Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1925

Spalte:

247-248

Autor/Hrsg.:

Hänel, Johannes

Titel/Untertitel:

Alttestamentliche Sittlichkeit dargestellt gegen ihre antisemitischen Verächter 1925

Rezensent:

Meinhold, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 11

248

nung von der Inspiration und Offenbarung. C. Vorurteile gegen das
Alte Testament. § 6. Jaho und Jahwe. § 7. Israels Eindringen in
Kanaan. § 8. Die Gottesoffenbarung vom Sinai. § 9. Die Propheten.
§ 10. Die Psalmen. Schluß.

In dem Bedauern, daß unser gemeinsamer Lehrer
Friedrich Delitzsch, der unerreichte Meister und Führer
nicht bloß Deutschlands, sondern der Welt auf dem Gebiet
der Assyriologie, an dieser seiner Stellung und seinem
Ruhm nicht genug hatte, sondern in einer — es ist
nicht zu viel gesagt — sensationslüsternen Art sich auf das
Gebiet der Bibelkritik begab, um dort als Reformator
aufzutreten und dabei seine völlige Ohnmacht zu offenbaren
, bin ich nebst vielen mit dem Verfasser einig, wobei
nicht verschwiegen werden soll, daß Delitzschs Arbeit
: „Die Lese- und Schreibfehler im A. T. 1920" eine
verdienstliche Leistung darstellt. Aber mit dieser auf dem
Gebiet der Textkritik sich bewegenden Forschung war er
eben nicht zufrieden. — Doch mit der „Widerlegung"
Delitzsch durch Theis wird man, von einer Reihe Einzelheiten
abgesehen, im Ganzen nicht einverstanden sein
können. Wie Delitzsch ankämpft gegen das Schreckbild
der Inspirationstheorie, so unser Verfasser gegen eine,
über die Textkritik hinausgehende eingreifende Literar-
und Sachkritik. So ist ihm der Hauptsache nach der
Pentateuch doch mosaisch, sind ihm die Überschriften
der Psalmen auf uralter Tradition beruhend und darum
meist zuverlässig, ist ihm der Aufriß, den das Judentum
von seiner Vergangenheit vorlegt, doch im Ganzen zutreffend
— daß hier die Quellen oft nicht miteinander
unter einen Hut zu bringen sind, stört ihn nicht, denn
er lehnt zwar solche Quellenscheidung nicht einfach ab
(S. 24), zieht aber nicht ihre Konsequenzen und wiederholt
den von früheren Gegnern Wellhausens in der protestantischen
Theologie so oft erhobenen Vorwurf des
geistigen Darwinismus, ohne damit mehr Glück zu
haben wie jene — als ob Entwicklung und Offenbarung
sich ausschließende Gegensätze wären. Dabei geht es
denn nicht ohne wunderliche „Ausflüchte" ab. Nach
Ex. 3 (E) und Ex. 6 (PC) ist der Name Jahwe vor
Mose nicht bekannt gewesen. Wird dieser Name schon
in der Genesis gebraucht, so ist das „proleptisch", wie
man wohl sagt: Friedrich der Große bestieg 1740 den
Thron, obwohl er damals den Namen „der Große" noch
nicht hatte (S. 55)! Enosch war der erste „der Jahwe
mit Namen anrief" (Gen. 4, 26); Abrain „rief Jahwe
mit Namen herbei" (nämlich zum Opfer, nach dem
Bau eines Altars (Gen. 12,8), hören wir! Kann das
„proleptisch" sein?! Ist die Tatsache, daß der Gott
Israels einen Eigennamen, nämlich Jahwe hatte,
dessen Erklärung S. 49 ff. ebenso wenig befriedigt wie
Delitschs haltlose Behauptungen über Jahwe, nicht Beweis
genug, daß auch in Israel ursprünglich monotheistische
Anschauung nicht herrschte? Wozu der Eigenname
, wenn nicht um eine Person von anderen gleichen
Wesens zu unterscheiden? Es ist doch nicht zufällig,
daß der Name im N.T. fehlt! — Kurzum: es mag ja
sein, daß der Verfasser nicht blos in seinen Kreisen, sondern
auch bei den „gläubigen" d. h. schritt- — will
sagen — inspirationsgläubigen Protestanten Beifall findet
. Eine brauchbare Widerlegung von Delitzsch gibt
er nicht.

Bonn. J. Meinhold.

Hänel, Prof. Lic. Johannes: Alttestamentiiche Sittlichkeit dargestellt
gegen ihre antisemitischen Verächter. Vortrag zum Greifs-
walder Universitätstag in Stolp 1924. Gütersloh: C. Bertelsmann
1924. (64 S.) 8°. Rm. 1.40.

Dieser auf dem Greifswalder Universitätstag in
Stolp 1924 gehaltene Vortrag wendet sich an weitere
Kreise und will die antisemitischen Verächter des Alten
Testamentes vor ihnen ins Unrecht setzen.

