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Ausgabe:

1925 Nr. 8

Spalte:

184-185

Autor/Hrsg.:

Berg, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die katholische Heidenmission als Kulturträger. 3 Bde 1925

Rezensent:

Richter, Julius

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Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 8.

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liehen Einheit der Subjekte) aufgebaut ist, werden wir
nicht umhin können, von Mystik zu reden. Die Frage
der Benennung wäre an sich unbedeutend, da im Verlauf
der Arbeit beide Begriffe häufig miteinander vertauscht
werden, wenn nicht manche Schwächen der Darstellung
(namentlich die ungenügende Erfassung der
Einheit des Ich mit Adam, Lucifer und Christus in einem
größeren spekulativen Zusammenhange) darauf zurückzuführen
wären. Wichtiger ist 2) die Scheidung
des Sittlich-Bösen von dem Natur-Bösen. Hier
zeigen sich am deutlichsten die auch sonst gelegentlich
wahrnehmbaren unglücklichen Spuren von Hankamers
Darstellung. Die Behauptung, daß Böhme nach einem
ursprünglich rein moralischen Dualismus in der
„Morgenröte" erst später zu einem physischen Bösen
gekommen sei (S. 116), scheitert ja schon an den allerersten
Ausführungen der „Morgenröte" (z. B. Vorrede
9 und Kap. 1, 2). Kein Satz trifft Böhmes Naturauffassung
weniger als der S. 106 angeführte von Huxley:
Nature is neither moral nor immoral, but simply Unmoral
. Mit dieser Abtrennung des Natur-Bösen von der
ihm bei B. immer anhaftenden sittlichen Grundlage
hängt die mangelnde Abgrenzung Böhmes von der
Renaissance-Philosophie zusammen. So wünscht man
sich im Ganzen die Fragen schärfer gestellt und die Beurteilung
mehr von einer einheitlichen Gesamtanschauung
getragen (der Hinweis auf die Ideenlehre, die doch bei
Meister Eckhart etwa viel lebendiger war, entschädigt
dafür nicht) und ist doch andererseits dankbar für die in
der knappen Form überraschend reiche Darstellung.
Tübingen. Heinrich Bornkamm.

Clauberg und Dubislav: Systematisches Wörterbuch
der Philosophie. Leipzig: Felix Meiner 1923. (V, 565 S.)
kl. 8°. Gm. 7—; Hlwd. 9—; Hldr. 14—.

Neben dem Eislerschen Handwörterbuch wäre ein kürzeres systematisches
Werk sehr erwünscht. Wenn nun das vorliegende Buch ein
solches sein will, weil seine Aussagen ein System darstellen sollen,
so befremdet es, daß Definitionen von Kant, Bolzano und Wundt
neben einander das Buch beherrschen. Ganz unsystematisch sind denn
auch die Darstellungen der großen Artikel. Sie bringen nicht Gliederungen
nach systematischen Problemen, sondern zusammengeraffte Aufzählungen
von Meinungen der verschiedensten Philosophen. Dies bekennen
die Verfasser in dem Artikel über Metaphysik selber, wenn
sie sagen: „Die Verfasser glaubten, die in der Literatur üblichen
wenig zweckmäßigen Bezeichnungen möglichst vollzählig ständig aufnehmen
zu sollen, wobei des öfteren sachlich nicht differierende
Lehren, welche verschieden benannt werden und von ihren Vertretern
für verschieden gehalten werden, absichtlich gesondert aufgezählt sind.
Die folgende Einteilung ist deshalb eine „Quasi-Einteilung". Den
Grund für das Verfahren der Verfasser sieht man nicht ein, da sie
ihn nicht angeben. „Quasi-Einteilungen" finden sich denn auch in
dem Buche häufiger, so z. B. bei den Artikeln Apperzeption, Assoziation
, Mathematik, Urteil, in denen Definitionen anderer Autoren
aufgezählt werden. Der sprachliche Ausdruck ist recht ungeschickt,
so z. B. S. 303: „eine Lehre . . . heißt eine monistische" usw.

Sachlich sind die einzelnen Artikel von sehr verschiedenem
Wert. Logik, Psychologie und Naturphilosophie kommen am besten
weg, logische Begriffe werden sogar in Überfülle erklärt, die Geisteswissenschaften
werden wesentlich knapper behandelt, am dürftigsten,
um nicht zu sagen kläglichsten die Religionsphilosophie. Gut ist,
soweit ich urteilen kann, z. B. der Artikel Biologie, instruktiv auch
der weitschweifige Artikel (16 Seiten!) über Psychologie, der allerdings
wesentlich aus Wundt ausgeschrieben ist und von Strukturpsycho-
logic (Dilthey, Spranger) und Religionspsychologie (Leuba, Wobber-
min) nichts weiß. Der „Religionsphilosophie" werden ganze fünf
Zeilen gewidmet, vom protestantischen Glauben haben die Verfasser
wenig Ahnung, wenn sie in ihm „weniger ein Fürwahrhalten als ein
sich in Fühlen und Wollen realisierendes Erfassen des Göttlichen"
sehen. Der Artikel über Gott ist dürftig und wenig erschöpfend,
Eschatologie fehlt, bei Ewigkeit und Hoffnung wird nichts über den
religiösen Sinn dieser Begriffe gesagt usf. Für den Theologen und
Religionsphilosophen ist das Buch nicht brauchbar, auch nicht für
den „Laien", der sachgemäße Auskunft über die theologischen und
religionsphilosophischen Begriffe haben will.

