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Ausgabe:

1925

Spalte:

181-183

Autor/Hrsg.:

Jecht, Richard (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Jakob Böhme - Gedenkgabe der Stadt Görlitz zu seinem 300jährigen Todestage 1925

Rezensent:

Bornkamm, Heinrich

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181

Theologische Literaturzeitung 1925 Nr. 8.

Unser Interesse wird jedoch nicht nur durch die Schilderung
dieser staunenswerten Leistung erweckt, sondern
es hat für uns auch einen besonderen Reiz, in die Ent-
Wicklung dieses Mönchslebens einen Einblick zu be- j
kommen. Des Westphalen Charakter hatte ja seine
Kanten, und so drohte das Mönchsleben gleich zu An- i
fang an den Klippen der Alkantarinerbewegung zu l
scheitern, aber es gelang, über die Klippen hiniiber-
zukommen, und es ist von Interesse zu erfahren, wie
das geschah. Auch sonst fehlt es nicht an reizvollen
Zügen, es sei nur die charakteristische Geschichte von
der Havannazigarre erwähnt (S. 26) oder die sympathische
Erzählung, wie er Reuters Stromtid in Qua-
racchi vorlas (S. 124). Dali manches uns auch recht
fremdartig anmutet, ist selbstverständlich.

Stuttgart. E. Lempp.

J e c h t, Prof. Dr. phil. u. Dr. jur. h. c. Richard: Jakob Böhme u. Görlitz.
Ein Bildwerk. Hrsg. im Namen d. Görlitzer Magistrats. Görlitz:
H. Tzschaschel in Komm. 1Q24. (8 S. u. 28 Taf.) 4°.
Jakob Böhme - Gedenkgabe der Stadt Görlitz zu seinem 300jährigen
Todestage. Hrsg. in Verbindg. mit Curt Adler u. Felix Voigt von
Richard Jecht. Görlitz: E. Remcr in Komm. 1924. (IV, 132 S.
■. Abb. u. 3 Taf.) gr. 8°.
Die beiden Gedenkbücher bilden den literarischen
Beitrag der Stadt Görlitz zur Ehrung ihres bedeutendsten
Bürgers. Eine wahrhaft festliche Gabe ist vor
allem das erste: eine Sammlung guter Wiedergaben von
Bildnissen Böhmes, zeitgenössischen Abbildungen der
Stadt, Photographien, Radierungen und Zeichnungen
aus den alten Stadtteilen, die namentlich einen Eindruck
von der einzigartig schönen Renaissancekunst in Görlitz
vermitteln können. Bemerkenswert sind darunter die
Versuche, von dem längst abgerissenen späteren Wohnhause
Böhmes in Zeichnungen, die auf alten Abbildungen
und Plänen beruhen, einen Eindruck zu geben.
Die Darstellungen von Böhmes äußerer Gestalt, denen
der Leser die größte Aufmerksamkeit zuwenden wird,
lassen freilich die noch ungelöste Frage nach dem
echten Böhme-Bilde nur noch schmerzlicher werden.
Das eindrucksvolle Kamenzer Bild, das auch dem
wissenschaftlichen Buch vorangestellt ist, hat, wie mir
scheint, nach der Frankenbergschen Beschreibung Böhmes
leider nicht allzuviel Anspruch treu zu sein.

Das Bildwerk bildet zugleich das willkommene Anschauungsmaterial
zu den beiden ersten Aufsätzen der
Gedenkgabe. Dort gibt nach einer kurzen, sorgfältigen
Untersuchung von Curt Adler über Böhmes Geburtshaus
(mit dem Ergebnis, daß es in Nieder-, nicht
in Ober-Alt-Seidenberg zu suchen ist) der Herausgeber,
der Meister der Görlitzer Stadtgeschichte und der Ober-
lausitzer Forschung Richard Jecht eine wertvolle
Behandlung der Lebensumstände Jakob Böhmes. (S.
7—76). Der Hintergrund der allgemeinen Stadtverhältnisse
, wie ihn nur J. zeichnen konnte, belebt die Darstellung
. Die Arbeit beansprucht nicht, eine Biographie
zu sein. Dazu gehörte auch ein Versuch, Böhmes
innere Entwicklung darzustellen, die J. ausdrücklich
ausschaltet. Sie gibt nur den äußeren Stoff dazu, nicht
in zusammenhängender Darstellung, sondern mit unermüdlicher
, den Gang der Erzählung unterbrechender
Versenkung in die Einzelfragen. Aber wer für solche
Untersuchungen des Kleinsten und die darauf verwendete
Liebe Sinn hat, wird auch unter der anscheinend
spröden Form die Reize empfinden. Mit der schönen
Entdeckung von Böhmes erstem Görlitzer Wohnhaus,
das er bei wachsendem Wohlstand 1610 mit einem günstigeren
vertauschte, setzt die Abhandlung ein. Auch die
weitere Lebensgeschichte Böhmes hat J. mit einer nach
der schon auf gründlicher Quellenbenutzung beruhen-
ua •Arbeit von Herrn. Fechner (Neues Laus. Magaz.
Bd. 33 u. 34 1857 u. 1858) erstaunlichen Fülle von
Einzelzugen bereichert. Die Familie, die wirtschaftlichen
Verhaltnisse, die Reisen, die Frage nach der
Handschrift (die mir auch das Dokument aus der