Es ist vorab zu bemerken, daß ihm das gelungen
ist, wenn ich leider auch bezweifle, daß er diese Verächter
bekehren wird. Im allgemeinen gilt von ihnen
„sie jubeo, stat pro ratione voluntas" (S. 63). Es- wäre
wohl zu wünschen, daß Hänels Worte in weiten Kreisen

i gehört würden. Sollte das der Fall sein, so wäre für
eine etwaige zweite Auflage eine Reihe kleinerer Änderungen
stilistischer wie sachlicher Art erwünscht. Stilistischer
Art: S. 4. „das Stürmen . . . hat auch oder viel-

1 mehr neuerdings ganz besonders das A. T. zum Ziel
seiner Angriffe gemacht"? So sagt man nicht. „Unken"

! (S. 6.) und „verschandeln" gehört kaum in die Schrift-

j spräche. S. 8 „Und förmlich in den Schatten ge-

, stellt..." muß ein Verbum haben. Das Bild von dem
Zauberlehrling (S. 9.), von der „wie Sturmwind und
Meeresungestüin brausenden Hoffnung" (S. 46.) ist
nicht glücklich gewählt. Aber auch in sachlicher Beziehung
wäre manches anders zu wünschen. So sehr
der Verfasser auch betont, daß man sich „des geschichtlichen
Verständnisses als des Schlüssels" zur rechten
Behandlung bedienen müsse (S. 61.), so deutlich er auch
die Schattenseiten im A. T. hervorhebt, er hätte sich des
Schlüssels ruhig schärfer bedienen, die Schattenseiten
noch stärker hervorheben können, nicht zum Schaden,
sondern zum Nutzen der Sache. Es ist doch kein Zufall
, daß von dem Boden des A.T. aus sich nicht nur
Jesus und das N.T., sondern auch der Pharisäismus und
seine Literatur entwickelt hat. Es ist so allgemein gesagt
doch nicht richtig, daß das Alte Testament uns
David nicht als Idealmenschen zeichnen will — die
Chronik steht auch im Alten Testament! Die Goliathgeschichte
wäre besser nicht herangezogen (S. 15.).
Daß David als von Saul Verfolgter jede Gelegenheit
benutzte, die Sache seines Landes zu fördern, möchte ich
nicht unterschreiben: 1. Sam. 30, 26ff. denkt er doch
vornehmlich an seinen Vorteil. Daß sein Heldentum
und seine Staatsklugheit „Ehrfurcht" (S. 15) einflößen
müssen, leuchtet nicht ein. Bewunderung ja, aber Ehrfurcht
? Die erwächst aus anderen Eigenschaften. (Man
denke an Kaiser Wilhelm I.) Wenn er Jonathans
Sohn an seine Tafel zieht (S. 16), nachdem er alle anderen
Sauliden den Bewohnern von Gibeon preisgab
2. S. 21, so spricht daraus wohl mehr die Klugheit als
die Milde. Der lahme Sohn des Jonathan konnte ihm
als ebenbürtiger Held und Krieger kaum, aber als Seele

j einer etwaigen Verschwörung immer noch gefährlich

j werden. So zog er ihn dauernd an seine Tafel, weniger
wohl aus Großmut, als aus der Absicht, ihn stets unter

1 Augen zu haben.

Wenn bei der Frage der Feindesliebe Spr. 24, 17 f.
angeführt wird, so ist das wenig glücklich. Der Grund,
der die Schadenfreude verbietet, ist wunderlich genug:
Jahve könnte aus Mißfallen an dieser Schadenfreude

I seinen Zorn vom Feinde zurückziehn! Die Forderung
(S. 52) „du sollst nicht ehebrechen" ist natürlich nicht
„an die Frau allein gerichtet". Gewiß von Haus aus, wie
auch die anderen Gebote des Dekalogs, nur an den

! Mann, der übrigens nicht seine eigene Ehe, sondern die
eines anderen brechen, sich an dessen Eigentum d. i.
an der Frau vergehn kann. Daruni folgt dies Wort dem
anderen: du sollst nicht stehlen auf dem Fuße nach. —
Überhaupt tritt bei H. nicht genügend hervor, daß wir
Christen den Dekalog doch anders verstehn und deuten,
wie etwa ein Israelit in vorchristlicher Zeit. Die christl.
Gemeinde hat hier wie auch sonst das Recht einer Um-
deutung und Vertiefung, und darum kann sie am A.T.
festhalten, weil das in seinen besten Stücken einer solchen
Umdeutung fähig ist. Die anderen Teile läßt sie
eben mit Recht unter den Tisch fallen. Denn sie läßt das
A.T. nur durch die Tür des Neuen eintreten. Was da
nicht hineingeht, muß draußen bleiben. Das ist ja auch
H.s ausdrückliche Meinung, hätte aber vielleicht noch
mehr unterstrichen und in der Darlegung selbst wirksam
gemacht sein können.

Bonn. J. Meinhold.

Seeger, Lic. Dr. Heinrich: Die Triebkräfte des religiösen
Lebens in Israel und Babylon. Tübingen: J. C. B. Mohr 1923.
(VII, 122 S.) gr. 8°. Rm. 3.30.

Mit großer Freude wird man das vorliegende Buch
begrüßen; denn es behandelt ein bisher noch nicht be-