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Ausgabe:

1924 Nr. 9

Spalte:

177-178

Titel/Untertitel:

Mélanges thomistes, publiées par les dominicains de la province de France à l’occasion du VI. centenaire de la canonisation de St. Thomas d’Aquin 1924

Rezensent:

Koch, Wilhelm

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177

Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 9.

178

läge in noch schärferem Maße als ihre Vorgängerinnen
die Eigenartigkeit der Feineschen Behandlung des
Gegenstandes hervorkehrt. Denn jetzt spielt das wesentlich
ablehnende Referat über die moderne Literatur eine
noch größere Rolle als zuvor. Der Eindruck verfestigt
sich, daß in der Vorführung jüngerer und jüngster Arbeiten
des Guten zu viel geschieht. Ich wenigstens kann
es nicht nachahmenswert finden, wenn in einem doch in
erster Linie für Studierende bestimmten Buche Beitrage
des Auslandes registriert werden, bezüglich deren Feine
seine Kenntnis aus sekundären Quellen zu schöpfen gezwungen
ist Es muß den Anfänger doch verwirren,
wenn sein literarischer Führer an kaum einem neueren
Zeitschriftaufsatz vorübergeht und auch offensichtlich
ephemere Erscheinungen freundlich berücksichtigt. So
gewiß der Mitforscher dem Verf. für die sorgfältige Zusammenstellung
der Literatur danken wird, so wenig ist
zu verkennen, daß man in dieser Sache unmöglich zwei
Herren zu dienen vermag. Für den Studierenden scheint
es mir besser, wenn ihm das, was wirklich die Forschung
gefördert hat, in einer Ausführlichkeit, die ihm ein
eigenes Urteil gestatten würde, vorgelegt worden wäre.
Alle die, welche irgendwie und irgendwo einmal zu nt.
Einleitungsfragen das Wort ergriffen haben, dürfen
keinen Anspruch darauf erheben, in einem solchen Buche
genannt zu werden. Ein notwendigerweise auf engsten
Raum zusammengedrängter Überblick über deren Ansichten
beschlossen von einigen Worten der Beurteilung
geben dem Studenten nichts, was den Namen Förderung
verdient, und bloße Namen und Titel sind für ihn fast
völlig wertlos. Hätte F. hier Beschränkung geübt, dann
würde er den nötigen Platz gefunden haben, seinen
Lesern ein zutreffenderes, weil ausgeführteres Bild von
den Beweggründen, Zielen und der Arbeitsweise der
formgeschichtlichen Bemühung um die Evangelien zu
geben, als er es getan hat — bei aller ihm durchaus freistehenden
Skepsis. Und dann würde auch die immer
noch recht stiefmütterlich bedachte und doch so wichtige
.,allgemeine" Einleitung in Kanons- und Textgeschichte
besser zu ihrem Rechte gekommen sein. Hier muß eine
kommende Auflage entschieden noch weitere Fortschritte
bringen. Hoffentlich versteht sich Verf. auch zu einer
schonungslosen Ausmerzung von Namen, Titeln und
Tagesansichten. Die dadurch erzielte größere Übersichtlichkeit
wird von den jüngeren Jahrgängen, und damit
dem Hauptteil seines Publikums gewiß mit Dank und
Freude begrüßt werden. Verschwindet außerdem noch
der Schönheitsfehler, der darin besteht, daß S. 188 von
dem Tractatus de libris ss. scripturarum, „der wohl auf
Novatian zurückgeht", gesprochen wird, während S. 182
die Rede ist von einer spanischen Tradition aus dem
4. Jahrh. („Lateinische Predigten; herausgegeben unter
dem Titel Tractatus Origenis de libris ss. scripturarum"),
wobei kein Fernerstehender ahnen kann, daß es sich um
ganz dieselbe Sache handelt, so wird sein inhaltsreiches
Buch an Wert noch gewinnen.
Güttingen. W. Bauer.

