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Ausgabe:

1925 Nr. 1

Spalte:

250-251

Autor/Hrsg.:

Reeg, Ludwig

Titel/Untertitel:

Das Gedicht Gottes. Von Jesu Schau und Glaube 1925

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 11.

handeltes und doch sehr wichtiges Thema, das uns über
Theologie und Kultus, über die Gottesvorstellungen,
die Begriffe und was man sonst noch zur Religion zu
rechnen pflegt, hinaus in das Gebiet der Frömmigkeit
führt. Eine derartige religionspsychologische Studie
fordert in besonders hohem Maße Feingefühl und Verständnis
für die individuellen Äußerungen religiösen
Lebens, um die jedesmal bestimmenden Triebkräfte richtig
aufzuspüren und zu bewerten. Es erweckt von vornherein
Vertrauen, daß die Untersuchung nicht von der
allgemeinen Religionsgeschichte ausgeht und ihre Beispiele
von überall hernimmt, weil dadurch die Gefahr
vergrößert wird, fremde Motive einzutragen, die nicht
durch die vorhandene Überlieferung, sondern nur durch
herrschende Modetheorien gerechtfertigt werden. Die
Heranziehung der naheverwandten babylonisch-assyrischen
Religion dagegen ist wertvoll, uns vor Fehlschlüssen
und einseitigen Urteilen zu bewahren und zugleich
die Eigenart der israelitischen Religion schärfer
erkennen zu lehren. Und diese Erwartungen werden
nicht enttäuscht.

Der Stoff ist in drei Hauptabschnitte gegliedert: Die Volksreligion
als Grundlage der individuellen Religion; die Sicherung der
eigenen Persönlichkeit und endlich, des Menschen Hingabe an Gott.

nicht immer zustimmen können. Als die Hauptcharak-
teristika der babylonischen Religion im Unterschied von
der israelitischen werden mit Recht Orakelwesen, Beschwörungspraxis
und Dämonenglaube bezeichnet. Aber
sie werden merkwürdiger Weise als „Durchlöcherung
des Abhängigkeitsgefühls" erklärt (S. 121). Das soll
heißen: „Wer die geheime Sprache der Gottheit versteht
, der weiß, was sie im Schilde führt; er kann also
bei Zeiten seine Gegenmaßregeln treffen und so etwaiges
Unheil von sich fernhalten. Ungesucht werden
ihm die Vorzeichen auf Schritt und Tritt entgegentreten,
und will er ganz sicher gehen, so kann er künstlich ein
Vorzeichen herbeiführen: die Leberschau, die Becherwahrsagung
, das Werfen der heiligen Lose ... So
bietet das Orakel den sicheren Weg, den Willen der
Gottheit zu erkunden, und so die Abhängigkeit von der
Gottheit wesentlich zu lockern" (S. 6 f.). Dasselbe gilt
entsprechend für die Beschwörungspraxis und den Dämonenglauben
. Aber das Orakel, das dem Gefühl der
eigenen Ohnmacht entspringt, bedeutet doch viel eher
völlige Abhängigkeit von der Gottheit; man erwartet
die Befehle von oben her. Der Gegensatz ist das Vertrauen
auf eigene Klugheit, das Tun auf eigene Faust,
das rationale Handeln auf Grund menschlicher Er-

Dic Motive der Volksreligion sind: das Gefühl der Abhängigkeit von j wägungen. Dazu paßt, daß die Israeliten keine Angst

der Gottheit, das Vertrauen zur Gottheit, die Angst vor den Dä- | VOr den Dämonen hatten und infolgedessen auch keine

monen und die Treue gegen die Gottheit. .Diese Überschriften sind ; Beschwörungspraxis brauchten, ein Zeichen ihrer körpei-

nicht sehr bezeichnend und entsprechen den Ausführungen nicht ganz. | ,jchen d geistigen Gesundheit, ihrer „Ratio". Gerade

So könnte es scheinen, als seien die historischen Motive ubersehen, j .j „ isr| t:ti^che Reli„ion ' rationpl] war konnte

die der Geschichte Israels entspringenden Motive, die gerade in seiner , "e" ?lc isrdeiltiscne KetlglOn SO rationell var, Konnte

Volksreligion fest verankert sind und die ihr ein ganz eigentümliches ! sie eine größere Bedeutung für die Entwicklung der

Gepräge geben im Unterschied von der babylonischen; aber sie werden 1 Menschheitsgeschichte erlangen; in Babylonien führte