Schusterlade nicht zu fördern scheint), nach dem Bilde
Böhmes werden gründlich behandelt. Manches hat nur
Anschatiungswert, wie die Bemerkung, daß die beiden
ältesten Söhne Böhmes beim Gregoriusfest 1608 unter
den locupletiores geführt wurden (S. 17) oder die
amüsanten Kriminalien (S. 23 f.). Anderes bedeutet
dagegen eine wirkliche Erhellung seiner Geschichte.
So die Entdeckung der zwei Jakob Böhmes (des Gerbers
neben dem Schuster), der die bisher rätselhaften
Töchter des Philosophen zum Opfer fallen (S. 10 u.
18), die Erklärung des Vornamens „Jochen" Böhme,
der von manchen Darstellern z. B. Eiert unbedenklich
verwendet wurde, aus einer Verlesung des erst neu eingetretenen
Syndikus (S. 43), und vor allem die ausführliche
Untersuchung von Böhmes Todestag. Während
bisher der 17. Nov. als Sterbetag galt, tritt J. mit
guten Gründen für den 16. ein, auf den die ältesten Urkunden
führen. Auch über die Personen um Böhme
bringt J. knappe, z.T. neue Angaben, so namentlich für
Balthasar Walter, den wichtigen Vermittler paracel-
sischer und alchemistischer Naturphilosophie. Ebenso
wird der „gleisnerische Hohepriester" Gregor Richter
neu beleuchtet durch den Nachweis der Schmeichelei, die
er noch im Mai 1614 dem Schutzherren Böhmes, Karl
von Ender, entgegenbrachte. Neben den archivalischen
Entdeckungen ist J.s Arbeit ausgezeichnet durch die
erstmalige planmäßige Verwertung der Angaben in
Böhmes Briefen.

Das Versehen, nur 66 Sendschreiben zu zählen, das J. (S. 38. 66)
mit anderen Untersuchungen teilt (z. B. auch mit Hankamer), während
die Ausgabe von 1730 noch 8 weitere abgedruckt hat, ist von
J. in einem Nachtrag gut gemacht worden, der, wie ich annehme,
den neuen Exemplaren nunmehr mitgegeben wird. Bei dem faksimilierten
Brief zw. S. 48 u. 49, S. 66 u. Bildwerk Tafel 27 ist zu
berichtigen, daß er nicht aus dem Darmstädter Archiv, sondern der
Dokumentensammlung Darmstädter der Preuß. Staatsbibliothek stammt.

Den Abschluß (S. 77—130) bildet eine knappe, inhaltsreiche
Abhandlung von Felix Voigt: Beiträge zum
Verständnis Jakob Böhmes. Ihre Stärke liegt im 4. Abschnitt
: Aus Jakob Böhmes Gedankenwelt, während die
drei einführenden, die natürlich nur allerknappste Bemerkungen
geben können, z. T. Einschränkungen unterliegen
, wie namentlich der erste: der mystische Grundcharakter
Ostmitteldeutschlands, der im Anschluß an
Nadler gegeben ist. Wenn die These auch in besonnener
Weise durchgeführt wird, so sind doch die Kreise oft
! etwas weit gezogen: Die hl. Elisabeth wird der thüring.
| Mystik gut geschrieben, Weigel und Peucer (dieser auch
i sachlich ganz unverschuldet) an die schlesisch - lausitzische
herangerückt. Die eigentliche Darstellung Böhmes
gibt neben der von Herrn. Schwarz, Der Gottesgedanke
in der Geschichte der Philosophie 1 1913 S.
555 ff., die V. anscheinend leider entgangen ist, die beste
Schilderung von Böhmes Gesamtsystem mit seinen bunten
Einzelheiten. Sie enthält: 1. Den üottesbegriff,
2. Gott und Natur (mit einer glücklichen Darstellung
der 7 Qualitäten), 3. Gott und das Böse, 4. Vom Sinn
der Weltgeschichte. Der Anschluß des 4. an das Mysterium
Magnum ist etwas gewagt. Die Bedeutung'von
Adam, Lucifer und Christus mit dem Satz einzuführen:
„Persönlichkeiten sind es, die im tiefsten Sinne Weltgeschichte
machen" (S. 121), ist ein halsbrecherisches
Kunststück. Nicht ebenso glücklich wie die Schilderung
ist an einigen Punkten die Deutung des Tatbestandes. Ich
greife heraus: 1. Die Unterscheidung von Theosophie und
Mystik (S. 93). V. will dem Dunkel des Wortes Mystik
entfliehen und beschert uns dafür ein anderes Rätselwort
. Das ist umso anfechtbarer, als die Gegenüberstellung
schief ist. Der Begriff der Mystik, für die Welt
und Natur nicht existieren sollen, ist an der neuplatonischen
abgelesen und wird Erscheinungen wie Erigena.
der Renaissance-Mystik und jeder Naturmystik nicht
gerecht. Es gibt auch für die Mystik eine theoretische
Erkenntnis des Alls. So lange darum eine Spekulation
! mit einer mystischen Frömmigkeit verbunden und auf
! mystischen Grundgedanken (namentlich der Überzeit-