Minden i. W. Kurt K esse ler.

Rust, Prof. Dr. Hans: Das Zungenreden. Eine Studie zur kritischen
Religionspsychologie. München: J. F. Bergmann 1924. (VII,
74 S.) Lex. 8°. = Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens
Heft 118. Gm. 3,60.

Einer Phänomenologie des Zungenredens auf grund
von Zeugnissen aus verschiedenen Inspirationsbewegungen
folgt die psychologische Untersuchung, die von
der Ausschaltung des bewußten Willens als wesentlichem
Merkmal ausgeht: Das Unbewußte ist zu freier
Tätigkeit entfesselt, das Bewußtsein ist entweder eingeschläfert
oder doch nur passiver Zuschauer. Anlässe
können Fasten, Gebrauch von Narkotika, Gebet und
Hypnose sein, Ursache unbewußte Triebe und Wünsche.
Die Wirkung ist eine Sprache (nicht bloß unartikulierte
Laute). Sozialpsychologisch ergibt sich, daß vorwiegend
einfache Leute diesem Automatismus erliegen (nicht
untersucht wird, ob einzelne Volksstämme stärker dis-

I poniert sind, worauf ich in meiner Schrift: „Die innere
Entwicklung der deutschen Gem.-Bew. in den Jahren
1906 und 1907" aufmerksam gemacht habe, deren Ma-

! terial Rust scheinbar entgangen ist), und daß die

! Massensuggestion eine große Rolle spielt. Die Typologie
unterscheidet nach der Sprachgestalt das sprachgleiche
von dem sprachähnlichen und dem stammelnden

S Zungenreden. Zum ersten Typus gehören R. das mutter-
sprachliche (die halbautomatische und die automatische
Eingebungsrede) und das nichtmuttersprachliche Zungenreden
(mundartliches und fremdsprachliches), zum zweiten
das kunstsprachliche und das phantasiesprachlichc,
zum dritten das wortförmige und das silbenförmige
Zungenreden. Das Verstehen der Zungenrede kann unmittelbar
gefühlsmäßig, aber auch bloß vermeintlich
sein. Denn verstanden wird das Gehörte, das von
dem Gesprochenen sehr verschieden sein kann.
Die wissenschaftliche Deutung geht aus von der Kinder-
sprache (auch dem Zungenreden liegt eine infantile
Einstellung des Bewußtseins zugrunde) und behandelt
die psychanalytischen Deutungsversuche. Auf das biblische
Zungenreden geht R. nur kurz ein. Die Pfingst-
erzählung wird als methodologisches Musterbeispiel vorgeführt
. Gemäß seiner Typologie begreift R. die Eingebungsrede
bei Paulus abweichend von diesem mit
unter „Zungenreden". An diesem Punkte kann ich dem
exakt und gründlich arbeitenden Verf. nicht ganz folgen.
Sicherlich gibt es auch automatische Eingebungsrede.
Aber die von ihm so genannte „halbautomatische" birgt,
glaube ich, auch solches, was nicht unter „Automatis-
mus" fällt (z. B. die schöpferische Redegabe). Geht
nicht ferner gerade hier die Grenze, wo von dem
mehr naturhaften Prophetentum die großen Propheten
Israels sich abheben? Von ihnen würde ich dann auch
nicht ohne weiteres behaupten, daß die Wissenschaft
den Ursprung der Zungensprachen nur im Menschen
— nicht bloß suchen, sondern auch — finden werde.
An diesem Punkte bedarf m. E. die vorzüglich orientierende
, verdienstvolle Schrift der Weiterführung.
Hannover. Fleisch.

Berg, Prof. Dr. theol. Ludwig: Die katholische Heidenmission
als Kulturträger. I. Bd. (Tl. 1 - 6): X, 382 u. XXIII S.; IL Bd.
(Tl. 7 u. 8): IV, 388 u. XXII S.; III. Bd. (Tl. 9 U. 10): II, 20 U.
VIII S. Aachen: Xaverius Verkgsbh. 1923 U. 1924. 8°. = Abhandlungen
aus Missionskunde U. Missionsgeschichtc.
Bd. I u. II je Gm. 3—; geb. 4—; Bd. III, Heft 9 Gm. 1.50.

Dies große Sammelwerk des bekannten Generalsekretärs
der „Missionspflege an den höheren Schulen",
das in den bisher vorliegenden neun Heften — das
zehnte steht noch aus — bereits fast 1200 Seiten umfaßt
, will, ähnlich wie frühere protestantische Darstellungen
, zumal James Dennis' großes dreibändiges
„Christian Missions and Social Progress", eine Übersicht
über die Kulturwirkungen geben, welche die katholische
Missionsarbeit begleiten. Dabei ist nicht zu verkennen,
daß bei der Zusammenstellung und Niederschrift des
weitschichtigen Materials nicht wissenschaftliche Gesichtspunkte
maßgebend gewesen sind, d. h. nicht das
Bedürfnis, sich und den katholischen Lesern exakt
Rechenschaft von den die Missionsarbeit begleitenden
Kulturwirkungen zu geben, sondern praktische, „erbau-
I liehe", den Missionsrednern ein reiches Anschauungs-