Melanges thomistes, publikes par les dominicains de la province de
France ä l'occasion du VI. centenairc de la canonisation de St.
Thomas d'Aquin. Kain (Belgique), 1023. (408 S.) 8°. - Bibliothe-
que thomiste III.
Am 18. Juli 1023 waren es 600 Jahre, seitdem Papst Johannes
XXII. zu Avignon das Dekret der Heiligsprechung des Thomas
v- Aquino unterzeichnete. Die Dominikaner und übrigen Thomisten
der römisch-katholischen Kirche haben diesen Gedächtnistag in Wort
und Schrift gefeiert. Die französischen Dominikaner, die hinter der
ThLZ 1Q23, Sp. 348 f. angezeigten Bibliotheque thomiste stehen, begingen
den Tag durch Herausgabe einer Festschrift mit 17 Abhandlungen
biographischer, literarkritischer und lehrsystematischer Art, die
sich alle, abgesehen von der siebzehnten, mit der Person, dem
Schrifttum, der Philosophie und Theologie des gefeierten Dominikaners
befassen. P. Mandonnet schildert (zum 1. Mal zusammenhängend und
mit einer Reihe neuer Beiträge) die Einleitung und den Verlauf des
Heiligsprechungsprozesses und nennt als Grund seiner raschen Aufnahme
die sorgenvolle Sehnsucht des Papstes nach einem Normaltheologen
im Zeitalter des beginnenden Zerfalls der Scholastik. Die
treffliche Abhandlung ist auch gesondert erschienen. J. A. Destrez (wie
Mandonnet Mitglied des Dominikanerkonvents Bellevue, Dep. Seine
et Oise) stellt durch umfassende Handschriftenforschung fest, daß nur
11 disputationes quodlibetales (auch kurz quodlibeta genannt) zur ursprünglichen
Sammlung gehörten, und daß die bisherige Nr. 12 erst
nachträglich hinzukam. Höchst wertvoll ist das Inventar sämtlicher
Handschriften, in denen die quodlibeta enthalten sind (S. 78—108).
Auch die dritte Abhandlung, von P. Synave (Le Saulchoir), geht auf
die Handschriften, und zwar des sog. offiziellen Katalogs der Thomasschriften
, zurück und weist nach, daß Thomas keinen Kommentar
zum Buchstabensinn der 4 Evangelien verfaßt hat. Der Jesuit
F. Pelster kam in der Zeitschrift Biblica (1022, 330/8) zu einem bejahenden
Ergebnis; wenn er nicht neue handschriftliche Zeugen beibringen
kann, wird Synave Recht behalten. Abhandlung 4 (von M. D.
Chenu, Le Saulchoir) ist ein historischer Kommentar zu Artikel 2 der
quaestio 1 der secunda secundae der Summa theologica; der Artikel
befaßt sich mit der Psychologie des theologischen Glaubens. Auch
die 5. Abhandlung ist noch geschichtlicher Art, ein Beitrag zur Geschichte
des sog. feierlichen Gelübdes (von L. Misserey, Le Saulchoir).
Nun folgen dogmatische und philosophische Studien zur Lehre des
Thomas: über den Umfang der doctrina fidei der Apostel (von A.
Lemonnyer, Le Saulchoir), über Sein und Erkenntnis (von A. D.
Sertillanges, Paris), über die Verstandeserkenntnis (von R. Garrigou-
Lagrange, Rom), über Selbsterkenntnis (von A. Oardeil, Paris), über
Abstraktion (von F. A. Blanche, Paris),- über den Irrtum (von M. D.
Roland-Gosselin, Le Saulchoir), über die freien Handlungen (von
H. D. Noble, Le Saulchoir), über die natürliche Liebe zu Gott (von
V. Heris, Le Saulchoir), über die Beziehungen zwischen sittlichem
und sozialem Denken (von M. S. Gillet, Paris), über die Gerechtigkeit
gegenüber der menschlichen Gesellschaft (von Th. Blesiade,
Amiens), über Staat und Einzelmensch (von E. Hugueny, Le Saulchoir
). Alle diese Studien zeugen für eine gründliche Kenntnis der
Schriften des Aquinaten und beleuchten manche bis dahin unbeachtete
oder ungeklärte Punkte seiner Lehre. Die Schlußabhandlung (von
O. Thery, Le Saulchoir) ist die 1. Hälfte einer geplanten Monographie
über den noch so dunklen Philosophen David von Dinant, und
zwar auf Grund der Angaben Alberts d. Gr. und des Thomas und
einiger neuerer Anhaltspunkte. Darnach ist seine Name sehr wahrscheinlich
von Dinant bei Namur hergeleitet; außer Albert d. Gr. und
Thomas hat wohl Nikolaus v. Cues des David Hauptwerk De tomis
gekannt, aber es ist bis jetzt noch verschollen (vielleicht in Rom); Kern
seiner Lehre ist die Gleichsetzung von PA«, yovf und Gott; die
Quellen dieses Pantheismus will Thery in der Fortsetzung dieser
Studie feststellen (bis dahin vgl. Überweg-Baumgartner Seite 351).
Auch dieser 3. Band der Bibliotheque thomiste, der überdies fast
ohne Fehler gedruckt ist, ehrt nicht bloß den Lehrmeister, sondern
auch seine Schüler.

Binsdorf (Württbg.). Wilhelm Koch.

Prutz, Hans: Zur Geschichte der Jungfrau von Orleans.

Der Krönungszug nach Reims. München: Verlag d. Bayer. Akademie
d. Wissenschaften; G. Franzscher Verl. in Komm. 1923. (25 S.)
gr. 8°. -= Sitzungsberichte d. Bayr. Akad. d. Wiss. Philos.-philol
u. hist. Kl. Jg. 1923, 5. Abh. Qz. 1—.

Prutz' neue Studie behandelt die kurze Spanne der
Ereignisse von der Schlacht bei Patay (12. 6. 1429) bis
zur Krönung Karls VII. in Reims; auch hier wird die
spätere Legendenbildung, welche im Gegensatz zu den
zeitgenössischen Berichten der Jungfrau eine führende
Rolle bei den Ereignissen zuschreibt, kritisch beleuchtet.
Eine scheinbare Ausnahme bildet Johannas Auftreten
vor Troyes, aber ihre Vorbereitungen zum Sturm auf die
Stadt scheinen doch nur eine Demonstration gewesen zu
sein, um den bereits feststehenden Erfolg der geheimen
Übergabeverhandlungen zu maskieren. Recht unklar ist
auch jetzt noch die Rolle, welche in jenen Wochen der
Franziskaner-Bruder Richard, ein weitgereister, angesehener
Bußprediger, in Johannas Umgebung gespielt
hat: sollte die ehrenvolle Begrüßung in aller öffentlichkeit
nach der Übergabe von Troyes nicht eine Art Genugtuung
für die Jungfrau gewesen sein wegen seines merkwürdigen
Verhaltens bei ihrer ersten Begegnung, als er
sie wie eine Zauberin behandelte?

Mit der Krönung in Reims, 17. Juli, war Johannas
eigentliche Mission erfüllt: Orleans war befreit, Karl VII.
gesalbter König von Frankreich. Wenn die Jungfrau
jetzt nicht zurücktrat, so handelte sie gegen die Absichten
von König und Hof, mithin ohne eigentlichen Rechtstitel
. Das beeinträchtigte ihre Stellung umso mehr, als