliegenden
fast ebenso stattlichen Band folgen. Zugleich
kündigt er ein neues Buch an, das unmittelbar danach
im gleichen Verlage herauskommen werde: „Die Kaiserwahl
Friedrichs IV. und Karls V.". Man kann den Fleiß
und die Energie des körperlich behinderten greisen Gelehrten
nicht genug bewundern.

Es ist unnötig zu bemerken, daß auch dieses
Buch die vollkommene Beherrschung des Quellenmaterials
und der Literatur und die eingehendsten Kenntnisse
der politischen, kirchlichen, wirtschaftlichen, sozialen
und persönlichen Verhältnisse zeigt.

Man mag es bedauern, daß der Stoff durch Vorwegnahme
des Themas,, Hutten und die Reformation"
und durch die neuerliche Abzweigung „Die Kaiserwahl
...." geteilt und die ursprüngliche Konzeption
„Der geschichtliche Hutten und seine Umwelt" zerstört
worden ist. Einen Vorteil hat das Nacheinander
der beiden Huttenbücher gehabt: Der Verfasser konnte
sich gegen die Kritik wehren, die sein erstes Huttenbuch
erweckt hat, und die dem Angriff ausgesetzten Laxismus" zu'"geräten, "muß ich doc^sageV:"^

Mißverständnis des S. 222 A. 2 genannten italienischen
Gelehrten, aber „Feststellungen" sind es samt und sonders
nicht. Ein anderes Beispiel dafür, daß Kalkoff
nur mit seinen Augen sehen kann: S. 24 nennt er es
eine Unwahrhaftigkcit und Verleumdung Huttens, daß
er Kajetan (der zu Kalkoff's Schützlingen gehört) an
den Pranger stellt. Aber Hutten schildert ihn im „Fieber
" doch nur als den Typus eines üppigen und
hoffärtigen welschen Prälaten. Umgekehrt macht es
Kalkoff S. 99 Hutten zum Vorwurf, daß er durch sein
stark ausgeprägtes Standesbewußtsein sich habe bestimmen
lassen, über Zustände unter den adligen Fuldaer
Kapitelherrn zu schweigen, „die den vermeintlichen
Vorkämpfer für Wahrheit und Recht geradezu zu
Reden und Anklagen verpflichteten". M. M. n. ist auch
nicht erwiesen, daß Hutten in der Fuldaer Bibliothek
sich einen Bücherdiebstahl habe zu schulden kommen
lassen und ihn überdies durch Verdächtigung anderer
vertuscht habe. Daß sich drei Fuldaer Handschriften in
seinem Nachlaß vorfanden, kann doch auch darin begründet
sein, daß er die Rückgabe vergessen oder verschoben
hat, bis es zu spät war. Reuchlin hat aus der
Basler Dominikanerbibliothek vor 1519 einen Athanasiuskodex
entliehen, der erst im Todesjahre Reuchlins
dahin zurückkehrte (K. Christ, Die Bibliothek Reuchlins
in Pforzheim 1924, S. 27). Die Zwickauer Ratsschulbibliothek
besitzt eine aus dem Kloster Lehnin
stammende Sachsenspiegelhandschrift, die 1533, wie der
im Berliner Geh. Staatsarchiv noch vorhandene Leihschein
beweist, von dem Kanzler Albrechts von Mainz,
Kaspar von Barth, auf zwei Monate entliehen ward
(Zentralbl. f. Bibliothekswesen 38, 62. 277 >). Endlich
erscheint es mir ungerecht, Hutten wegen seiner Krankheit
nicht nur als (besonders liederlich (S. 112 spricht
Kalkoff von einem gewohnheitsmäßigen Verkehr Huttens
mit Dirnen) hinzustellen, sondern überhaupt zu deklassieren
. Auf die Gefahr hin, in den Verdacht des

und schwächeren Stellen seiner Position verstärken. j kämen wir, wenn wir diesen Maßstab an alle mit einer