S. 24t gebührend betont. Dagegen vermißt man wirklich die poli- | die religiöse Logik zur Pseudo-Wissenschaft der Leber-

tisch-religicsen Hoffnungen, um sie später au falscher Stelle — unter
den individuellen Motiven — als „Hoffnung auf das messianische
Reich" S. 97 ff. zu treffen. Auch die Auseinanderreißung von
Orakel und Beschwörung und von Dämonenangst, die eng mit einander
zusammenhängen, ist nicht glücklich. Im zweiten Haupt

und Gestirnschau, die erst durch die Naturwissenschaft
des modernen Rationalismus überwunden wurde. Als
den tiefsten Grund für den Gegensatz der beiden Religionen
betrachtet S. nicht die Verschiedenheit des

amivr zusaniuieniiangen, ist nicm giucKiicn. im zweiten naupi- Gottpshporiffes «sondern die des rinttecerlehnicceQ FVc

abschnitt sind die egoistischen Motive vorangestellt, die sich aus uottesbegrines, sondern die des Gotteserlebnisses. „Uei

der bestellenden Notlage, aus der Sorge um die Zukunft und aus dem
Gedanken an den Tod ergeben. Den „Übergang zu den eigentlich reli-

at. Prophet erlebte die Abhängigkeit seiner Person von
der Gottheit mit solcher Urgewalt, daß für ihn die

giösen Motiven" — eine mir nicht verständliche' Formulierung — Möglichkeit gar nicht mehr bestand, diese anders als

bilden der Dank, die Fürbitte, die Sünde, die Hoffnung auf das
messianische Reich und das religiöse Wcrtgefühl. Der Schlußabschnitt
stellt die Hingabe des Menschen an die Gottheit dar: zunächst
die Anbetung und die mystische Seihstauf gäbe und sodann,
das Wirken für die Gottheit in ihrem aktiven Dienst.

Im einzelnen wird man bisweilen verschiedener
Meinung sein, im allgemeinen aber sind die beiden Religionen
, ihre Übereinstimmungen und ihre Verschiedenheiten
richtig erfaßt. Kleine Schönheitsfehler sind die
jetzt überholten Lesungen wie „Ninib" oder „Eabani".
Bedenklicher ist es, wenn S. 41 f. den babylonischen
Betern die gotteslästerlichen Worte abgesprochen werden
, die uns bisweilen aus dem Hiob und den sogenannten
Hiobpsalmen entgegenklingen; das Beispiel des
sogenannten babylonischen Koheleth genügt als Gegenbeweis
. Wird hier ein Unterschied zwischen den beiden
Religionen behauptet, der nicht vorhanden ist, so wird
anderswo ein wirklich bestehender Unterschied verwischt
, wenn z. B. die Wertschätzung des Kindersegens
und die Einrichtung der Schwagerehe in Israel als
Spuren eines ursprünglich allgemeiner verbreiteten
Totenkultes betrachtet werden (S. 68). Man kann sich
für diese Auffassung gewiß auf Schwally, Bertholet,
Jirku, ja sogar auf die meisten alttestamentlichen Forscher
berufen, aber damit wird eine ungenügend begründete
Hypothese noch nicht begründet. Hier ist S. einmal
, glücklicher Weise nur vorübergehend, seinem eigenen
Grundsatz untreu geworden, nicht aus modernen
Theorien, sondern aus den vorliegenden Texten die wirklichen
Triebfedern der israelitischen Religion zu erkennen
. Da er selbst zugibt, daß nur Spuren vorhanden
sind, so konnte er die getrost vernachlässigen; jedenfalls
weiß die Überlieferung nichts mehr vom Totenkultus,
wohl aber —und das ist das Entscheidende — von der
Erhaltung des Namens und des Erbes.

Auch in der Beurteilung der Tatsachen wird man

schiechthinig sich zu denken. Der Bab. erlebte Gott
nie als den schlechthin Überlegenen, . . . sondern betrachtete
die Gottheit in letzter Linie doch immer als seine
Dienerin." Wenn das richtig wäre, hätten die Babylonier
überhaupt keine Relig ion gehabt, aber wie will man beweisen
, daß sie „nie" die Absolutheit (dies Wort scheint
mir immer noch schöner und verständlicher als
„Schlechthinigkeit") Gottes erlebt hätten? Entscheidend
scheint mir nicht das Erlebnis, sondern der Gedanke:
Weil die Propheten große Denker waren, freilich nicht
philosophische, sondern religiöse Denker, weil sie ihren
Gott als einen sittlichen dachten und erlebten, darum
steht ihre Religion höher als die babylonische. — Aber
mein Widerspruch soll den Ausdruck des Dankes nicht
abschwächen, den die Wissenschaft dem Verf. dafür
schuldet, daß er in neuer und fruchtbarer Fragestellung
einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der Frömmigkeit
geliefert hat.

Berlin-Schlachtensee. Hugo Greßmann.

Reeg, Ludwig: Das Gedicht Gottes. Von Jesu Schau und Glaube.
München: C. H. Beck. (IV, 116 S.) kl. 8°. geb. Rm. 2.50.

„Der Dichter hebt die Dinge aus dem Kreis der
Zwecke in das Reich des Sinnes. Da öffnet sich das
ganze Leben, und die Welt wird durchsichtig wie ein
Kristall. Weit über alle Worte, weit über alle faßbare
Erscheinung hinaus tut sich die tiefe Wirklichkeit des
letzten Sinnes auf in Gottes Weltgedicht . ." „ . . Denn
auch in diesen Evangelienschriften ist das Gedicht
Gottes verborgen. Jesus und die Erzählung von ihm ist
tiefe Wirklichkeit der Gottesdichtung und Offenbarung
in ihrem letzten Sein. Diese letzte Lebenswirklichkeit
Gottes bewegt sich auf einer anderen Ebene als Moral
und Geschichte." Unter diesem Gesichtspunkt werden
Geschichten und Gleichnisse aus den synoptischen Evan-