Er täuscht sich, wenn er von einer „in allen wesent- j Geschlechtskrankheit Infizierten anlegen wollten! Bei
liehen Punkten zustimmenden Aufnahme" seines ersten wie wenigen wird die Krankheit publik! Und er-
Huttenbuches redet. Die Rezensionen, die nur oder schöpft sich denn und gipfelt die Sittlichkeit in der
hauptsächlich Referate sind, bedeuten wenig gegenüber Keuschheit?

denjenigen, deren Verfasser selbständige Kritik üben. J Der Titel des Buches ist irreführend. Unter Huttens

Vagantenzeit kann man nur verstehen die zwölf Jahre
von seiner Immatrikulation in Köln im Herbst 1505 bis
zu seinem Eintritt in mainzische Dienste Ende 1517.

Ich muß gestehen, daß ich, je mehr ich mich mit dem
Buche beschäftigte, desto bedenklicher gegen die darin
vorgetragene Beurteilung Huttens (noch bedenklicher

freilich gegen die Verherrlichung des Drückebergers j Davon ist aber eigentlich nur in Kap. III die Rede

Erasmus auf Kosten des Hutten) wurde, daß aber das
neue Huttenbuch mich wieder mehr auf Kalkoff's Seite
gezogen hat. So wird es vielen gehen.

Zwar scheint mir Kalkoff's Methode nach wie
vor nicht einwandfrei. Er sieht unwillkürlich nur, was
in sein System paßt, und sieht es gleich so, daß es
paßt. Ergebnisse anderer Forscher eignet er sich ohne
weiteres an, wenn sie Wasser auf seine Mühle sind; so
u nimmt er ungeprüft die m. M. n. ganz hinfälligen
Resultate, zu denen P. Merker in seinem Buche „Der
Yao«fr des Eccius dedolatus..." (ThLz 1923, Sp.
t7 au gelanSt war, daß nämlich Nikolaus Gerbel in
f A4 u r^ menrere Satiren gegen Murner, Eck usw. verfaßt
habe, und operiert damit. Bei Zuweisungen anonymer
und pseudonymer Flugschriften an bestimmte
Verfasser ist Kalkoff m. M. n. überhaupt zu schnell und
zu zuversichtlich. Daß Butzer der Verfasser des „Neu-
Karsthans" sei, ist eine wohlbegründete Hypothese
Alfred Götze's, daß Sebastian von Rotenhan der Ver-
asser des „Dialogus" des Franziskus von Sickingen
>,vor des Himmels Pforten" mit dem Ritter St. Georg
52ri« eine ansprechende Hypothese Kalkoff's (S.
J4()f.), daß das „Gespräch zwischen der Salbe Apo-

Und von seinem Untergang handelt nur das letzte, das
X. Kap. In Wirklichkeit ist der Band eine sehr wertvolle
und sehr eindrucksvolle Ergänzung zu dem ersten
Huttenbuche mit Einbeziehung Sickingens (Ulmann
stehe wie Strauß „durchweg unter dem Einfluß der romantischen
Legende" S. 62). Der Schwerpunkt des
Buches liegt in der höchst lebensvollen Schilderung der
Umwelt Huttens in Fulda und Mainz und im VIII. und
IX. Kap.: „Die reichspolitische Haltung Huttens und
Sickingens" und: „Huttens und Sickingens Verhalten
gegenüber Luther und seinem Werke". Im Großen und
Ganzen scheint mir Kalkoff jetzt sein Ziel erreicht zu
haben: die beiden „ritterlichen Dioskuren" können nicht
mehr als religiöse und nationale Helden gelten. Freilich
hängt die Beurteilung der beiden letztlich von der Beantwortung
der Frage ab: Was ist wesentlich die Reformation
ihrer Genesis und ihren nächsten klar erkennbaren
Auswirkungen nach? Eine Los-von-Rombewegung
oder eine Neuerfassung des Christentums durch den
„schöpferischen Genius" Luther?
Zwickau i. S. O.C lernen.